Anordnung der Nacherbfolge, Erblasserwille, Anwendung von § 2107 BGB

Leitsatz:

  1. Der testamentarischen Regelung, dass durch die Anordnung der Nacherbfolge sichergestellt werden soll, dass der Nachlass möglichst unabhängig von etwaigen Verbindlichkeiten, die auf den Vorerben zukommen können, erhalten bleibt, kann ein der Anwendung von § 2107 BGB entgegenstehender Erblasserwille zu entnehmen sein.
  2. Dem steht nicht entgegen, dass das Testament notariell errichtet und § 2107 BGB dort nicht ausdrücklich angesprochen ist.

OLG Nürnberg, 14 W 31/12, Beschluss vom 22.10.2012 (AG Ansbach, 15.11.2011, Az: VI 199/01)

BGB § 2107

I. Einführung

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Nacherbeneinsetzung der Beschwerdegegnerin, einer Tochter des Erblassers, gem. § 2107 BGB weggefallen ist, weil der zum Vorerben eingesetzte Sohn des Erblassers seinerseits ein nicht leibliches Kind, den Beschwerdeführer, hinterlassen hat.

Im notariellen Testament des Erblassers aus dem Jahre 1997 sind unter „Persönliche Verhältnisse“ seine beiden Kinder B und C genannt. Weiter ist dort ausgeführt worden, dass B noch keine Kinder habe und C zwei Töchter, X und Y habe. Der Nachlass besteht hauptsächlich aus einem land- und forstwirtschaftlichen Anwesen. Im notariellen Testament wurde bestimmt, dass A seinen Sohn B zum alleinigen Erben einsetzt. B ist Vorerbe, die Tochter des A, C Nacherbin. Die Nacherbfolge tritt mit dem Tod des Vorerben ein. Für das Verhältnis der beiden zueinander gelten die Regeln der §§ 2112 ff BGB, d. h., der Vorerbe bedarf zur Verfügung über Nachlassgrundstücke der Zustimmung der Nacherbin und darf weiterhin auch keine Nachlassgegenstände verschenken.

Weiterhin ist die Nacherbin Ersatzerbin für den Fall, dass der Vorerbe vor dem Tod des Erblassers wegfällt. Das Nacherbrecht ist nicht vererblich und die beiden Töchter der Nacherbin, X und Y, sind Ersatznacherben zu gleichen Stammanteilen. Bei Vorableben einer Ersatznacherbin tritt eine Anwachsung zugunsten des verbleibenden Nacherbenstammes ein. Falls die Nacherbin noch weitere Kinder hinterlassen sollte, sind alle Kinder von C Ersatznacherben.

Weiterhin wurde im Testament klargestellt, dass keine weiteren Erbregelungen getroffen werden sollen und der Erblasser durch die Anordnung der Vorerbschaft nicht den Sohn benachteiligen will, sonder nur sicherstellen will, dass der land- und forstwirtschaftliche Betrieb als eine Einheit im Familienbesitz bleibt. Dies soll gerade möglichst unabhängig von etwaigen Verbindlichkeiten, die auf den Vorerben B zukommen könnten, geschehen.

Der jetzige Beschwerdeführer wurde 1998 geboren. Seine Mutter war die damalige Ehefrau des Sohns des Erblassers, welcher aber nicht der leibliche Vater des Beschwerdeführers ist.

Im Jahre 2011 verstarb der B (Sohn des Erblassers). Der Beschwerdeführer ist sein Alleinerbe.

Die allein sorgeberechtigte Mutter des Beschwerdeführers hat für diesen am 03.08.2011, zu gerichtlichem Protokoll, den Erbschein beantragt, wonach der Erblasser allein und unbeschränkt von seinem Sohn B beerbt worden sei.

Diesen Antrag hat das AG Ansbach (Nachlassgericht) mit Beschluss vom 15.11.2011 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass die Verwandtschaft der Nacherbin mit dem Erblasser keine Rolle spiele. Die Tatsache, dass der Erblasser sein Testament nach der Kenntnis von der Geburt des Beschwerdeführers nicht geändert hat, spräche dafür, dass er, nach notarieller Beratung, die Anwendung des § 2107 BGB, für dessen Anwendungsbereich das Testament keine Regelung enthalte, gewollt habe. Der Sohn des Erblassers sei davon ausgegangen, dass er das Elternhaus bekomme, da seine Schwester bereits ein Haus erhalten hatte. Über die Tatsache, dass er nur ein lebenslanges Wohnrecht erhalten hat, sei er erbost gewesen. Die Geburt des Beschwerdeführers sei dem Erblasser bei der Errichtung des Testaments nicht bekannt gewesen.

Daneben enthalte das Testament auch keinen Hinweis auf die Trunksucht des Vorerben. Der Familienbesitz habe als Ganzes im Nachlass verbleiben sollen. Die Erwägung, dass aufgrund der Trunksucht des Vorerben, seine Gläubiger Zugriff auf den Nachlass erhalten könnten, sei rein hypothetischer Natur.

Der Beschwerdeführer beantragt somit, ihm einen Erbschein mit dem Inhalt zu erteilen, dass B Alleinerbe sei. Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung.

Sie bringt vor, dass es das Ziel des Erblassers gewesen sei, den Nachlass trotz Zerrüttung der Ehe seines Sohnes und dessen Trunksucht in der Familie zu halten. Allen Beteiligten und dem Notar sei sowohl die Schwangerschaft der Frau des Sohnes als auch die Tatsache, dass der Sohn nicht der Vater des Kindes ist, bekannt gewesen. Der Notar habe gesagt, dass das entstehende Kind keinerlei Ansprüche bzgl. des Nachlasses habe. Der Erblasser wollte beide Kinder bedenken, habe ihr aber bereits beim Hausbau geholfen. Sie sei jedoch zu dessen Lebzeiten nicht wesentlich bedacht worden. Der Sohn des Erblassers habe durch die Wohnmöglichkeit in dem Nachlassanwesen und durch die daraus erzielbaren Mieteinnahmen versorgt werden sollen, ohne das Anwesen „vertrinken“ zu können.

Im nach der Geburt des Beschwerdeführers unverändert gebliebenen Testament sei enthalten gewesen, dass der Sohn noch Kinder haben könne und dass ihre Töchter Ersatznacherben sein sollten. Den Zugriff von Gläubigern des eingesetzten Vorerben habe der Erblasser ausschließen und daher § 2107 BGB abbedingen wollen. Daraus ergebe sich, dass sie in jedem Fall als Nacherbin zum Zuge kommen sollte.

II. Problem

Der Senat erachtet die Beschwerde als zulässig, aber nicht begründet. Der beantragte Erbschein entspreche nicht der tatsächlichen Rechtslage und sei somit nicht zu erteilen. Der als Vorerbe eingesetzte B sei nicht gem. § 2107 BGB als Vollerbe anzusehen, sondern die Tochter des Erblassers, C, sei durch Nacherbfolge Erblasserin geworden.

Die Voraussetzungen des § 2107 BGB lägen vor. Der Erblasser hat mit seinem Sohn B einen damals noch kinderlosen Abkömmling eingesetzt. Für die Zeit nach dessen Tod wurde die Nacherbfolge angeordnet. Tatsächlich habe B mit dem Beschwerdeführer aber einen Abkömmling hinterlassen, § 1592 Nr. 1 BGB (B war zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet). Die Tatsache, dass B nicht der leibliche Vater des Beschwerdeführers ist, sei belanglos, da die Vaterschaft nicht angefochten wurde. Weiterhin stehe der Anwendung des § 2107 BGB auch nicht entgegen, dass die eingesetzte Nacherbin ebenfalls ein Abkömmling des Erblassers (und sogar näher verwandt) war.

Jedoch habe ein, durch Auslegung zu ermittelnder, Wille des Erblassers Vorrang vor § 2107 BGB. Hierzu müsste jedoch in der Verfügung von Todes Wegen ein gewisser Anhaltspunkt gegeben sein. Dies sei vorliegend der Fall.

Mit der Formulierung im Testament, dass „B noch keine Kinder“ habe, sei die Möglichkeit, dass sich dieser Zustand ändere, angedeutet. Jedoch werde § 2107 BGB im Testament nicht angesprochen.

Die Begebenheit, dass der Erblasser sein Testament nicht änderte, obwohl er den Beschwerdeführer als seinen leiblichen Enkel kennengelernt hatte, sei grds. als Indiz dafür heranziehbar, dass der Erblasser § 2107 BGB ausschließen wollte. Vorliegend sei dies jedoch nicht der Fall, da nicht bestimmt werden könne, welche Überlegungen hierfür maßgeblich waren. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der, schon bei Testamentserrichtung querschnittsgelähmte, Erblasser bzgl. der in der Folgezeit durch § 2107 BGB aufgeworfenen Frage ohne Problembewusstsein war.

Etwas anderes könne sich auch nicht aus der Einsetzung der Ersatznacherben ergeben. Das Motiv, dass der Nachlass innerhalb der Abkömmlinge gehalten werden sollte, erfordere nicht den Ausschluss der Abkömmlinge des Sohnes. Eine abweichende Behandlung des Beschwerdeführers mangels seiner biologischen Abstammung findet keinen Anhaltspunkt im Testament. Man könne weiterhin nicht davon ausgehen, dass dem Erblasser die Schwangerschaft der Frau seines Sohnes zum Zeitpunkt der Testierung bekannt war, da die Mutter selbst erst einen Tag davor davon erfahren hat.

Jedoch regele das Testament ausdrücklich, dass eine Belastung des Nachlasses durch die Verbindlichkeiten des Sohnes soweit wie möglich verhindert werden soll. Bei Anwendung von § 2107 BGB wäre mit dem Tod des Sohnes als Vorerben die Nacherbfolge entfallen. Der Sohn wäre damit nachträglich als Vollerbe anzusehen gewesen. Dies hätte jedoch den Gläubigern des Sohnes den Zugriff auf den Nachlass ermöglicht. Dies würde im klaren Widerspruch zum Willen des Erblassers stehen. Die weitere Motivation des Erblassers (evtl. gegebene Trunksucht des Sohnes) sei ohne Belang. Darüber hinaus lägen auch keine Anhaltspunkte vor, dass der Erblasser den Nachlass nur zu Lebzeiten des Vorerben vor dem Zugriff der Gläubiger des Vorerben schützen wollte.

III. Fazit

Der Senat stellt vorliegend klar, dass sich die Unanwendbarkeit von § 2107 BGB auch aus dem Motiv des Erblassers ergeben kann, den Nachlass möglichst vor den Gläubigern seines Vorerben zu schützen.

Dies gilt selbst dann, wenn das Testament notariell errichtet wurde und § 2107 BGB dort überhaupt nicht angesprochen wurde.

Das Ergebnis ergibt sich vorliegend aus der Tatsache, dass bei Anwendung von § 2107 BGB und Versterben des Vorerben, dieser als Vollerbe anzusehen gewesen wäre. Dies hätte jedoch zum, vom Erblasser unerwünschten, Ergebnis geführt, dass die Gläubiger des Vorerben Zugriff auf den Nachlass haben. Für die Praxis empfiehlt es sich in jedem Fall, eine klare Regelung bzgl. des Problemkreises des § 2107 BGB zu treffen.


Rezension des Beschlusses des OLG Nürnberg v. 22.10.2012 - 14 W 31/12 zu „Anordnung der Nacherbfolge / Erblasserwille / Anwendung von § 2107 BGB", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.1 Januar 2013, S. 59 f

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