Ausschlagung; Anfechtung; Irrtum über die Person des Nächstberufenen

Amtliche Leitsätze:

  1. Bei einer sogenannten "lenkenden Ausschlagung" stellt der Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben grundsätzlich einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum als Inhaltsirrtum dar.
  2. Irrt der Ausschlagende nicht über den durch seine Ausschlagung bewirkten Anfall der Erbschaft bei dem Nächstberufenen, sondern war das Ziel seiner Ausschlagung, dass nach weiterer Ausschlagung durch einen der Nächstberufenen die Erbschaft bei einer bestimmten Person anfällt, so irrt der Ausschlagende nicht über die unmittelbaren Rechtsfolgen seiner Ausschlagungserklärung. In diesem Fall bleibt es bei einem unbeachtlichen Motivirrtum.

OLG Frankfurt a. M. (21. Zivilsenat), Beschluss vom 06.02.2021 – 21 W 167/20

BGB § 119

I. Einführung

Die Beteiligte zu 1) ist die Ehefrau, die Beteiligten zu 3) und 4) sind die Kinder des Erblassers. Der Beteiligte zu 2) ist der Sohn des Beteiligten zu 4).

Der Erblasser hatte im Jahr 1989 mit der Beteiligten zu 1) ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben einsetzten, weitere Verfügungen wurden nicht getroffen.

Nach dem Tod des Erblassers erklärten die Beteiligten zu 1) und 4) die Ausschlagung der Erbschaft. Die Beteiligte zu 1) gab dabei als weitere Erben die Beteiligten zu 3) und 4), der Beteiligte zu 4) die Beteiligte zu 3) an. Ziel der Ausschlagungserklärung der Beteiligten zu 1) war, dass die Beteiligte zu 3) Alleinerbin nach dem Erblasser werden sollte.

Die Beteiligte zu 3) beantragte die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweist. In den Nachlass fiel ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem Grundstück. Die Beteiligte zu 1) übertrug den anderen, ihr gehörenden hälftigen Miteigentumsanteil an die Beteiligte zu 3).

Nach einem Hinweis des Gerichts, dass der Beteiligte zu 2) in die Erbfolge einrücken würde, beantragte die Beteiligte zu 3) zunächst die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie und den Beteiligten zu 2) als Erben zu jeweils 1/2 ausweist. Im Folgenden änderte sie den Antrag auf einen Teilerbscheinsantrag, der sie als Erbin zu 1/2 ausweist. Dieser Erbschein wurde sodann erteilt. Der Beteiligte zu 2) beantragte ebenfalls die Erteilung eines Teilerbscheins, der sodann erteilt wurde.

Die Beteiligte zu 1) erklärte am 26.06.2020 die Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärung und beantragte, die Einziehung der erteilten Erbscheine. Sie kündigte einen Erbscheinsantrag an, der sie als Alleinerbin ausweist. Sie machte geltend, Hintergrund der Erbausschlagung sei gewesen, dass der Grundbesitz erheblich belastet und die Beteiligte zu 3) mit ihrem Ehemann in der Lage gewesen wäre, diese Verbindlichkeiten abzutragen, während der Beteiligte zu 4) in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt habe. Sie hätte daher mit ihrer Erbausschlagung erreichen wollen, dass die Beteiligte zu 3) Alleinerbin werde, nachdem auch der Beteiligte zu 4) die Erbschaft ausgeschlagen habe. Der Notar habe ihr nicht erklärt, dass der Beteiligte zu 2) an die Stelle des Beteiligten zu 4) treten würde, dies habe sie nicht gewusst. Anlässlich einer anwaltlichen Beratung mit dem Ziel, den Notar auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, habe sie erfahren, dass die Anfechtung der Ausschlagung in Betracht käme. Dies habe sie nicht gewusst, da der Notar ihr erklärt habe, dass die Ausschlagungserklärung nicht rückgängig zu machen sei. Der Notar habe ihr Ende März/Anfang April 2019 mitgeteilt, dass in Folge der Ausschlagung nicht die Beteiligte zu 3) sondern der Beteiligte zu 2) in die Erbfolge gelange und die Familie aufgefordert, nach einer vergleichsweisen Lösung zu suchen. Er habe dabei seine bei der Beurkundung abgegebene Belehrung, dass die Ausschlagungserklärung endgültig und nicht abänderbar sei, nicht widerrufen. Sie habe sich daher wegen der fehlerhaften Belehrung des Notars über die Möglichkeit der Anfechtung in einem Rechtsirrtum befunden. Dieser sei entschuldbar, da sie keine Veranlassung hatte, an der Auskunft des Notars zu zweifeln.

Der Beteiligte zu 2) ist dem Antrag entgegengetreten. Bei dem von der Beteiligten zu 1) dargelegten Irrtum handele es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum. Es sei ihr darum gegangen, dass die Beteiligte zu 3) Alleineigentümerin des Grundstücks werde. Dies hätte auch auf andere Weise als durch Erbausschlagung erreicht werden können. Zudem sei die Anfechtungsfrist versäumt worden.

Das Nachlassgericht hat angeordnet, dass die erteilten Teilerbscheine vorläufig zur Nachlassakte zu reichen sind. Mit weiterem Beschluss hat das Nachlassgericht den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Anfechtungsfrist des § 1954 BGB sei abgelaufen, da die Beteiligte zu 1) Ende März/Anfang April 2019 Kenntnis von ihrem Irrtum erlangt hatte. Die fehlende Kenntnis von der Anfechtungsmöglichkeit sei für den Beginn der Anfechtungsfrist ohne Belang. Zudem handele es sich um einen unbeachtlichen (Motiv-)Irrtum über mittelbare Rechtsfolgen, der nicht zur Anfechtung berechtige.

Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, ein Rechtsirrtum über die Anfechtungsmöglichkeit setze den Fristbeginn auch bei § 1954 BGB nicht in Lauf, wenn er entschuldbar sei. Bei dem Grund der Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärung handele es sich um einen beachtlichen Inhaltsirrtum. Ein solcher liege nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der Ausschlagende irrig angenommen habe, seine Erklärung führe zum unmittelbaren Übergang des Erbteils auf bestimmte Miterben.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Problem

Das OLG Frankfurt a. M. erachtete die Beschwerde als zulässig, aber nicht erfolgreich. Mit zutreffender Begründung habe das Nachlassgericht die Einziehung der erteilten Teilerbscheine abgelehnt.

Der Beteiligte zu 2) und die Beteiligte zu 3) seien aufgrund der jeweils form- und fristgerecht erklärten Ausschlagung der Erbschaft durch die Beteiligten zu 1) und 4) Erben aufgrund gesetzlicher Erbfolge nach dem Erblasser geworden. Die erteilten Teilerbscheine seien nicht durch die von der Beteiligten zu 1) erklärte Anfechtung der Ausschlagungserklärung unrichtig i.S.d. § 2361 BGB geworden.

Die Anfechtungserklärung der Beteiligten zu 1) greife nicht durch, da ein Anfechtungsgrund nicht vorliege. Insoweit könne es dahinstehen, ob die Anfechtung auch wegen Ablaufs der Anfechtungsfrist nicht mehr möglich war.

Zwar könne, worauf die Beteiligte zu 1) zutreffend abstellt, ein Anfechtungsgrund auch dann vorliegen, wenn sich der Anfechtende über die Person, bei der die Erbschaft aufgrund der Anfechtung anfällt, in einem Irrtum befindet. Denn auch in diesem Fall handele es sich um einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum, der als Inhaltsirrtum grundsätzlich zur Anfechtung der Ausschlagungserklärung berechtigt.

Die Sonderregeln der §§ 1954,1955 und 1957 BGB für Frist, Form und Wirkung der Anfechtung einer Ausschlagungserklärung würden die Anfechtungsgründe des § 119 BGB indes nicht ändern oder erweitern. Im Rahmen des § 119 BGB werde ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum bei einem Rechtsfolgenirrtum grundsätzlich in Betracht gezogen. Dies dann, wenn der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtige nach der Rechtsprechung des BGH aber nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen sei der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH NJW 2016,2954 ff, BGHZ 168,210).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt nach Ansicht des OLG Frankfurt a. M. bei einer sog. „lenkenden Ausschlagung“ auch der Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum als Inhaltsirrtum dar. Mit der Ausschlagung werde nicht nur der Wegfall des Ausschlagenden gemäß § 1953 Abs. 1 BGB bewirkt, sondern gemäß § 1953 Abs. 2 BGB falle zugleich die Erbschaft dem Nächstberufenen an. Der Anfall der Erbschaft bei dem Nächstberufenen sei somit unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung. Der Irrtum, bei wem die Erbschaft anfällt sei daher, jedenfalls soweit es dem Erklärenden gerade um den Eintritt des Anfalles an einen bestimmten Dritten ankam, beachtlich. Der Erklärende kann nach Auffassung des Senats die Ausschlagung wegen Inhaltsirrtums daher dann anfechten, wenn das Verfehlen des Lenkungsziels darauf beruht, dass die Erbschaft unmittelbar bei einer anderen Person als beabsichtigt eintritt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.03.2019 - 3 Wx 166-17; aA KG Berlin, Beschluss vom 11.07.2019 - 19 W 50/19). Diese Frage sei in der Literatur und Rechtsprechung zwar umstritten, wobei im Ausgangspunkt überwiegend von einem unbeachtlichen Motivirrtum ausgegangen wird; allerdings bei besonderen Fallkonstellationen - etwa bei Irrtum über die Anwachsung bei einem Miterben - mit der Modifikation, dass hier ein beachtlicher Rechtsfolgenirrtum angenommen wird (OLG Frankfurt, ErbR 2017,565; KG Berlin, aaO; vgl. zum Meinungsstand: MüKO-BGB/Leipold, § 1954 Rn. 7 mwN).

Vorliegend könne dieser Meinungsstreit jedoch dahinstehen, da die Beteiligte zu 1) sich bei ihrer Ausschlagungserklärung schon nicht über die Person des nächstberufenen Erben geirrt habe. Ihr sei bewusst gewesen, dass durch ihre Ausschlagung die Beteiligten zu 3) und 4) Erben werden, wie dies auch in der Ausschlagungserklärung zutreffend angegeben wurde. Diese Rechtsfolge sei von der Beteiligten zu 1) gewollt und beabsichtigt worden.

Die Beteiligte zu 1) habe sich allein darüber geirrt, dass mit der weiteren, von dem Beteiligten zu 4) anschließend erklärten Ausschlagung der zunächst bei dem Beteiligten zu 4) angefallene hälftige Erbteil dann nicht bei der Beteiligten zu 3), sondern als Abkömmling des ausschlagenden Beteiligten zu 4) bei dem Beteiligten zu 2) anfällt. Diesem Irrtum könne nach dem Inhalt seiner Ausschlagungserklärung auch der Beteiligte zu 4) unterlegen sein, der dort als nächstberufenen Erben ausschließlich die Beteiligte zu 3) angegeben hatte. Dann habe zwar möglicherweise der Beteiligte zu 4) seine Ausschlagungserklärung anfechten können. Für die Beteiligte zu 1) handele es sich aber nicht um eine unmittelbare Rechtsfolge ihrer Ausschlagungserklärung, sondern um eine für sie mittelbare Folge der Ausschlagungserklärung des Beteiligten zu 4). Eine solche mittelbare Rechtsfolge führt nicht zu einem beachtlichen Rechtsfolgenirrtum, sondern stelle nur einen unbeachtlichen Motivirrtum dar.

Es könne daher dahinstehen, ob auch die Anfechtungsfrist abgelaufen ist. Da die Beteiligte zu 1) nach ihrem eigenen Vortrag bereits Ende März/Anfang April 2019 Kenntnis von den einen Anfechtungsgrund begründenden Tatsachen hatte, sei die Anfechtungsfrist allerdings grundsätzlich abgelaufen. Insoweit komme es entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) nicht darauf an, ob sie sich hinsichtlich der Möglichkeit der Anfechtung und daran anknüpfend über den Fristbeginn in einem unverschuldeten Irrtum befunden hatte. Dies sei nur maßgeblich für die Frage, ob eine Anfechtung i.S.d. § 121 BGB unverzüglich erklärt wurde (Palandt/Ellenberger, § 121 BGB Rn. 3). Der Fristbeginn als solcher werde durch den Irrtum indes nicht gehindert (RGZ 132,1,5; KG Berlin, ZEV 2004,283; BayOblG NJW-RR 1993,780 und FamRZ 1998, 924; OLG Hamm, OLGZ 1985,286; MüKo/Leipold,  § 1956 Rn. 8).

Auf die weitergehende, umstrittene Frage, ob in einer solchen Konstellation die Anfechtung der Versäumung der Anfechtungsfrist nach § 1954 BGB entsprechend § 1956 BGB in Betracht kommen könnte (vgl. hierzu BeckOK BGB Hau/Poseck, § 1956 Rn. 4) und ob vorliegend die Anfechtung der Ausschlagung ergänzend als Anfechtung der Versäumung der Anfechtungsfrist hätte ausgelegt werden können, komme es indes nicht an, da bereits kein Anfechtungsgrund bestehe.

III. Fazit

Die Frage, ob bei einer sogenannten "lenkenden Ausschlagung" der Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum als Inhaltsirrtum darstellt, ist in Rechtsprechung und Literatur immer noch umstritten. Eine höchstgerichtliche Klärung der Frage steht noch aus.

Das OLG Frankfurt a.M. musste sich vorliegend indes nicht mit dieser Frage befassen, sondern stellt in überzeugender dogmatischer Weise dar, dass in jedem Fall der Irrtum des Ausschlagenden darüber, dass nach einer weiteren Ausschlagung durch einen der Nächstberufenen die Erbschaft bei einer bestimmten Person anfällt, nur einen unbeachtlichen Motivirrtum darstellt. Auch die instruktiven Ausführungen zum Beginn der Anfechtungsfrist verdienen Beachtung.


Rezension des Beschlusses des OLG Frankfurt  v. 06.02.2021 - 21 W 167/20; „Ausschlagung / Anfechtung / Irrtum über die Person des Nächstberufenen", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr. 6  Juni 2021, S.330  ff


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