Ausschlagungsfrist; Beginn; Kenntnis; Berufungsgrund; gesetzliche Erbfolge

Leitsätze:

  1. Die Ausschlagungsfrist nach § 1944 Abs. 1 BGB beginnt erst dann zu laufen, wenn der Erbe nicht nur Kenntnis von dem Erbfall, sondern auch von dem konkreten einschlägigen Berufungsgrund (Gesetz, letztwillige Verfügung oder Erbvertrag) hat. (amtlicher Leitsatz)
  2. Im Fall gesetzlicher Erbfolge ist Kenntnis vom Berufungsgrund dann anzunehmen, wenn dem Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen und seiner subjektiven Sicht keine begründete Vermutung hat oder haben kann, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist. Abgerissene Familienbande können es aus der Sicht des Erben nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Erblasser ihn durch letztwillige Verfügung ausschließen wollte und ausgeschlossen hat. (amtlicher Leitsatz)

OLG Schleswig, Beschluss vom 20.06.2016 - 3 Wx 96/15

BGB § 1944 Abs. 1 u. Abs. 2
FamFG §§ 58 ff., § 84
GNotKG § 40 Abs. 1 Nr. 2, § 61

I. Einführung

Der Erblasser war mit der Beteiligten zu 1) im gesetzlichen Güterstand verheiratet. Die Beteiligten zu 2) bis 4) sind die Kinder aus ihrer Ehe und die einzigen Abkömmlinge des Erblassers. Der Erblasser verstarb im Jahre 2014. Der Beteiligte zu 2) ist nachverstorben.

Die Beteiligte zu 1) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach der Erblasser von ihr zu 1/2 und von den Beteiligten zu 2) bis 4) zu jeweils 1/6 beerbt worden ist. Darin heißt es u. a., dass der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen habe.

Das Amtsgericht informierte mit Schreiben vom 03.03.2015 die Beteiligten zu 2) bis 4) über diesen Antrag durch Übersendung einer Abschrift desselben und gab ihnen Gelegenheit, innerhalb einer Frist von 10 Tagen etwaige Bedenken gegen den Antrag mitzuteilen.

Die Beteiligten zu 3) und 4) erklärten am 11.03.2015 zu Protokoll des Amtsgerichts die Ausschlagung der Erbschaft. In dem Protokoll heißt es zuvor:

Von meiner/unserer Berufung habe(n) wir Kenntnis seit Erhalt der gerichtlichen Schreiben vom 03.03.2015 in der Erbschaftssache. Bis dahin sind wir davon ausgegangen, dass unsere Mutter, B, als Ehefrau des Verstorbenen dessen Alleinerbin geworden ist“.

Die Beteiligte zu 1) hat in dem Erbscheinsverfahren vorgetragen, die Ausschlagungserklärungen der Beteiligten zu 3) und 4) seien nicht wirksam. Die Frist zu einer Ausschlagung sei bereits abgelaufen gewesen. Sie habe die Beteiligten zu 3) und 4) unmittelbar nach dem Ableben des Erblassers telefonisch über den Eintritt des Erbfalls informiert und dabei darauf hingewiesen, dass eine letztwillige Verfügung des Erblassers nicht bestehe und ggf. eine Ausschlagung erfolgen müsse, wenn sie, die Beteiligten zu 3) und 4), mit dem Nachlass nichts zu tun haben wollten.

Die Beteiligten zu 3) und 4) haben vorgetragen, die Beteiligte zu 1) habe am Abend des 17.08.2014 nur die Beteiligte zu 4) angerufen und diese über den Tod des Erblassers informiert. Sie hätten jeweils seit vielen Jahren nur noch sporadischen Kontakt zu ihren Eltern gehabt.

Das Amtsgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen, die Ausschlagungserklärungen der Beteiligten zu 3) und 4) seien wirksam. Der Lauf der Frist zur Ausschlagung habe erst begonnen, als sie das Schreiben des Amtsgerichts erhalten hätten. Nach dem Vorbringen der Beteiligten zu 3) und 4) könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie zuvor Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grunde ihrer Berufung gehabt hätten (§ 1944 Abs. 2 BGB).

Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt. Die Beteiligten zu 3) und 4) treten der Beschwerde entgegen.

II. Problem

Das OLG Schleswig erachtete die Beschwerde als unbegründet. Das Amtsgericht habe ihren Erbscheinsantrag im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, da die Beteiligten zu 3) und 4) aufgrund rechtzeitiger Ausschlagung nicht Erben nach dem Erblasser geworden seien.

Allerdings habe sich das Amtsgericht bei seiner Entscheidung über den anwaltlichen Vortrag der Beschwerdeführerin hinweggesetzt und diesen Vortrag nicht beachtet. Es habe den unterschiedlichen Darstellungen der Beteiligten zu den Telefonaten am Abend des Todes des Erblassers ersichtlich nachgehen und die Beteiligten anhören müssen. Dies hat der Senat im Beschwerdeverfahren nachgeholt.

Nach dem Ergebnis der Anhörung kommt der Senat zu dem Schluss, dass die Beteiligten zu 3) und 4) die Erbschaft rechtzeitig ausgeschlagen haben.

Nach § 1944 Abs. 1 BGB könne die Ausschlagung nur binnen sechs Wochen erfolgen. Die Frist beginne aber nach § 1944 Abs. 2 BGB erst mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Allgemein setze Kenntnis ein zuverlässiges Erfahren der in Betracht kommenden Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln erwartet werden kann.

Entscheidend sei hier die Kenntnis der Beteiligten zu 3) und 4) vom Grunde der Berufung. Es sei im Ausgangspunkt allgemeine Meinung, dass der Erbe Kenntnis von dem konkreten einschlägigen Berufungsgrund (Gesetz, letztwillige Verfügung oder Erbvertrag) haben muss (MüKo/Leipold, § 1944 Rn. 3). Nach der Rechtsprechung würden in dem hier einschlägigen Fall gesetzlicher Erbfolge folgende Grundsätze gelten: Kenntnis vom Berufungsgrund sei grundsätzlich dann anzunehmen, wenn dem gesetzlichen Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen keine begründete Vermutung haben kann oder hat, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist (OLG Rostock NJW-RR 2012, 1356 und FamRZ 2010, 1597; OLG Zweibrücken NJW-RR 2006, 1594; OLG Brandenburg FamRZ 1998, 1619; BayObLG NJW 1953, 1431; Erman/Schmidt, § 1944 Rn. 6; MüKo/Leipold, § 1944 Rn. 9; Palandt/Weidlich, § 1944 Rn. 4).

Dabei komme es auf die Umstände des Einzelfalls, also auf die Verhältnisse und die Persönlichkeit des fraglichen Erben und dessen subjektive Sicht an (BGH WM 1968, 542; OLG Rostock FamRZ 2010, 1597; OLG Zweibrücken NJW-RR 2006, 1594). So hätten die Oberlandesgerichte Rostock und Zweibrücken ausgeführt, dass dem Erben die Kenntnis von seiner Berufung fehlen kann, wenn die Bande innerhalb der Familie vor dem Erbfall längere Zeit abgerissen waren und er deshalb zu der Frage, ob der Erblasser ihn von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hat, auf bloße Mutmaßungen ohne realen Hintergrund angewiesen ist. Dabei könnten die abgerissenen Familienbande es aus der Sicht des Erben nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Erblasser ihn durch letztwillige Verfügung ausschließen wollte und ausgeschlossen hat. Dieser Rechtsprechung folge der Senat auch für den vorliegenden Fall.

Allerdings hätten die Beteiligten zu 3) und 4) von dem Berufungsgrund schon am Abend des Todes des Erblassers Kenntnis erhalten, wenn der Vortrag der Beschwerdeführerin zutreffend wäre, dass die Beschwerdeführerin ihren beiden Kindern am 17.08.2014 jeweils telefonisch mitgeteilt hat, der Erblasser sei verstorben und habe keine letztwillige Verfügung hinterlassen. Indes habe die Beschwerdeführerin dies gerade nicht bestätigen können.

Danach gebe es keinen Anhaltspunkt, dass die Beteiligten zu 3) und 4) schon vor Zugang des gerichtlichen Schreibens Kenntnis von dem Berufungsgrund - gesetzliche Erbfolge - gehabt haben. Sie hätten mit Rücksicht auf die zerrissene Familienbande und den langjährig gestörten Kontakt zu ihren Eltern annehmen bzw. mutmaßen dürfen, dass sie aufgrund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Nach den Umständen durften sie aus ihrer Sicht begründet vermuten, dass es eine sie ausschließende letztwillige Verfügung des Erblassers gibt.

III. Fazit

Der Beginn der Frist zur Ausschlagung einer Erbschaft setzt Kenntnis vom Erbfall und dem Grund der Berufung voraus. Der Nachweis der Kenntnis ist insbesondere dann, wenn der Erblasser kein Testament hinterlassen hat und somit die gesetzliche Erbfolge eintritt, problematisch.

Abgesehen von einer entsprechenden verlässlichen Information durch das Nachlassgericht oder Dritte wird die Kenntnis vom Berufungsgrund grundsätzlich dann angenommen, wenn dem gesetzlichen Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen keine begründete Vermutung haben kann oder hat, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist.

Im Rahmen der Prüfung dieser Gesamtumstände ist, wie vorliegend, zu berücksichtigen, dass beispielsweise abgerissene Familienbande es für den Erben nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen können, dass der Erblasser ihn durch letztwillige Verfügung ausschließen wollte und ausgeschlossen hat.

 


Rezension des Beschlusses des OLG Schleswig v. 20.06.2016 - 3 Wx 96/15 „Ausschlagungsfrist / Beginn / Kenntnis / Berufungsgrund / Gesetzliche Erbfolge", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.2 Februar 2017, S.110 f


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