Beeinträchtigende Schenkung; Nießbrauch, Rücktrittsrecht; Pflegeverpflichtung
Leitsatz:
- Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 2287 I BGB muss zwischen dem Vorliegen einer Schenkung einerseits und der Absicht des Erblassers, den Vertragserben zu beeinträchtigen, andererseits unterschieden werden.
- Ein in einem Grundstücksübertragungsvertrag vorbehaltener Nießbrauch sowie eine übernommene Pflegeverpflichtung sind bereits bei der Prüfung, ob eine (gemischte) Schenkung vorliegt, zu berücksichtigen.
BGH, Urteil vom 28.09.2016 - IV ZR 513/15
BGB § 516, § 2287 Abs. 1, § 2325 Abs. 2, Abs. 3 S. 2
BewG § 14 Anlage 9
I. Einführung
Der Kläger begehrt von der Beklagten, seiner Schwester, Zahlung wegen einer beeinträchtigenden Schenkung. Die Eltern der Parteien setzten sich im Testament wechselseitig zu Erben sowie die Parteien zu gleichen Teilen als Erben des Längstlebenden ein. Nach dem Tod der Mutter übertrug der 1928 geborene Vater der Parteien (der Erblasser) mit Vertrag aus dem Jahre 1999 sein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück auf die Beklagte. Der Erblasser behielt sich an dem gesamten Grundstück ein lebenslanges Nießbrauchsrecht sowie ein unter näher genannten Voraussetzungen ausübbares vertragliches Rücktrittsrecht vor. Ferner verpflichtete sich die Beklagte, den Erblasser "Zeit seines Lebens in gesunden und kranken Tagen, jedoch nur bei Bedarf, in seiner Wohnung vollständig und unentgeltlich zu pflegen und zu betreuen bzw. ihn kostenlos pflegen und betreuen zu lassen". Der Verkehrswert des Grundstücks wurde mit 140.000 DM angegeben. Der Erblasser verstarb 2012. Er hatte bis kurz vor seinem Tod in dem Haus gewohnt, ohne pflegebedürftig geworden zu sein. Nach seinem Tod veräußerte die Beklagte das Grundstück für 120.000 €.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 60.000 € nebst Zinsen wegen der nach seiner Auffassung beeinträchtigenden Schenkung des Grundstücks in Anspruch. Die Beklagte meint, wegen des vertraglich vereinbarten Nießbrauchs, des Rücktrittsvorbehalts und der Pflegeverpflichtung liege bereits keine Schenkung vor. Außerdem habe der Erblasser wegen der Pflegeverpflichtung ein lebzeitiges Eigeninteresse an der Übertragung des Grundstücks gehabt.
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 60.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Kammergericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt sie weiterhin die Abweisung der Klage.
II. Problem
Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Nach Ansicht des BGH sei das Berufungsgericht noch zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB wegen einer beeinträchtigenden Schenkung zustehen könnte. Die Regelung sei auf wechselbezügliche letztwillige Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments, das nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten unwiderruflich geworden ist, entsprechend anzuwenden.
Ein Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB setze zunächst das Vorliegen einer Schenkung voraus, unter der eine solche im Sinne von § 516 BGB zu verstehen ist. Das Berufungsgericht habe jedoch bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 2287 Abs. 1 BGB nicht zwischen dem Vorliegen einer (gemischten) Schenkung einerseits und der Absicht des Erblassers, den Vertragserben zu beeinträchtigen andererseits getrennt. Es handele sich um zwei selbständige Tatbestandsvoraussetzungen, die unabhängig voneinander vorliegen müssen.
Insbesondere sei zu beachten, dass dingliche Belastungen und damit auch ein vorbehaltener Nießbrauch von vornherein den Wert eines schenkungsweise zugewendeten Grundstücks mindern und daher bei der Berechnung des Werts in Abzug zu bringen sind (BGH ZEV 1996, 197; NJ 2000, 598; BGHZ 107, 156, 159 f.). Auf die Wertungen des § 2325 BGB komme es hier nicht an, da sich die dortigen Fragen bei § 2287 BGB nicht stellen.
Der vorbehaltene Nießbrauch sei mit dem kapitalisierten Wert der hieraus zu ziehenden Nutzungen anzusetzen. Zur Kapitalisierung sei der jährliche Nettoertrag des Nießbrauchs mit der Lebenserwartung des Nießbrauchers auf der Grundlage des Vervielfältigungsfaktors gemäß Anlage 9 zu § 14 Bewertungsgesetz zu multiplizieren. Hieraus ergebe sich für den im Zeitpunkt der Grundstücksübertragung 71 -jährigen Erblasser ein Vervielfältigungsfaktor von 7,206.
Auch die im Überlassungsvertrag von der Beklagten übernommene Pflegeverpflichtung sei zu berücksichtigen, da der maßgebliche Zeitpunkt für die Berechnung des Wertes der vertraglich versprochenen Pflegeleistungen der Vertragsabschluss ist (BGH NJ 2000, 598; OLG Celle FamRZ 2009, 462, 463; OLG Koblenz ZEV 2002, 460, 461). Maßgebend für die Bewertung sei nicht die spätere tatsächliche Entwicklung der Umstände, insbesondere eine eingetretene Pflegebedürftigkeit des Erblassers, sondern die Prognoseentscheidung der Parteien anhand einer subjektiven Bewertung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Hier könne eine Berechnung anhand des Produktes von Vervielfältigungsfaktor gemäß Anlage 9 zu § 14 Bewertungsgesetz in Verbindung mit der jährlichen Pflegeleistung vorgenommen werden (vgl. OLG Celle FamRZ 2009, 462, 463; zu anderen Möglichkeiten der Berechnung vgl. DeutschErbRK-Gemmer, § 2325 Rn. 26).
Schließlich sei auch noch zu bewerten, ob und inwieweit das dem Erblasser vorbehaltene Rücktrittsrecht vom Vertrag als wirtschaftlicher Nachteil wertmindernd in Rechnung zu stellen ist (vgl. OLG Koblenz ZEV 2002, 460, 461). Das dem Erblasser vorbehaltene Rücktrittsrecht, welches er nur unter bestimmten Voraussetzungen ausüben darf, führe nicht dazu, dass von einer Schenkung bereits von vornherein nicht mit Abschluss des Übergabevertrages im Jahre 1999, sondern erst mit dem Tod des Erblassers auszugehen wäre.
Sollte das Berufungsgericht auf der Grundlage der nachzuholenden Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, dass eine - zumindest gemischte - Schenkung im Sinne des § 2287 BGB vorliegt, so werde es weiter zu prüfen haben, ob der Erblasser hierbei in der Absicht gehandelt hat, den Kläger zu beeinträchtigen. Erforderlich hierfür sei, dass der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat. Ein solcher Missbrauch liege nicht vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung hatte (BGH ZEV 2012, 37). Ein lebzeitiges Eigeninteresse sei anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint. Ein derartiges Interesse komme etwa dann in Betracht, wenn es dem Erblasser im Alter um seine Versorgung und gegebenenfalls auch Pflege geht (Senatsbeschluss aaO; BGHZ 83, 44, 46; NJW 1982, 43) oder wenn der Erblasser in der Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt. Beweispflichtig für die Schenkung ohne rechtfertigendes lebzeitiges Eigeninteresse sei der Vertrags- bzw. Schlusserbe.
Allein aus dem Umstand, dass eine Pflege durch den Beschenkten nur bei Bedarf erfolgen soll, könne nicht auf ein fehlendes lebzeitiges Eigeninteresse des Schenkers geschlossen werden. Das Bedürfnis eines alleinstehenden Erblassers nach einer seinen persönlichen Vorstellungen entsprechenden Versorgung und Pflege im Alter sei auch dann ein vom Vertragserben anzuerkennendes lebzeitiges Eigeninteresse, wenn der Erblasser es dadurch zu verwirklichen sucht, dass er eine ihm nahestehende Person durch eine Schenkung an sich bindet (vgl. BGH NJW 1992, 2630). Anderes komme in Betracht, wenn der darlegungs- und beweispflichtige Kläger nachweist, dass entweder ein lebzeitiges Eigeninteresse überhaupt nicht bestand oder die vorgebrachten Gründe den Erblasser in Wahrheit nicht zu der benachteiligenden Schenkung bewogen haben (BGHZ 82, 274, 282).
Der Senat wies für das weitere Verfahren darauf hin, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse nicht zwingend für den gesamten Schenkungsgegenstand angenommen werden muss, sondern auch lediglich einen Teil der Schenkung zu rechtfertigen und insoweit einen Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsmacht auszuschließen vermag (BGH ZEV 2012, 37 Rn. 14). Hierbei seien die Grundsätze der gemischten Schenkung entsprechend anzuwenden, wobei allerdings keine rein rechnerische Gegenüberstellung des Wertes der erbrachten Leistungen mit dem Grundstückswert vorzunehmen ist. Vielmehr habe auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Leistungen in Zukunft erfolgen sollen und der Erblasser sich ihm erbrachte oder zu erbringende Leistungen "etwas kosten lassen darf", eine umfassende Gesamtabwägung zu erfolgen.
Sollte sich auf dieser Grundlage ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 2287 Abs. 1 BGB ergeben, sei zu beachten, dass es hinsichtlich der Wertberechnung des Grundstücks nicht auf den Zeitpunkt des Erbfalles, sondern auf die Wertverhältnisse zur Zeit der Zuwendung, unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes, ankommt BGHZ 82, 274, 278 f.; BGHZ 65, 75, 77).
III. Fazit
Das sehr instruktive Urteil des BGH beschäftigt sich mit der Thematik der beeinträchtigenden Schenkung.
Es betont insbesondere die Notwendigkeit einer differenzierten Prüfung der Voraussetzungen des Vorliegens einer (gemischten) Schenkung einerseits und der Beeinträchtigungsabsicht andererseits.
Die Entscheidung zeigt auf, dass die im Rahmen dieser Fallgestaltung typischerweise auftretenden Elemente des Nießbrauchs oder der Pflegeverpflichtung schon bei der Prüfung des Vorliegens einer Schenkung zu berücksichtigen sind.
Rezension des Urteils des BGH v. 28.09.2016 - IV ZR 513/15 „Beeinträchtigende Schenkung / Nießbrauch / Rücktritssrecht / Pflegeverpflichtung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.1 Januar 2017, S.49 f