Erbausschlagung; Brasilien

Amtliche Leitsätze:

  1. Die Form einer in Brasilien erklärten Ausschlagung der Erbschaft nach einem in Deutschland verstorbenen Erblasser richtet sich alternativ nach brasilianischem Recht (Ortsform) oder nach deutschem Recht (das anzuwendende Erbrecht).
  2. Die notwendige notarielle Beglaubigung der Unterschrift des Ausschlagenden kann im Wege der Substitution durch die Beglaubigung einer vergleichbaren autorisierten Person des brasilianischen Rechts ersetzt werden.

OLG Köln (2. Zivilsenat), Beschluss vom 14.07.2021 – 2 Wx 119/21

EGBGB Art. 11 Abs. 1
EuErbVO Art. 28
BGB § 1944, § 1945

I. Einführung

Die Erblasserin ist im Jahr 2020 verstorben. Ihr Ehemann ist wenige Tage zuvor vorverstorben. Die Erblasserin und ihr Ehemann hatten im Jahr 1985 einen vom Nachlassgericht eröffneten Erbvertrag geschlossen, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt und darüber hinaus keine weiteren Verfügungen getroffen haben.

Die Erblasserin hinterlässt keine Kinder. Ihre Eltern sind vorverstorben. Die Erblasserin hat zwei Geschwister, die vorverstorbene A. und M. Die vorverstorbene A. hat zwei Kinder hinterlassen, Herrn W. und die Antragstellerin. Herr W. hat die Erbschaft durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht ausgeschlagen. Weiterhin ist zur Akte gereicht worden eine Ausschlagungserklärung der in Brasilien lebenden M. in portugiesischer Sprache mit beglaubigter deutscher Übersetzung, die von Frau S., einer „autorisierten Schreiberin im außergerichtlichen Dienst“ in Sao Luis, beglaubigt worden ist, wobei die Beglaubigung wiederum „überbeglaubigt“ und mit einer Apostille versehen worden ist.

Die Beteiligte hat die Erteilung eines Alleinerbscheins nach gesetzlicher Erbfolge beantragt.

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Beteiligten zurückgewiesen, weil die erforderliche Form der Ausschlagungserklärung nicht gewahrt sei. Nach deutschem Recht sei eine Beglaubigung durch einen deutschen Notar oder ein deutsches Konsulat oder die deutsche Botschaft erforderlich. Nach der Ortsform, dem brasilianischen Recht, sei eine öffentliche Beurkundung erforderlich, die hier ebenfalls nicht eingehalten worden sei.

Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte Beschwerde eingelegt. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Köln zur Entscheidung vorgelegt.

II. Problem

Das OLG Köln erachtete die Beschwerde als zulässig und auch in der Sache als erfolgreich.

Der Antrag der Beteiligten auf Erteilung eines Alleinerbscheins nach gesetzlicher Erbfolge sei entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts begründet.

Die Beteiligte sei Alleinerbin der Erblasserin nach gesetzlicher Erbfolge. Die gewillkürte Erbfolge komme nicht zum Tragen, da die Einsetzung ihres Ehemannes als Alleinerben durch den Erbvertrag infolge seines Vorversterbens und mangels Einsetzung von Ersatzerben gegenstandslos sei. Da Erben erster Ordnung (§§ 1924, 1930 BGB) nicht vorhanden und die Eltern der Erblasserin vorverstorben seien, würden als Erben zweiter Ordnung gem. § 1925 BGB nur die noch lebende Schwester M., sowie die Beteiligte und W., als Kinder der vorverstorbenen weiteren Schwester der Erblasserin in Betracht kommen. M. und W. seien indes infolge ihrer Ausschlagungserklärungen als Erben gem. § 1953 Abs. 1 BGB weggefallen.

Die Ausschlagungserklärung des W. sei formgerecht zur Niederschrift des Nachlassgerichts gem. § 1945 Abs. 1 BGB und fristgerecht gem. §§ 1944 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 1945 Abs. 1 BGB erfolgt. Abkömmlinge habe W. nicht, so dass sein Erbteil gem. § 1953 Abs. 2 BGB an die Beteiligte falle.

Auch die Ausschlagung der M. sei wirksam. Die Ausschlagung sei fristgerecht erfolgt. Sie lebe im Ausland, so dass die Ausschlagungsfrist gem. § 1944 Abs. 3 BGB sechs Monate betrage.

Die Ausschlagung der M. sei auch formgerecht erklärt worden. Dabei könne offenbleiben, ob sich die Bestimmung des auf die Form der Ausschlagung anwendbaren Rechts nach Art. 28 EuErbVO oder Art. 11 Abs. 1 EGBGB richtet, da nach beiden Vorschriften auf die Form alternativ brasilianisches Recht (Ortsform) und deutsches Recht (das anzuwendende Erbrecht) zur Anwendung komme. Die Ortsform sei allerdings nicht gewahrt, weil nach brasilianischem Recht (Art. 1806 Zivilgesetzbuch) eine Ausschlagungserklärung mittels öffentlicher Urkunde oder zu Protokoll des Gerichts erfolgen müsse. Hier sei die Ausschlagungserklärung weder mittels öffentlicher Urkunde noch zu Protokoll eines Gerichts erfolgt.

Die Form der Ausschlagung sei allerdings nach deutschem Recht, dem auf die Erbfolge anwendbaren Recht (Art. 28 EuErbVO, Art. 11 Abs. 1 EGBGB), gewahrt. Nach § 1945 Abs. 1 BGB sei die Ausschlagung gegenüber dem Nachlassgericht entweder zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. Hier liege die Ausschlagung in öffentlich beglaubigter Form vor. Zwar sei davon auszugehen, dass die öffentliche Beglaubigung im Sinne von § 1945 Abs. 1 2. Hs. Alt. 2 BGB grundsätzlich die Beglaubigung durch einen deutschen Notar meint. Allerdings sei die Beglaubigung der Unterschrift der Ausschlagungserklärung der M. durch einen deutschen Notar im vorliegenden Fall im Wege der Substitution durch die Beglaubigung einer vergleichbaren autorisierten Person im Sinne des brasilianischen Rechts ersetzt worden.

Bei der Substitution stelle sich die Frage, ob ein von einer in- oder ausländischen Norm vorausgesetztes Tatbestandsmerkmal auch dadurch erfüllt werden kann, dass es sich im Geltungsbereich eines nicht berufenen Rechts verwirklicht. Die Substitution hänge nach allgemeiner Ansicht davon ab, ob das in Frage stehende ausländische Rechtsinstitut dem an sich vorausgesetzten inländischen Rechtsinstitut nach der ratio der Norm bezüglich der beurkundenden Person und des Beurkundungsvorgangs funktional gleichwertig ist (Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1219, 1220 m.w.N.; Palandt/Thorn, Art. 11 EGBGB Rn. 9 m.w.N.; Schmidt/Kottke, ErbR 2021, 10, 16). Von einer solchen Gleichwertigkeit sei hier auszugehen.

Die Aufgaben der brasilianischen Notare würden den typischen Aufgaben lateinischer Notare entsprechen. Dazu würden u.a. auch Unterschriftsbeglaubigungen gehören. Dabei seien die Notare in Brasilien befugt, sogenannte Schreiber („escreventes“) als Vertreter zu beschäftigen, die gesetzlich befugt seien, bestimmte notarielle Akte durchzuführen (Art. 20 des Gesetzes Nr. 8.935 vom 19.11.1994). Hierzu würden u.a. Unterschriftsbeglaubigungen, nicht aber Beurkundungen, zählen. Dementsprechend sei die Unterschrift der M. nicht nur von einer Schreiberin („escreventes“) beglaubigt worden, sondern deren Beglaubigung wiederum „überbeglaubigt“ worden. Dafür, dass die Schreiberin zur Beglaubigung der Unterschrift der M. befugt war, spreche im Übrigen auch Art. 5 Abs. 2 des (auf brasilianische Urkunden anwendbaren) Haager Übereinkommens zur Befreiung ausländischer Urkunden von der Legalisation. Danach werde durch die Apostille die Echtheit der Unterschrift, die Eigenschaft, in welcher der Unterzeichner der Urkunde gehandelt hat, und gegebenenfalls die Echtheit des Siegels oder Stempels, mit dem die Urkunde versehen ist, nachgewiesen, d.h. die Echtheit des Beglaubigungsvermerks. Soweit das Nachlassgericht die Gleichwertigkeit der Beglaubigung nach brasilianischem Recht mit einer Beglaubigung durch einen deutschen Notar im Hinblick auf die beurkundende Person abgelehnt hat, sei dem nicht zu folgen. Der Zweck des Formerfordernisses einer Unterschriftsbeglaubigung gem. § 1945 BGB besteht allein darin, die Identität des Urhebers der Erklärung festzustellen (MüKo-BGB/Leipold, § 1945 Rn. 1), nicht aber rechtliche Bewertungen wie beispielsweise bei der Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages vorzunehmen. Es komme daher nicht darauf an, ob die Schreiberin („escreventes“) vorliegend eine vergleichbare Ausbildung hat wie ein deutscher Notar. Maßgebend sei vielmehr, dass sie ebenso wie ein deutscher Notar befähigt ist, Beglaubigungen von Unterschriften vorzunehmen, wovon auszugehen ist.

Aufgrund der von der Beteiligten vorgelegten Unterlagen sei weiterhin davon auszugehen, dass auch der Beglaubigungsvorgang ordnungsgemäß erfolgt und mit einer Beglaubigung nach deutschen Recht vergleichbar sei, d.h. M. beim Beglaubigungsvorgang anwesend war und die Schreiberin („escreventes“) die Echtheit ihrer Unterschrift unter der Ausschlagungserklärung festgestellt hat.

III. Fazit

Halten sich alle oder einzelne Erben im Ausland auf, stellen sich oftmals eine Vielzahl von Formfragen bei der Nachlassabwicklung.

Die vorliegende Entscheidung befasst sich in diesem Zusammenhang mit einem interessanten Fall der Beglaubigung nach brasilianischem Recht und die Anforderungen an eine Substitution der Beglaubigung durch einen deutschen Notar.

Das OLG Köln hält hierzu fest, dass die Aufgaben der brasilianischen Notare den typischen Aufgaben lateinischer Notare entsprechen und Beglaubigungen durch deren sogenannte Schreiber („escreventes“) als Vertreter des brasilianischen Notars durchgeführt werden können.


Rezension des Beschlusses des OLG Köln  v. 14.07.2021 - 2 Wx 119/21; „Erbausschlagung / Brasilien", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr. 11  November 2021, S.625 ff


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