Erbschaftsteuer; Nachlassverbindlichkeit; Beschränkung der Erbenhaftung

Amtliche Leitsätze:

  1. Die vom Erben als Gesamtrechtsnachfolger aufgrund Erbanfalls nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 1922 BGB geschuldete Erbschaftsteuer ist eine Nachlassverbindlichkeit (Fortführung des BFH-Urteils vom 20.01.2016 - II R 34/14, BFHE 252, 389, BStBl II 2016, 482).
  2. Eine Beschränkung der Erbenhaftung für Erbschaftsteuerverbindlichkeiten ist nach § 2059 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
  3. Bei der Inanspruchnahme des Nachlasses nach § 20 Abs. 3 ErbStG besteht ein (Entschließungs-)Ermessen, so dass grundsätzlich keine Verpflichtung zur vorrangigen Inanspruchnahme besteht.

BFH (VII. Senat), Urteil vom 04.06.2019 - VII R 16/18

ErbStG §§ 3, 20 Abs. 1 und Abs. 3
AO § 219
BGB §§ 1922, 2059

I. Einführung

Die Revisionsklägerin ist die Tochter der im Jahr 2015 verstorbenen Erblasserin. Die Erblasserin wurde von der Klägerin und deren Bruder zu einem Anteil von jeweils 1/2 beerbt.

Zum Nachlass der Erblasserin gehörten neben Grundbesitz Geschäftsanteile an einer GmbH sowie hohe Guthaben auf verschiedenen Konten.

Der Revisionsbeklagte (das Finanzamt) setzte gegen die Klägerin Erbschaftsteuer fest. Nachdem die Klägerin gegen diesen Bescheid Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung beantragt hatte, setzte das FA die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids teilweise aus, so dass noch 5.559.381 € zu entrichten waren.

Die Klägerin beantragte, wegen dieser Erbschaftsteuer die Forderungen aus dem auf den Namen der Erblasserin bei der D-Bank AG geführten Konto zu pfänden. Ihr Bruder lehne eine Auseinandersetzung des Nachlasses oder von Teilen des Nachlasses ab. Sie selbst sei zwar vermögend, aber aufgrund Bindung der Mittel nicht in der Lage, die zu entrichtende Erbschaftsteuer aus eigenen Mitteln zu zahlen.

Das FA pfändete mit vier Verfügungen die Forderungen der Klägerin aus ihren Geschäftsbeziehungen zu verschiedenen Banken und ordnete die Einziehung der gepfändeten Forderungen an. Die Drittschuldner zahlten aufgrund der Verfügungen an das FA im Januar 2017 insgesamt 133.510,31 €.

Im März 2017 erließ das FA gegenüber der Klägerin und ihrem Bruder zwei auf § 191 AO, § 20 Abs. 3 ErbStG gestützte Haftungsbescheide, mit denen es beide zur Entrichtung der von der Klägerin noch geschuldeten Erbschaftsteuer in Höhe von 5.193.516,45 € zuzüglich Säumniszuschläge aus dem Nachlass aufforderte. Daraufhin wurden insgesamt 5.661.305,73 € an das FA gezahlt, woraufhin dieses die streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen aufhob.

Der Einspruch der Klägerin gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen war erfolglos. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen rechtswidrig gewesen seien, weil das FA vorrangig den Nachlass im Wege der Haftung nach § 20 Abs. 3 ErbStG hätte in Anspruch nehmen müssen. Das Finanzgericht verneinte eine Verpflichtung des FA, zunächst von der Möglichkeit einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 20 Abs. 3 ErbStG Gebrauch zu machen. Eine Vollstreckung könne im Einzelfall unverhältnismäßig sein, wenn sie den Betroffenen übermäßig belastet, mithin für ihn unzumutbar sei. Einen solchen Nachweis habe die Klägerin nicht erbracht.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Die Klägerin beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und festzustellen, dass die vier Pfändungs- und Einziehungsverfügungen rechtswidrig waren. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Problem

Die Revision wurde vom Bundesfinanzhof zurückgewiesen. Das FG habe zutreffend einen Ermessensfehler des FA bei Erlass der vier Pfändungs- und Einziehungsverfügungen verneint.

Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 AO könnten die Finanzbehörden Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung gefordert wird, im Verwaltungsweg vollstrecken.

Über die Art der Vollstreckungsmaßnahme entscheide die Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO). Diese Ermessensentscheidung sei gemäß § 102 FGO gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze habe das FG zutreffend einen Ermessensfehler des FA verneint.

Das FA habe nicht die Grenzen des Ermessens überschritten, die sich nach Ansicht der Klägerin aus § 20 Abs. 3 ErbStG ergeben sollen. Insbesondere ergebe sich aus § 20 Abs. 3 ErbStG keine Beschränkung der Vollstreckung auf den Nachlass.

Nach § 20 Abs. 3 ErbStG hafte der Nachlass bis zur Auseinandersetzung (§ 2042 BGB) für die Steuer der am Erbfall Beteiligten. Die Vorschrift enthalte damit eine Sicherungsmaßnahme zugunsten der Finanzbehörde (BFH-Urteil in BFHE 252, 389, BStBl II 2016, 482, Rz 18). Letztlich gehe es darum, dass die Erben bis zur vollständigen Erbauseinandersetzung eine Vollstreckung in den Nachlass wegen Ansprüchen aus dem Erbschaftsteuerschuldverhältnis eines Erben dulden müssen (Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 20 Rz 19).

Allerdings enthalte § 20 Abs. 3 ErbStG keine Vorgabe an die Finanzbehörde, primär in den ungeteilten Nachlass vollstrecken zu müssen. Der Vorschrift lasse sich keine Reihenfolge der Vollstreckung und auch keine Verpflichtung des FA entnehmen, umfangreiche Ermittlungen zum Bestand des Nachlasses und zum eigenen Vermögen des Erben anzustellen. Das ergebe sich insbesondere aus dem allgemeinen Verständnis von Steuerschuldner und Haftungsschuldner und dem Grundsatz der Subsidiarität, den § 219 Satz 1 AO zum Ausdruck bringe (vgl. Senatsbeschluss vom 16.03.1995 - VII S 39/92, BFH/NV 1995, 950, und Senatsurteil vom 23.09.2009 - VII R 43/08, BFHE 226, 391, BStBl II 2010, 215, m.w.N.).

Nach dem auch für die Haftungsschuld gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG geltenden § 219 Satz 1 AO dürfe ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Für die subsidiäre Inanspruchnahme des Haftungsschuldners sei ausreichend, dass die Finanzbehörde zu der Annahme gelangt, dass eine Vollstreckung ohne Erfolg sein wird. Eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Erfolglosigkeit von Vollstreckungsversuchen brauche nicht vorzuliegen (Jatzke in Gosch, AO § 219 Rz 10). Ebenso wenig bedürfe es des Nachweises der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung, evtl. durch erfolglose Vollstreckungsversuche (Senatsbeschluss vom 24.04.2008 - VII B 262/07, BFH/NV 2008, 1448).

Eine Inanspruchnahme des Steuerschuldners sei grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei, wenn neben diesem ein Haftungsschuldner für die Steuerschuld einzustehen hat (Senatsbeschluss vom 08.07.2004 - VII B 257/03, BFH/NV 2004, 1513). Bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners bestehe ein (Entschließungs-)Ermessen, eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme bestehe grundsätzlich nicht (Jatzke in Gosch, AO § 191 Rz 17, mit Verweis auf die ausdrückliche Ausnahme in § 13c Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes). Die Klägerin habe kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung darüber, ob nicht statt ihrer der Nachlass als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 1513).

Aus der Haftungsbeschränkung nach § 2059 Abs. 1 BGB könne die Klägerin keine Beschränkung der Vollstreckung zu ihren Gunsten herleiten, weil diese Einrede auf die Erbschaftsteuerschuld nicht anwendbar sei.

Nach § 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB könne jeder Miterbe bis zur Teilung des Nachlasses die Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten aus dem Vermögen, das er außer seinem Anteil am Nachlass hat, verweigern.

Zu den Nachlassverbindlichkeiten würden nach § 1967 Abs. 2 BGB die vom Erblasser herrührenden Schulden und die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten gehören. Zu den ersteren würden u.a. die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 45 Abs. 1 AO, § 1922 BGB) auf den Erben übergegangenen Steuer- und Haftungsschulden des Erblassers (Erblasserschulden) zählen, während die zweite Gruppe die aus Anlass des Erbfalls entstandenen Schulden (Erbfallschulden) betreffe, zu denen – neben den im Gesetz genannten Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen – auch die Erbschaftsteuer (§ 9 Abs. 1, § 20 ErbStG) zu rechnen sei (Senatsurteil vom 28.04.1992 - VII R 33/91, BFHE 168, 206, BStBl II 1992, 781, unter 3.b).

  • 2059 BGB gelte nicht nur für gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten, sondern auch für sogenannte Erbteilverbindlichkeiten, die keine gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten seien, da nur einzelne Miterben beschwert seien. Schuldner der Erbschaftsteuer sei nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 ErbStG nur der jeweilige Erwerber (Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 20 Rz 50; Jochum in Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 20 Rz 79), weshalb es sich um eine solche Erbteilverbindlichkeit handelt.

Allerdings ergebe sich aus dem Rechtsgedanken des § 2059 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass diese Einrede dem Erben im Hinblick auf seine persönliche Erbschaftsteuerschuld nicht zustehe. Nach § 2059 Abs. 1 Satz 2 BGB stehe dem Erben die Einrede in Ansehung des seinem Erbteil entsprechenden Teils der Verbindlichkeit nicht zu, wenn er für eine Nachlassverbindlichkeit unbeschränkt haftet. Das sei vorliegend gegeben, weil die Klägerin als Erbin allein und unbeschränkt die Erbschaftsteuer schuldet (§ 20 Abs. 1 ErbStG).

Das FA habe schließlich auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.

Unter Anwendung der oben dargestellten Grundsätze seien die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen als Vollstreckungsmaßnahmen geeignet gewesen, weil die Klägerin nach den Erkenntnissen des FA über Forderungen gegen Drittschuldner (Banken) verfügte und die Maßnahme deshalb nicht aussichtslos war. Die Maßnahmen seien auch erforderlich gewesen, um die ausstehenden Erbschaftsteuerschulden –wenn auch nicht in vollem Umfang – zu tilgen. Ein milderes Mittel sei nicht erkennbar. Insbesondere könne das FA nicht darauf verwiesen werden, zuerst gegen den Nachlass als Haftungsschuldner vollstrecken zu müssen (siehe oben). Schließlich sei die Vollstreckung der Klägerin zumutbar. Zwar führe die Pfändung eines Kontoguthabens bei einem Kreditinstitut (§ 309 Abs. 3 Satz 1 AO, § 833a ZPO) faktisch zu einer Kontosperrung. Dieser besonderen Situation habe der Gesetzgeber jedoch durch die Schaffung eines Pfändungsschutzkontos Rechnung getragen, das auf Antrag des Schuldners nach § 850k ZPO eingerichtet werden könne (Senatsurteil vom 16.05.2017 - VII R 5/16, BFHE 258, 105, BStBl II 2018, 735, Rz 11).

Ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Ausnahmefällen eine vorrangige Vollstreckung in den Nachlass gebietet, z.B. wenn der Steuerschuldner darlegen kann, dass eine Vollstreckung in sein eigenes Vermögen aussichtlos wäre, konnte der Senat vorliegend offenlassen.

III. Fazit

Die Entscheidung verdeutlicht, dass es kein zwingendes gesetzliches Stufenverhältnis der Haftungsmassen bzgl. Erbschaftsteuerschulden gibt. Die Vollstreckung in die Privatvermögen der Erben kann hierbei empfindliche Nachteile mit sich bringen, insbesondere, wenn in Gesellschaftsanteile vollstreckt wird.

Insbesondere bei hohen Summen kann sich daher eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Finanzbehörden lohnen. Daneben zeigen die vorliegend bestehenden Auseinandersetzungsschwierigkeiten zwischen den Geschwistern erneut, dass von Erblasserseite auch an die Möglichkeit der Anordnung einer Testamentsvollstreckung gedacht werden sollte, um derartigen Schwierigkeiten, gerade bei komplexen Erbmassen, zu begegnen.


Rezension des Urteils des BFH v. 04.06.2019 - VII R 16/18 FG Düsseldorf „Erbschaftsteuer / Nachlassverbindlichkeit / Beschränkung der Erbenhaftung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.01 Januar 2020, S.59 f


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