Erbschaftsteuer; Vorerbfall

Leitsätze:

Die Erbschaftsteuer für den Vorerbfall ist nach dem Tod des Vorerben regelmäßig gegen den Nacherben und nur ausnahmsweise gegen den Erben des Vorerben festzusetzen. (amtlicher Leitsatz)

BFH, Urt. vom 13.04.2016 - II R 55/14

ErbStG § 6, § 10 Abs. 8, § 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4
BGB § 1967, § 2100, § 2139, § 2145
AO § 5, § 44 Abs. 1, § 121, § 126 Abs. 1 Nr. 2

I. Einführung

Die Klägerin und Revisionsklägerin ist die Alleinerbin der im Januar 2012 verstorbenen Erblasserin, die ihrerseits alleinige Vorerbin ihres im Jahr 2007 verstorbenen Ehemannes E war. Bis zu dem mit dem Tod der Vorerbin eingetretenen Nacherbfall war Testamentsvollstreckung angeordnet. Nacherbin ist die Tochter des E.

Nachdem der Testamentsvollstrecker im Februar 2010 die vom Beklagten und Revisionsbeklagten angeforderte Erbschaftsteuererklärung eingereicht hatte, setzte das FA die Erbschaftsteuer für den Vorerbfall durch Bescheid gegen die Klägerin fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht wies die auf Aufhebung der Steuerbescheide und der Einspruchsentscheidung gerichtete Klage mit der Begründung ab, das FA habe die Erbschaftsteuer zu Recht gegen die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der Vorerbin und nicht gegen die Nacherbin festgesetzt. Dem stehe die angeordnete Testamentsvollstreckung nicht entgegen. Die Klägerin könne von der Nacherbin eine Befreiung von der Steuerschuld oder Ersatz für die aus eigenem Vermögen geleistete Steuer verlangen.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 6 Abs. 1 und 2 sowie § 20 Abs. 1 und 4 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG). Die Erbschaftsteuer habe nicht gegen sie festgesetzt werden dürfen. Steuerschuldnerin sei vielmehr die Nacherbin.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, den Erbschaftsteuerbescheid und die vorangegangenen Erbschaftsteuerbescheide aufzuheben.

II. Problem

Die Revision wurde vom BFH als begründet erachtet.

Entgegen der Ansicht des FG seien die gegen die Klägerin ergangenen Steuerfestsetzungen rechtswidrig und verletzen sie in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 102 Satz 1 FGO).

Der Vorerbe gelte nach § 6 Abs. 1 ErbStG als Erbe. Er erwerbe den Nachlass gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG von Todes wegen und schulde daher nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Erbschaftsteuer für diesen Erwerb. Das Erbschaftsteuerrecht knüpfe damit an die zivilrechtliche Stellung des Vorerben an, der gemäß § 2100 BGB bis zum Eintritt der Nacherbfolge Erbe ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Besteuerung des Erwerbs des Vorerben bestünden nicht (BFH/NV 2007, 242). Im Innenverhältnis habe nach § 20 Abs. 4 ErbStG der Nacherbe die durch den Vorerbfall veranlasste Erbschaftsteuer zu tragen (BFHE 105, 44, 49, BStBl II 1972, 462, zu dem mit § 20 Abs. 4 ErbStG wörtlich übereinstimmenden § 15 Abs. 4 ErbStG 1925).

Mit dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge höre der Vorerbe nach § 2139 BGB auf, Erbe zu sein, und die Erbschaft falle dem Nacherben an. Der Nacherbe sei Erbe des ursprünglichen Erblassers. Er hafte nach § 1967 Abs. 1 und 2 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten, und zwar auch für die Verbindlichkeiten, die nicht vom Erblasser herrühren, sondern als Erbfallschulden den Erben als solchen treffen, soweit der Erblasser nicht ausnahmsweise ausschließlich den Vorerben mit Vermächtnissen oder Auflagen belasten wollte. Der Vorerbe haftet für die Nachlassverbindlichkeiten lediglich nach Maßgabe des § 2145 BGB, insbesondere für Eigenverbindlichkeiten, die aber zugleich Nachlassverbindlichkeiten sein können, für die auch der Nacherbe haftet.

Haften sowohl der Vorerbe als auch der Nacherbe für eine Nachlassverbindlichkeit, sind sie Gesamtschuldner (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2144 Rz 2; MüKo-BGB/Grunsky, a.a.O., § 2145 Rz 2; Bamberger/Roth/Litzenburger, a.a.O., § 2145 Rz 2; B. Hamdan/M. Hamdan in: jurisPK-BGB, a.a.O., § 2145 BGB Rz 7; NK-BGB/Gierl, a.a.O., § 2145 Rz 5; Lang in Burandt/Rojahn, a.a.O., § 2145 BGB Rz 5, 7; FAKomm-ErbR/Kummer, a.a.O., § 2144 BGB Rz 2; Bothe in Damrau/Tanck, a.a.O., § 2145 Rz 5).

Für die aufgrund des Vorerbfalls entstandene Erbschaftsteuer hafte danach (auch) der Nacherbe. Die Erbschaftsteuer sei eine Verbindlichkeit, die den Vorerben als solchen trifft, und somit als Erbfallschuld eine Nachlassverbindlichkeit i.S. des § 1967 BGB, die allerdings nach dem insoweit konstitutiv wirkenden § 10 Abs. 8 ErbStG bei der Bemessung der Erbschaftsteuer des Vorerben nicht abzugsfähig sei (BFH/NV 2016, 851). Es gebe weder einen zivilrechtlichen noch einen erbschaftsteuerrechtlichen Grund, die Erbschaftsteuerschuld insoweit anders als sonstige Nachlassverbindlichkeiten zu behandeln und anzunehmen, dass die Steuerschuld allein auf den Erben des Vorerben übergehe und der Nacherbe dafür nicht hafte. § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, wonach Steuerschuldner der Erwerber ist, sei eine allgemein für Erwerbe von Todes wegen und durch Schenkung unter Lebenden geltende Vorschrift, die die Anwendung der beim Eintritt des Nacherbfalls geltenden erbrechtlichen Regelungen des § 1967 BGB auf die Erbschaftsteuerschuld des Vorerben nicht ausschließt. Die Anwendung dieser Regelungen sei sachgerecht, da der Vorerbe nach § 2139 BGB mit dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge aufhört, Erbe zu sein, und somit er selbst bzw. sein Erbe zivilrechtlich nicht mehr Erwerber des Vorerbschaftsvermögens ist und der Nacherbe im Verhältnis zum Vorerben (oder dessen Erben) gemäß § 20 Abs. 4 ErbStG dessen Erbschaftsteuerschuld zu tragen hat.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG. Diese Regelung betreffe nicht nur das aktive Nachlassvermögen, sondern auch die entsprechenden Nachlassverbindlichkeiten des Vorerben und stehe daher der sich aus den maßgeblichen zivilrechtlichen Vorschriften ergebenden Beurteilung, dass diese Erwerber (Nacherben) auch für die durch die Vorerbschaft veranlasste Erbschaftsteuer haften, nicht entgegen.

Soweit bisher von der Rechtsprechung (RFHE 38, 312, RStBl 1935, 1509, und FG Hamburg EFG 1968, 362) und der h.M. in der Literatur eine andere Ansicht vertreten wird, könne dieser nicht gefolgt werden.

Hafte nach dem Eintritt des Nacherbfalls neben dem Nacherben auch der Vorerbe oder dessen Erbe für die durch den Vorerbfall ausgelöste Erbschaftsteuer, seien sie Gesamtschuldner i.S. des § 44 Abs. 1 Satz 1 AO und würden jeweils die gesamte Leistung (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AO) schulden, soweit sich für den Vorerben oder dessen Erben aus § 2145 BGB keine Haftungsbeschränkung ergibt. Das zuständige Finanzamt habe nach seinem pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) zu entscheiden, gegen welchen Gesamtschuldner es die Erbschaftsteuer festsetzt. Da der Nacherbe im Verhältnis zum Vorerben oder dessen Erben gemäß § 20 Abs. 4 ErbStG die Erbschaftsteuerschuld des Vorerben zu tragen hat, entspreche es regelmäßig pflichtgemäßem Ermessen, die Steuer gegen den Nacherben festzusetzen.

Setze das Finanzamt die Steuer gegen den Erben des Vorerben fest, liegt eine Ausnahme von der regelmäßig gebotenen Steuerfestsetzung gegenüber dem Nacherben vor, die im Allgemeinen einer Begründung bedürfe.

Die Inanspruchnahme des Erben des Vorerben als Gesamtschuldner brauche nur dann nicht begründet zu werden, wenn sie einer Vereinbarung zwischen diesem und dem Nacherben entspricht oder der Erbe des Vorerben bei der Herausgabe der Vorerbschaft an den Nacherben (§ 2130 Abs. 1 BGB) die zur Entrichtung der Erbschaftsteuer erforderlichen Mittel zurückbehalten hat oder vergleichbare Besonderheiten vorliegen. Eine Begründung sei auch entbehrlich, wenn die Steuerfestsetzung gegen den Nacherben aus Rechtsgründen, etwa wegen Festsetzungsverjährung, nicht mehr möglich ist oder infolge dessen wirtschaftlicher Situation keinen Erfolg verspricht und dies dem Erben des Vorerben bekannt oder ohne Weiteres erkennbar ist. Insoweit würden dieselben Grundsätze wie für die Schenkungsteuer und die Grunderwerbsteuer gelten, wenn das Finanzamt denjenigen der Gesamtschuldner, der nach den Vereinbarungen der Vertragsparteien nicht verpflichtet ist, die Steuer zu tragen, in Anspruch nimmt (vgl. dazu BFHE 222, 68, BStBl II 2008, 897, unter II.1., m.w.N.).

Fehlt die erforderliche Begründung und wird sie auch nicht in zulässiger Form nachgeholt, sei der gegen den Erben des Vorerben ergangene Steuerbescheid, wie hier, bereits aus diesem Grund rechtswidrig und aufzuheben.

Besondere Umstände, die eine Festsetzung der Erbschaftsteuer gegen die Klägerin ohne Begründung der Ermessensausübung rechtfertigen, hat das FG nicht festgestellt und auch das FA nicht vorgetragen. Es sei daneben unerheblich, ob die Erbschaftsteuer zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch gegen die Nacherbin festgesetzt werden kann. Für die Beurteilung, ob die Festsetzung der Steuer gegen die Nacherbin unzulässig oder untunlich war, sei der Zeitpunkt maßgebend, zu dem das FA erstmals Erbschaftsteuer gegen die Klägerin festgesetzt hat (vgl. BFHE 222, 68, BStBl II 2008, 897, unter II.2.).

III. Fazit

Der Vorerbe gilt erbschaftsteuerrechtlich als Erbe und schuldet daher nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Erbschaftsteuer für diesen Erwerb. Im Innenverhältnis hat jedoch der Nacherbe die durch den Vorerbfall veranlasste Erbschaftsteuer zu tragen.

Im Grundsatz haften nach dem Eintritt des Nacherbfalls Nacherbe und Vorerbe oder dessen Erbe für die durch den Vorerbfall ausgelöste Erbschaftsteuer als Gesamtschuldner.

Das zuständige Finanzamt hat sodann nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, gegen welchen Gesamtschuldner es die Erbschaftsteuer festsetzt. Aufgrund der Verpflichtung des Nacherben, die Erbschaftsteuerschuld des Vorerben zu tragen, entspricht es regelmäßig dem pflichtgemäßen Ermessen, die Steuer gegen den Nacherben festzusetzen.

Will das Finanzamt hiervon abweichen, bedarf es hierzu einer entsprechenden Begründung.


Rezension des Urteils des BGH v. 13.04.2016 - II R 55/14 - FG Hessen „Erbschaftsteuer / Vorerbfall"inFuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.10 Oktober 2016, S.607 f


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