Erbscheinserteilungsverfahren; Beteiligung

Leitsatz:

  1. Auf Antrag hat eine Beteiligung am Erbscheinserteilungsverfahren zu erfolgen, wenn das Bestehen eines Erbrechts nicht von vornherein gänzlich fernliegend erscheint. (amtlicher Leitsatz)
  2. Ob ein Erbrecht tatsächlich besteht, ist erst nach förmlicher Beteiligung am Verfahren abschließend zu klären. (amtlicher Leitsatz)

OLG München, Beschluss vom 08.11.2016 - 31 Wx 254/16

BGB § 2087

I. Einführung

Das Nachlassgericht hatte über die Erbfolge nach dem Erblasser zu befinden. Der Erblasser hat ein Testament hinterlassen. In diesem heißt es auszugsweise:

Ferner ist mein Wille, dass X Wohnung nach Wahl von 4 erhält, die das „lebenslange“ Wohnrecht gewährleistet.“

Gestützt auf diese Verfügung beantragte der Beschwerdeführer seine förmliche Beteiligung am Verfahren. Er ist der Meinung, dass er als Erbe in Betracht kommt.

Das Nachlassgericht wies diesen Antrag mit dem angefochtenen Beschluss zurück. Es ist der Ansicht, dass Erbe die Landeshauptstadt München ist und der Beschwerdeführer mithin weder als gesetzlicher noch als testamentarischer Erbe in Betracht komme, vielmehr sei er (nur) Vermächtnisnehmer. Ein solcher habe jedoch keinen Anspruch, am Verfahren beteiligt zu werden.

II. Problem

Die sofortige Beschwerde war nach Ansicht des OLG München begründet. Zu Unrecht habe das Nachlassgericht davon abgesehen, den Beschwerdeführer am Verfahren zu beteiligen.

Am Nachlassverfahren seien gemäß §§ 7, 345 FamFG diejenigen Personen zu beteiligen, die entweder einen Antrag gestellt haben (§§ 7 Abs. 1, 345 Abs. 1 S. 1 FamFG), deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird (§ 7 Abs. 2 FamFG) und diejenigen, die als sog. Kann-Beteiligte im Sinne des § 345 Abs. 1 S. 2 FamFG einen Antrag auf Hinzuziehung gestellt haben (§ 345 Abs. 1 S. 3 FamFG).

Soweit eine Hinzuziehung nach § 345 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 FamFG in Rede steht, seien auch diejenigen zu beteiligen, die (nur) mittels Auslegung oder nur in einer aufgehobenen Verfügung Erben sein können (Keidel/Zimmermann § 345 Rn. 20).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war der Senat der Ansicht, dass der Beschwerdeführer am vorliegenden Verfahren zu beteiligen ist.

345 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 FamFG definiere das Tatbestandsmerkmal „als Erben in Betracht kommen“ selbst nicht. Auch aus der Gesetzesbegründung würden sich insoweit keine Anhaltspunkte für die Auslegung der Norm entnehmen. Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, der Sicherstellung der Gewährung rechtlichen Gehörs (Poller in: NK-Nachfolgerecht § 345 Rn. 7), ergebe sich, dass eine Beteiligung immer dann zu erfolgen hat, wenn das behauptete Recht nicht von vornherein gänzlich fernliegend ist, wobei eine abschließende rechtliche Würdigung an dieser Stelle nicht erfolge. Ein derartiges Verständnis der Norm finde auch im Wortlaut selbst eine Stütze. Die Formulierung „in Betracht kommen“ impliziere gerade, dass bei der Bestimmung des Personenkreises der Beteiligten noch keine abschließende Würdigung des materiellen Erbrechts erfolgen soll. Dies entspreche auch den allgemein anerkannten Grundsätzen über die Behandlung doppelt relevanter Tatsachen im Rahmen von § 59 Abs. 1 FamFG: Für die Frage der Beschwerdebefugnis sei bei sog. doppelt-relevanten Tatsachen anerkannt, dass es für die Zulässigkeit der Beschwerde ausreicht, wenn die Möglichkeit einer Rechtsbeeinträchtigung besteht. Die endgültige Klärung der Frage, ob der Beschwerdeführer in eigenen subjektiven Rechten verletzt ist, sei hingegen erst im Rahmen der Begründetheit der Beschwerde zu prüfen (BGH NJW 1994, 1413; Horn in: NK-Nachfolgerecht § 59 FamFG Rn. 5). Hintergrund dessen sei, dass nicht auf vorgelagerter Ebene Fragen entschieden werden sollen, für die u. U. erst noch eine Beweisaufnahme durchgeführt werden muss. Überträgt man diese Grundsätze auf die vorliegende Konstellation, sei bei Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in Betracht kommen“ die (jedenfalls) nicht fernliegende Möglichkeit des Bestehens eines Erbrechts ausreichend.

Soweit sich der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall darauf beruft, er sei testamentarischer Erbe geworden, sei eine derartige Auslegung des Testaments nicht von vornherein völlig ausgeschlossen. Für sie lasse sich immerhin die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, wonach die Zuwendung eines wesentlichen Vermögensgegenstands, zumal einer Immobilie, eine Erbeinsetzung darstellen kann (z. B. OLG Düsseldorf FGPrax 2014, 163; Palandt/Weidlich § 2087 Rn. 5), anführen. Auch die vom Nachlassgericht vorgenommene Auslegung im angefochtenen Beschluss dahin, dass es sich insoweit lediglich um ein Vermächtnis handelt, sei grundsätzlich denkbar. Insbesondere spreche der Begriff „lebenslanges Wohnrecht“ dafür. Dies zu klären sei jedoch gerade Aufgabe des (materiellen) Erbscheinserteilungsverfahrens unter Mitwirkung der Erbprätendenten, nachdem diesen rechtliches Gehör gewährt worden ist und ihre Erklärungen im Verfahren berücksichtigt worden sind.

Im weiteren Verfahren sei der Beschwerdeführer mithin Beteiligter.

III. Fazit

345 I FamFG beschäftigt sich mit den Beteiligten im Verfahren auf Erteilung eines Erbscheins. Nach § 345 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und S. 3 sind Personen auf Antrag hinzuzuziehen, wenn sie als Erben in Betracht kommen. Insbesondere bei der Abgrenzung zwischen Erben und Vermächtnisnehmern kann dies problematisch sein.

Das Merkmal wurde in der Gesetzesbegründung und bisherigen Rechtsprechung nicht näher beleuchtet. Die vorliegende Entscheidung des OLG München stellt in seiner Entscheidung überzeugende Leitlinien auf.

Danach hat eine Beteiligung bereits dann zu erfolgen, wenn das behauptete Recht nicht von vornherein gänzlich fernliegend ist. Eine vorweggenommene materiell-rechtliche Prüfung soll hingegen gerade nicht erfolgen. Auch der gezogene Vergleich zu § 59 Abs. 1 FamFG überzeugt (Beschwerdebefugnis bei sog. doppelt-relevanten Tatsachen).


Rezension des Beschlusses des OLG München v. 08.11.2016 - 31 Wx 254/16 „Erbscheinserteilungsverfahren / Beteiligung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.2 Februar 2017, S.109 f

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