Erbvertrag; Auslegung; Wegfall Schlusserbe
Amtlicher Leitsatz:
Zur Auslegung von vertragsmäßigen Verfügungen in einem Erbvertrag bei Wegfall des eingesetzten Schlusserben infolge Vorversterbens bei Verwendung der Klausel „Sonst wollen wir nichts bestimmen“.
OLG München (31. Zivilsenat), Beschluss vom 03.11.2021 – 31 Wx 110/19
BGB §§ 157, 2084, 2096, 2278
I. Einführung
Die Erblasserin ist im Jahr 2018 verstorben. Sie errichtete 1965 mit ihrem vorverstorbenen Ehemann einen Erbvertrag, in dem die Ehegatten unter Ziffer II. folgende Anordnungen trafen:
„Im Wege des Erbvertrages vereinbaren wir in einseitig unwiderruflicher Weise: Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Erben ein. Erbe des Längstlebenden von uns soll sein der Sohn des Ehemannes W. Diese Erbeinsetzung ist jedoch nicht die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft. Sonst wollen wir nichts bestimmen.“
Der als Erbe bestimmte Sohn des Ehemannes ist am 1996 verstorben. Die Beteiligten zu 1) und 3) sind seine Abkömmlinge, die Beteiligte zu 2) ist die geschiedene Ehefrau des Beteiligten zu 3).
Die Erblasserin errichtete weitere letztwillige Verfügungen, unter anderem ein notarielles Testament aus dem Jahr 2012. Darin finden sich unter § 1 Vorbemerkungen folgende Ausführungen:
„Für den Fall des Vorversterbens von Herrn W. war von uns keine bindende Ersatzerbeneinsetzung gewollt, weil sich zu diesem Zeitpunkt die Entwicklung der beiden Enkel noch nicht absehen ließ.“
Im weiteren notariellen Testament aus dem Jahr 2015 setzt die Erblasserin sodann die Beteiligte zu 2) zu ihrer Alleinerbin ein.
Die Beteiligten zu 1) und 3) sind der Auffassung, dass die von der Erblasserin im Nachgang zu den im Erbvertrag getroffenen Erbeinsetzungen errichteten Testamente unwirksam seien, da sie als Abkömmlinge ihres vorverstorbenen Vaters an dessen Stelle getreten seien und sich die Vertragsmäßigkeit der Schlusserbeneinsetzung zugunsten ihres Vaters auf sie als Ersatzerben erstrecke.
Die Beteiligte zu 2) vertritt die Auffassung, dass in dem Erbvertrag eine Ersatzerbenstellung der Beteiligten zu 1) und 3) nicht geregelt sei. Eine ausdrückliche Anordnung liege nicht vor; sie ergebe sich auch nicht im Wege der individuellen Auslegung. Eine sich etwaig nach § 2069 BGB ergebene Stellung als Ersatzerbe sei jedenfalls nicht vertragsmäßig.
Das Nachlassgericht hat den Antrag der Beteiligten zu 1) und 3) auf Erteilung eines Erbscheins, der eine Miterbenstellung zu je 1/2 aufgrund des Erbvertrags bezeugt, zurückgewiesen, und die Tatsachen für die Erteilung des von der Beteiligten zu 2) beantragten Erbscheins als Alleinerbin aufgrund des Testaments 2015 für festgestellt erachtet. Es ist der Auffassung, dass die sich aus der entsprechenden Anwendung des § 2069 BGB ergebende Ersatzerbeneinsetzung nicht vertragsgemäß sei und sich eine Bindung auch nicht durch einen Rückgriff auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ergebe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1).
II. Problem
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das OLG München teilte im Ergebnis die Auffassung des Nachlassgerichts, dass sich die Erbfolge nach dem Testament aus dem Jahr 2015 bestimmt und nicht nach dem von der Erblasserin und ihrem vorverstorbenen Ehemann niedergelegten Erbvertrag aus dem Jahr 1965.
Letzterer enthält nach Ansicht des OLG München für die hier inmitten stehende Erbfolge nach der Erblasserin keine vertragsmäßigen Verfügungen, aufgrund derer die in dem Testament aus dem Jahr 2015 erfolgte Einsetzung der Beteiligten zu 2) zur Alleinerbin gemäß § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam wäre.
Die Eheleute hätten sich in dem Erbvertrag 1965 unter Ziffer II. „in einseitig unwiderruflicher Weise“ (und damit vertragsmäßig im Sinne des § 2278 BGB) gegenseitig als Alleinerben eingesetzt und den Sohn des Ehemannes aus erster Ehe als Erben des Längstlebenden eingesetzt. Damit trete grundsätzlich im Hinblick auf § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB eine Bindung des überlebenden Ehegatten an die von ihm getroffene vertragsmäßige Verfügung in Bezug auf den Letztbedachten ein. Hingegen entfalle die Bindung, wenn der Bedachte wegfällt. Dies gelte nicht, wenn seine Abkömmlinge als Ersatzerben berufen sind. Insofern stehe vorliegend die Problematik inmitten, ob die Ehegatten in dem hier allein maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine Ersatzerbfolge für den Fall des Vorversterbens des Bedachten getroffen haben.
Eine ausdrückliche Regelung finde sich in dem Testament nicht. Demgemäß stelle sich die Frage, ob sich im Wege der Grundsätze der ergänzenden Testamentsauslegung die Regelung einer Ersatzerbfolge ergibt.
Voraussetzung hierfür sei (zunächst) die positive Feststellung einer unbewussten Regelungslücke. Ergebe sich aber, dass die Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bewusst davon abgesehen haben, eine Regelung der Ersatzerbfolge zu treffen, liege eine bewusste Regelungslücke vor, die nicht durch eine ergänzende Testamentsauslegung geschlossen werden kann. Insofern sei auch von vornherein kein Raum für eine (analoge) Anwendung des § 2069 BGB, da es sich hierbei um eine Auslegungsregel handelt und diese erst dann herangezogen werden könne, sofern kein individueller Erblasserwille festgestellt werden kann.
Ausgangspunkt der (ergänzenden) Auslegung betreffend die in dem Erbvertrag getroffenen vertragsmäßigen Verfügungen sei nicht allein der individuelle Wille des jeweils Testierenden, sondern es kommen insofern die Grundsätze des § 157 BGB zum Tragen.
Demgemäß würden für die Feststellung des Inhalts der von den Ehegatten getroffenen letztwilligen Verfügungen auch den Äußerungen der Erblasserin in ihrem Testament aus dem Jahr 2012 betreffend das Unterlassen einer Ersatzerbfolge vorliegend Bedeutung zukommen. Dabei sei aber auch die Intension der Erblasserin zu berücksichtigten, die darauf gerichtet ist, neu testieren zu können, und damit ein Eigeninteresse dahingehend besteht, dass die Ehegatten von der Regelung einer Ersatzerbfolge bewusst Abstand genommen haben.
Andererseits würden sich nach Auffassung des Senats für diese Willensrichtung der Ehegatten Anhaltspunkte sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Testierung in dem Erbvertrag von 1965 finden, die auf den Wahrheitsgehalt der Äußerung der Erblasserin hindeuten:
Die letztwilligen Verfügungen der Ehegatten seien unter Beteiligung eines Notars erfolgt, was den Schluss nahelege, dass er sie bei der Abfassung des Vertrags beraten hat (vgl. dazu OLG München NJW-RR 2012, 9).
Zudem hätten die Ehegatten ausdrücklich in Ziffer II am Ende erklärt, dass sie „sonst nichts bestimmen wollen“.
Diese Formulierung sei zwar nicht eindeutig und insoweit auslegungsbedürftig. Eine solche Formulierung könne bedeuten, dass die Ehegatten bei Abschluss des Erbvertrages über die getroffenen Verfügungen hinaus bewusst von weiteren Verfügungen, insbesondere weiterer Ersatzerbeneinsetzungen, abgesehen haben. Das könne aber auch heißen, dass sie es nicht für notwendig gehalten haben, eine weitere Ersatzerbenregelung zu treffen, weil sie ein Versterben des Bedachten ohne Abkömmlinge für unwahrscheinlich gehalten haben. Denkbar sei schließlich, dass es sich bei dieser Formulierung lediglich um eine Standardformulierung handelt, der ein eher floskelhafter Charakter zu kommt (vgl. hierzu auch OLG München FGPrax 2013, 177/178).
Gegen Letzteres spreche aber, dass vor dieser Formulierung ausdrücklich eine Klarstellung erfolgt ist, dass die Erbeinsetzung des Letztbedachten keine Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge darstellt. Dies deute darauf hin, dass der Einsetzung des Letztbedachten eine umfassende Beratung durch den Notar vorausgegangen ist, die auch eine etwaige Regelung einer Ersatzerbfolge für den Fall des Wegfalls bzw. Vorversterbens des Letztbedachten miteinschloss. Zwar dränge sich eine solche Beratung nicht im Hinblick auf das Alter der Testierenden (48 und 49 Jahre) und des Bedachten (26 Jahre) auf. Eine solche erscheine aber hier insofern naheliegend, als Kinder des Bedachten im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages vorhanden waren, die zeitnah hierzu geboren waren. Insofern stelle sich die Frage, ob bei einem Wegfall des Sohnes des Ehemannes der Erblasserin auch die Enkel des Ehemannes überhaupt, beide oder lediglich einer von diesen in den Genuss des beidseitigen Vermögens der Ehegatten kommen sollten. Vor diesem Hintergrund sei die Erklärung der Erblasserin plausibel und nachvollziehbar, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages keine bindende Ersatzerbeneinsetzung gewollt war, da sich zu diesem Zeitpunkt die Entwicklung der beiden Enkel noch nicht absehen ließ.
Insofern hätten die Ehegatten zur Überzeugung des Senats eine Regelung der Ersatzerbfolge im Falle des Wegfalls des Letztversterbenden bewusst unterlassen.
Demgemäß sei auch kein Raum für eine Ersatzerbfolge gemäß der Vorschrift des § 2069 BGB, die zwar nicht in wörtlicher Anwendung, jedoch in analoger Weise in dieser Fallkonstellation (Bedachter ist Abkömmling nur des Erstversterbenden) Anwendung finde. Denn insofern gehe der individuelle Wille der Ehegatten einer Anwendung des § 2069 BGB vor. Der Frage, ob der Senat die vom OLG Celle vertretene Auffassung einer vertragsmäßigen Bindung aufgrund § 2279 Abs. 1 BGB i.V.m § 2069 BGB teilt (OLG Celle MittBayNot 2013, 315, dagegen Keim in MittBayNot 2013, 317; Palandt/Weidlich § 2278 Rn. 4; vgl. dazu auch OLG München NJW-RR 2012, 9/10), komme daher keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
Demgemäß bestimme sich die Erbfolge nach der Erblasserin nach dem Testament aus dem Jahr 2015, in dem sie die Beteiligte zu 2) zu ihrer Alleinerbin bestimmt hat.
III. Fazit
Die Entscheidung des OLG München beschäftigt sich mit der Auslegung eines Erbvertrags bei Wegfall des Schlusserbens und Fehlen einer ausdrücklichen Regelung zu möglichen Ersatzerben. Die Entscheidung verdeutlicht, dass es sich bei der Testamentsgestaltung anbieten kann, naheliegende, aber nicht gewünschte Regelungen ausdrücklich auszuschließen.
Fallen entsprechende Lücken oder Unklarheiten erst auf, wenn eine einvernehmliche Änderung des Erbvertrags nicht mehr möglich ist, kann es sich, wie im vorliegenden Fall geschehen, anbieten, im Rahmen einer späteren Testierung erläuternde und klarstellende Aussagen zur früheren Verfügung aufzunehmen.
Rezension des Beschlusses des OLG München v. 03.11.2021 - 31 Wx 110/19; „Erbvertrag / Auslegung / Wegfall Schlusserbe", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr. 2 Februar 2022, S.111 f