Ergänzende Testamentsauslegung beim Ehegattentestament; Beeinträchtigung i.S.v. § 2271 Abs. 2 BGB

Leitsätze:

  1. Eine gemäß § 2271 Abs. 2 BGB unwirksame Beeinträchtigung des durch eine bindende wechselbezügliche Verfügung Bedachten stellt auch dar, wenn der gebundene Überlebende nachträglich einen Nacherben bestimmt oder den Bedachten durch eine Testamentsvollstreckung belastet. (amtlicher Leitsatz)
  2. Haben Eheleute 1969 in einem Ehegattentestament ihr schwerbehindertes Kind bedacht, ist nach dem Tode des einen Ehegatten und eingetretener Bindung des Längerlebenden eine ergänzende Auslegung dahin, dass dem Längerlebenden Testamentsänderungen unter Berücksichtigung zwischenzeitlich geänderter Rechtsprechung (zum sog. Behindertentestament) gestattet sein sollen, nicht ohne weiteres möglich. (amtlicher Leitsatz)

OLG Schleswig, 3 Wx 43/13, Beschluss vom 13.05.2013

BGB §§ 2270, 2271

I. Einführung

Die Erblasserin und ihr 1978 vorverstorbener Ehemann fertigten im Jahre 1969 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament mit folgendem Wortlaut:

„Gemeinsames Testament

Für den Fall meines Todes bestimme ich, dass meine Ehefrau Alleinerbe meines Nachlasses sein soll. Nach dem Tode des Zuletztversterbenden von uns beiden Eheleuten soll unsere Tochter Nacherbe sein. Die Vorerbschaft ist eine befreite Vorerbschaft.

(Unterschrift)

Dies soll auch mein Testament sein. Im Falle meines Ablebens soll mein Ehemann Vorerbe sein. Nach dem Tode des Zuletztversterbenden soll unsere Tochter Nacherbe sein, im Sinne einer befreiten Vorerbschaft.

(Unterschrift)"

Nach dem Tode des Ehemannes der Erblasserin wurde dieses Testament eröffnet. Nach dem Tode der Erblasserin wurde das fragliche gemeinschaftliche Testament aus dem Jahre 1969 nochmals eröffnet. Daneben wurde ein notarielles Testament eröffnet, das die Erblasserin im Jahre 2006 hatte aufnehmen lassen. In diesem Testament heißt es:

„Ich bin verwitwet. Mein Ehemann ist am 16. Juli 1978 vorverstorben. Ich habe eine schwerbehinderte Tochter.

  • 1: Sämtliche bisherigen letztwilligen Verfügungen widerrufe ich hiermit.
  • 2: Ich setze meine Tochter als Vorerbin ein. Die Vorerbin wird von den Beschränkungen des § 2113 f BGB ausdrücklich nicht befreit. Nacherbe wird Frau X, ersatzweise deren Abkömmlinge, und zwar zu gleichen Teilen.
  • 3: Mit Rücksicht darauf, dass meine Tochter wegen ihrer Behinderung nicht in der Lage sein wird, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen, insbesondere die ihr durch den Erbfall zugefallenen Vermögenswerte selbst zu verwalten, wird Testamentsvollstreckung (Dauervollstreckung gemäß § 2209 BGB) angeordnet. Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat meiner Tochter die ihr gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgnisse (Nutzungen) des Nachlasses nur in Form folgender Leistungen zuzuwenden ...“

Nach dem Tode der Erblasserin beantragte die Beteiligte zu 2) am 18. Juli 2012 unter der Erklärung, das Testamentsvollstreckeramt anzunehmen, die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses. Sie bezog sich hierbei auf das notarielle Testament der Erblasserin aus dem Jahre 2006.

Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Oktober 2012 wurde der Rechtanwalt Y zum Ergänzungsbetreuer der Beteiligten zu 1) bestellt.

Der Ergänzungsbetreuer trat dem Antrag der Beteiligten zu 2) auf Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses entgegen und führte hierzu aus, dass in dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute aus dem Jahre 1969 eine Anordnung einer Testamentsvollstreckung nicht vorgesehen sei. Auf der maßgeblichen Grundlage dieses Testaments sei vielmehr die Beteiligte zu 1) Alleinerbin ihrer Mutter geworden und es werde ein entsprechender Alleinerbschein beantragt. Im Einzelnen sei es so, dass die Erblasserin nach dem Tode ihres Ehemannes befreite Vorerbin in Bezug auf den Nachlass ihres Ehemannes geworden sei. Mit dem Tod der Erblasserin sei die Beteiligte zu 1) alleinige Nacherbin in Bezug auf das restliche Vorerbenvermögen (Nachlass ihres Vaters) geworden. Im Übrigen sei in dem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahre 1969 keinerlei Ersatz-Vorerbenregelung aufgenommen worden. Die Erblasserin habe dort ihren Ehemann zum befreiten Vorerben eingesetzt und die Beteiligte zu 1) als Nacherbin benannt. Nach der Auslegungsregel des § 2102 BGB liege in der Benennung der Beteiligten zu 1) als Nacherbin mangels anderer Anhaltspunkte auch deren Ersatzerbeneinsetzung. Mithin sei die Beteiligte zu 1) nach der Erblasserin nicht Nacherbin, sondern Ersatz-Vollerbin geworden.

Nach dem Tode des Ehemannes sei die Erblasserin nicht mehr befugt gewesen, ein abweichendes Testament zu errichten. In dem notariellen Testament aus dem Jahr 2006 stufe sie ihre Tochter nur als nicht befreite Vorerbin ein und setzte die Beteiligte zu 1) zur Nacherbin ein. Das widerspreche der Ersatz-Vollerbeinsetzung im Testament aus dem Jahr 1969, weil insoweit eine Beschränkung vorgenommen werde. Eine Freistellung des überlebenden Ehegatten sei in dem Testament aus dem Jahr 1969 gerade nicht enthalten. Genauso wenig habe die überlebende Mutter der Beteiligten zu 1) nachträglich eine Testamentsvollstreckung anordnen dürfen. Dem überlebenden Ehegatten sei es nämlich untersagt, den Erben, den er durch eine wechselbezügliche Verfügung eingesetzt habe, nachträglich durch eine Testamentsvollstreckung oder auch durch eine Herabstufung von der Vollerbschaft auf die Vorerbschaft zu beschränken. Die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen sei vorliegend gegeben. Mit dem Tod ihres Ehegatten sei die Erblasserin somit gemäß § 2271 Abs. 2 BGB gebunden gewesen.

Mit Beschluss vom 20. Februar 2013 hat das Amtsgericht die zur Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Es hat die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen in dem Testament aus dem Jahr 1969 verneint und folglich festgestellt, dass die Erblasserin nicht gehindert gewesen sei, durch das notarielle Testament aus dem Jahr 2006 abweichende Bestimmungen für den Fall ihres Ablebens zu treffen.

Das handschriftliche gemeinschaftliche Testament enthalte zum einen die gegenseitige Einsetzung der Ehegatten als befreite Vorerben, wobei aufgrund der unklaren Formulierung auch eine Einsetzung als Vollerben denkbar wäre. Zum anderen enthalte das Testament die Einsetzung der gemeinsamen behinderten Tochter als Nacherbin.

Während zwar für die gegenseitige Erbeinsetzung eine Wechselbezüglichkeit angenommen werden könne, so sehe das Gericht bei der Nacherbeneinsetzung der gemeinsamen Tochter keine Wechselbezüglichkeit. Die Tochter sei das einzige gemeinsame Kind der Eheleute, sodass im Zweifel davon auszugehen sei, dass die Tochter als Erbin eingesetzt werde, weil sie beiden Eltern nahestehe, nicht aber weil der jeweils andere Ehegatte die Tochter eingesetzt habe oder weil die Eheleute sich gegenseitig als Vorerben eingesetzt hätten. Das Testament enthalte keine Anhaltspunkte dafür, dass außer der verwandtschaftlichen Beziehung weitere Überlegungen die Erbeinsetzungen der gemeinsamen Tochter beeinflusst hätten. Hinzukomme, dass im Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments die Rechtsfigur des Behindertentestaments noch nicht hinreichend bekannt gewesen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass die Eheleute, wenn ihnen zum damaligen Zeitpunkt eine differenziertere Regelungsmöglichkeit für die Versorgung der bereits damals schwerbehinderten Tochter bekannt gewesen wäre, eine andere Form der Erbeinsetzung bzw. ebenfalls eine Testamentsvollstreckung vorgesehen hätten. Soweit der Ergänzungsbetreuer sich darauf berufe, dass die Tochter der Erblasserin aufgrund des gemeinschaftlichen handschriftlichen Testaments Vollerbin auf den Erbteil des vorverstorbenen Ehemannes geworden sei, hindere dies die Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses nicht, da es ausschließlich auf den Nachlass nach der Erblasserin bezogen sei.

Gegen diesen, dem Ergänzungsbetreuer zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass hinsichtlich der Frage der Wechselbezüglichkeit hier die Besonderheit gegeben sei, dass die zur Nacherbin bestimmte Tochter schwer behindert sei. Die Vor- und Nacherbeinsetzung der Eltern hätte dafür sorgen sollen, dass der Nachlass möglichst dem Zugriff staatlicher Institutionen entzogen sei. Daher sei es bei der Testamentserrichtung im Jahre 1969 für beide Elternteile eminent wichtig gewesen, die Tochter deswegen zur Nacherbin zu bestimmen, weil sich die Eltern nur als Vorerben eingesetzt hätten. Diese Testamentskonstruktion sei auch deshalb gewählt worden, weil der jeweils andere Ehegatte die Tochter zur Nacherbin eingesetzt habe und sich die Eheleute gegenseitig als Vorerben hätten einsetzen müssen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Die Zweifelsregel hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit der jeweils eingesetzten Erben bzw. Vor- und Nacherben sei daher nicht einschlägig, da es sich hier nicht um den klassischen Fall der Wechselbezüglichkeit mit Einsetzung jeweiliger Voll- und Schlusserben handele, sondern um die Sonderkonstruktion der Vor- und Nacherbeinsetzung. Es sei deshalb nicht die verwandtschaftliche Beziehung, welche die Erbeinsetzung der gemeinsamen Tochter beeinflusst habe, sondern deren Erkrankung. Diesen Aspekt habe das Nachlassgericht außer Acht gelassen. Daher habe eine nachträgliche Belastung mittels Testamentsvollstreckung nicht mehr einseitig von der Erblasserin letztwillig verfügt werden können. Auf die Frage, ob zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung die Rechtsfigur des Behindertentestaments hinreichend bekannt gewesen sei oder nicht, komme es nicht an. Die Erblasser hätten gewusst, dass ihr Ziel durch eine Vor- und Nacherbeinsetzung hätte erreicht werden können. Auch sei die Vorerbschaft ausdrücklich als eine befreite Vorerbschaft bezeichnet worden, was bedeute, dass sich die Erblasser hinreichend Gedanken darüber gemacht hätten, wie sie ihr testamentarisches Ziel gemeinsam hätten erreichen können. Auch habe es bereits im Jahre 1969 die Möglichkeit einer Testamentsvollstreckung mit der Schutzfunktion des § 2214 BGB gegeben. Den Erblassern sei eine solche Belastungsmöglichkeit bekannt gewesen. Sie hätten die Testamentsvollstreckung aber gerade nicht zusätzlich gewählt.

Das Amtsgericht hat dieser Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II. Problem

Das OLG erachtete die Beschwerde der Beteiligten zu 1) als gemäß §§ 58 ff FamFG zulässig und in der Sache erfolgreich.

Ein Testamentsvollstreckerzeugnis für die Beteiligte zu 2) könne deshalb nicht erteilt werden, weil die Einsetzung der Beteiligten zu 2) als Testamentsvollstreckerin durch das notarielle Testament der Erblasserin vom 31. Oktober 2006 gemäß § 2271 Abs. 2 BGB unwirksam sei. Dem gemeinschaftlichen Testament der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes aus dem Jahre 1969 sei gerade zu entnehmen, dass die Beteiligte zu 1) als Ersatzerbin Vollerbin nach der Erblasserin geworden sei und dass diese Erbeinsetzung wechselbezüglich zu der Einsetzung der Erblasserin durch ihren vorverstorbenen Ehemann als befreite Vorerbin stehe. Deswegen sei die Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemannes und der Annahme der Erbschaft insoweit gebunden. In ihrer späteren einseitigen Anordnung einer Testamentsvollstreckung und der Bestimmung der Beteiligten zu 1) zur lediglich nicht befreiten Vorerbin unter Einsetzung einer Nacherbin läge eine Beschränkung der Beteiligten zu 1) gegenüber der bindend gewordenen Verfügung aus dem gemeinschaftlichen Testament. Diese Beschränkungen habe sie aber gemäß § 2271 Abs. 2 BGB nicht mehr wirksam einseitig anordnen können.

In dem fraglichen gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahr 1969 hätten sich die Eheleute schon angesichts der dort verwendeten, sachlich zutreffenden Terminologie („befreite Vorerbschaft“) jeweils gegenseitig zum befreiten Vorerben des Erstversterbenden eingesetzt. Sie hätten hinsichtlich ihrer jeweiligen Vermögen nicht die Einheitslösung, sondern eben die sog. Trennungslösung gewählt. Dies sei schon im Hinblick auf die gewählte Terminologie und mangels gegenteiliger Hinweise im Testamentstext unzweideutig. Auf die in der Beschwerdebegründung hervorgehobene Tatsache, dass die Eheleute bei der Wahl dieser Konstruktion die besondere Problematik ihrer gemeinsamen Tochter wegen deren Behinderung bedacht hätten, komme es folglich nicht mehr an. Die beiden Vermögensmassen seien mithin nach dem Tod des Ehemannes als Erstversterbenden getrennt geblieben.

Im Hinblick auf den Nachlass nach dem Ehemann sei die Erblasserin befreite Vorerbin geworden und mit ihrem Tod der Nacherbfall eingetreten, wobei der Ehemann in dem gemeinschaftlichen Testament die Beteiligte zu 1) als Nacherbin benannt habe. Im Hinblick auf den Erbfall nach der Erblasserin sei somit festzustellen, dass die Beteiligte zu 1) in dem gemeinschaftlichen Testament zwar auch von der Erblasserin als „Nacherbe“ bezeichnet werde, zugleich aber die von ihr eigenhändig geschriebene Passage den Hinweis enthalte, dass dies „nach dem Tod des Zuletztversterbenden“ eintreten solle. Die Erblasserin habe damit ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Beteiligte zu 1) zu ihrer Alleinerbin bestimmen wollte, auch wenn sie selbst die Längerlebende sein würde. Insoweit ergebe sich bereits durch individuelle Auslegung, dass die Beteiligte zu 1) im Falle des Überlebens der Erblasserin (bezogen auf die beiden Ehegatten) deren Vollerbin sein soll. Der Heranziehung der Zweifelsregelung des § 2102 Abs. 1 BGB, wonach die Einsetzung als Nacherbe im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe enthält, bedürfe es deshalb schon nicht mehr.

Das Amtsgericht habe in seinem Beschluss verkannt, dass die Einsetzung der Beteiligten zu 1) in dem gemeinschaftlichen Testament jeweils als Nacherbe des Erstversterbenden bzw. als Vollerbe nach dem Zuletztversterbenden wechselbezüglich zu der jeweiligen Einsetzung des Längerlebenden als befreiter Vorerbe des Erstversterbenden sei. Für die Beurteilung der Wechselbezüglichkeit im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB, müsse jede einzelne Verfügung im Verhältnis zu den einzelnen anderen Verfügungen im Hinblick auf die Frage untersucht werden, ob anzunehmen sei, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden sei.

Richtig sei hingegen, dass ein Elternteil in der Regel das gemeinschaftliche Kind nicht lediglich deshalb als Erbe einsetzt, weil auch der andere Ehegatte dies tue, jedoch verhalte es sich anders, wenn man das Verhältnis der Einsetzung des Kindes als Schlusserben bzw. Nacherben durch den einen Ehegatten im Verhältnis zu der Erbeinsetzung dieses Ehegatten als Erbe nach dem Erstversterbenden untersuche. Für den klassischen Fall des Berliner Testaments sei allgemein anerkannt, dass bei einem gemeinschaftlichen Testament die jeweilige Erbeinsetzung der Kinder der Erblasser als Schlusserben und die jeweilige Einsetzung des Ehepartners zum Alleinerben nach dem Erstversterbenden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen könnten (BGH NJW 2002, 1126, 1127). Nichts anderes ergebe sich auch aus dem vom Amtsgericht zitierten Beschluss des Landgerichts München (ZEV 2008, 537 f), wie sich wiederum aus der dortigen Argumentation ersehen lasse. In dem zitierten Fall habe nur die Besonderheit bestanden, dass die gegenseitige Einsetzung der Eheleute infolge Scheidung nachträglich unwirksam geworden sei. Auch in der vom Amtsgericht zitierten Kommentarstelle (Palandt/Weidlich, § 2270 Rn. 5) werde zutreffend ausgeführt, dass zwar die Einsetzung nur des gemeinsamen Kindes ohne weitere Verfügungen im Zweifel nicht wechselbezüglich sei, anderes aber für die Schlusserbeneinsetzung des Überlebenden zur eigenen Erbeinsetzung durch den erstverstorbenen Ehegatten gelte. Insofern ergeben sich keine grundsätzlichen Abweichungen, wenn statt der Einheitslösung die Trennungslösung gewählt werde.

Im vorliegenden Fall stehe somit die Einsetzung der Beteiligten zu 1) durch die Erblasserin als Nacherbin bzw. im Falle ihres Zuletztversterbens als Vollerbin, in einem wechselbezüglichen Verhältnis zu ihrer eigenen Erbeinsetzung durch den Ehemann als befreite Vorerbin. Wie oben dargelegt bedürfe es hierzu auch nicht der Heranziehung der Zweifelsregel des § 2270 Abs. 2 BGB. Dieses Ergebnis folge vielmehr schon bereits aus der individuellen Auslegung des Testamentes. Hier sei es nämlich den Erblassern ersichtlich auch gerade wegen der Behinderung der Beteiligten zu 1) darauf angekommen, ihr jeweiliges Vermögen nach dem Tode des Erstversterbenden in der Hand des Längerlebenden zu erhalten, um es letztlich ihrer Tochter erst nach dem Tod des Längerlebenden zur Verfügung zu stellen. Danach habe jedem der Eheleute daran gelegen, den anderen Ehepartner auch deswegen zum Vorerben einzusetzen, weil er seinerseits das gemeinsame behinderte Kind zum Nacherben bzw. Vollerben eingesetzt habe.

Liege somit in dem genannten Verhältnis Wechselbezüglichkeit der Verfügungen vor, sei für die Erblasserin mit dem Tod des Ehemannes und Annahme der Erbschaft die Bindung gemäß § 2271 Abs. 2 BGB im Hinblick auf die Bestimmung der Beteiligten zu 1) zu ihrer Erbin eingetreten.

Anders wäre dies nur dann, wenn dem Überlebenden eine derartige Beschränkung des durch die wechselbezügliche Verfügung Bedachten in dem gemeinschaftlichen Testament gestattet worden wäre. Ausdrücklich lasse sich dies dem Testament aus dem Jahre 1969 aber nicht entnehmen. Ausreichend sei es allerdings auch, wenn sich im Wege der ergänzenden Auslegung des Testamentes der Wille beider Eheleute ermitteln lasse, dem Überlebenden die Möglichkeit einzuräumen, nachträglich eine Testamentsvollstreckung anzuordnen.

Diesbezüglich habe das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass im Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments im Jahre 1969 die Rechtsfigur des Behindertentestaments noch nicht hinreichend bekannt gewesen sei. Es habe vor diesem Hintergrund angenommen, dass die Eheleute, wenn sie zum damaligen Zeitpunkt eine differenziertere Regelungsmöglichkeit für die Versorgung der schwerbehinderten Tochter gekannt hätten, vermutlich eine andere Form der Erbeinsetzung bzw. ebenfalls eine Testamentsvollstreckung vorgesehen hätten. Indes sei jedoch zu bedenken, dass eine ergänzende Auslegung nur dann in Betracht komme, wenn sich unter Berücksichtigung aller Umstände bestimmen lasse, wie die jeweiligen Erblasser testiert hätten, wenn sie den ihnen im Zeitpunkt des Testierens noch unbekannten Umstand gekannt hätten. Unbekannt sei den Erblassern zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments zwangsläufig die zwischenzeitlich differenzierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der sogenannten Behindertentestamente gewesen.

Jedoch sei zu bedenken, dass ein „Behindertentestament“ sehr unterschiedlich ausgestaltet sein könne und es dabei keine zwangsläufige oder zwingende Lösung gebe. Im vorliegenden Fall spräche zwar vieles dafür, dass die Eheleute die Wahl der Trennungslösung und ihre gegenseitige Bestimmung zu befreiten Vorerben bereits ganz bewusst als eine mögliche und letztlich auch die Beteiligte zu 1) als ihr gemeinsames Kind schützende Lösung im Hinblick auf die Behinderung der Beteiligten zu 1) gewählt hätten. Da die Eheleute zutreffend den Begriff des „befreiten Vorerben“ und des „Nacherben“ aufgeführt und eine rechtlich plausible Lösung gewählt hätten, könne nicht festgestellt werden, dass ihnen das Institut der Testamentsvollstreckung unbekannt gewesen wäre. Im Hinblick auf den Umstand, dass die Eheleute nur ein gemeinschaftliches Kind gehabt hätten und nach ihrem im Testament zum Ausdruck gekommenen Willen dieses Kind letztlich allein Nutznießer ihres Nachlasses werden sollte, dränge sich auch keineswegs die Notwendigkeit einer Testamentsvollstreckung auf. Die Erblasserin selbst habe bei ihrem Antrag auf Eröffnung des Testaments nach dem Tod ihres Ehemannes mit Schreiben an das Nachlassgericht darauf hingewiesen, dass die gemeinsame Tochter „unter Vormundschaft“ stehe. Es spreche somit vieles dafür, dass die Eheleute auch schon 1969 jedenfalls von der Möglichkeit ausgegangen seien, dass der Tochter ein Vormund beigestellt werde, der sich um ihre Vermögensangelegenheiten kümmere, wie dies auch gegenwärtig der Fall sei. Dann habe sich die Notwendigkeit der Bestimmung eines Testamentsvollstreckers bei der hier vorliegenden Konstellation für die Eheleute keineswegs aufdrängen müssen.

Anders hätte es nach Ansicht des OLG jedoch sein können, wenn die Beteiligte zu 1) ihrerseits durch Bestimmung von Nach-Nacherben beschränkt worden wäre, das Vermögen der Eheleute also letztlich über die Beteiligte zu 1) hinaus noch auf weitere Personen hätte übertragen werden sollen. Indes hätten die Eheleute in dem gemeinschaftlichen Testament keine gestaffelte Nacherbfolge bestimmt und auch keine Andeutung dahin gehend gemacht, dass die Erbenstellung der einzigen Tochter nach dem Letztversterbenden beschränkt sein sollte. Richtig sei zwar, dass es nach der erst in jüngerer Zeit gefestigten Rechtsprechung auch unter Berücksichtigung der Interessen von Sozialleistungsträgern möglich sei, ein behindertes Kind zum Vorerben einzusetzen, die übrigen Kinder der Eltern oder sonstige Familienangehörige aber zum Nacherben bei Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung bis zum Tode des Behinderten und diese Rechtsprechung habe den Eheleuten seinerzeit 1969 nicht bekannt gewesen sein können. Indes sei ausgeschlossen, im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung bezogen auf die Situation der Eheleute im Zeitpunkt ihrer Testierung 1969 nunmehr auch einen Willen des vorverstorbenen Ehemannes festzustellen, dass ein oder mehrere bestimmte Personen als Nach-Nacherben  eingesetzt werden sollten. Dass sich dafür allein eine bestimmte Person aufdrängte, sei nicht einmal im Ansatz ersichtlich und daneben realitätsfern. Es sei aber auch nicht zwangsläufig, dass Eltern eines behinderten Kindes überhaupt eine solche Lösung im Hinblick auf etwaige Ansprüche des Kindes gegen Sozialleistungsträger wählen würden. Im Wege der ergänzenden Auslegung könne deshalb ein gemeinsamer Wille der Eheleute bei Abfassung des gemeinschaftlichen Testamentes, dass der Überlebende die Erbenstellung der Beteiligten zu 1) einseitig durch Anordnung einer Testamentsvollstreckung beschränken durfte, nicht ermittelt werden.

Im Ergebnis stellt das OLG somit fest, dass die einseitige Anordnung der Testamentsvollstreckung durch die Erblasserin in dem notariellen Testament aus dem Jahre 2006 gemäß § 2271 Abs. 2 BGB unwirksam ist.

III. Fazit

Die Entscheidung setzt sich ausführlich mit der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments aus dem Jahre 1969 auseinander.

Festzuhalten bleibt, dass wenn Eheleute in einem 1969 errichteten Ehegattentestament ihr schwerbehindertes Kind bedenken, eine ergänzende Auslegung dahin gehend, dass dem Längerlebenden Testamentsänderungen unter Berücksichtigung zwischenzeitlich geänderter Rechtsprechung zum sog. Behindertentestament gestattet sein sollen, nicht ohne Weiteres möglich ist. Insbesondere kann dies daran scheitern, dass nicht klar ersichtlich ist, welche Regelung die Eheleute bei Kenntnis der Rechtsprechung getroffen hätten.

Dass die nachträgliche Bestimmung eines Nacherben oder die Anordnung einer Testamentsvollstreckung durch den Überlebenden eine gemäß § 2271 Abs. 2 BGB unwirksame Beeinträchtigung des durch eine bindende wechselbezügliche Verfügung Bedachten darstellen kann, ist indes ständige Rechtsprechung.


Rezension des Beschlusses des OLG Schleswig v. 13.05.2013 - 3 Wx 43/13 zu „Ergänzende Testamentsauslegung beim Ehegattentestament; Beeinträchtigung i.S.v. § 2271 Abs.2 BGB", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.10 Oktober 2013, S. 605 ff

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