Europäisches Nachlasszeugnis; Beantragung; Formblatt
Redaktioneller Leitsatz:
Art. 65 Abs. 2 EuErbVO und Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 der Kommission vom 9.12.2014 zur Festlegung der Formblätter nach Maßgabe der EuErbVO sind dahingehend auszulegen, dass für den Antrag auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses die Verwendung des Formblatts IV in Anhang 4 lediglich fakultativ ist.
EuGH (Sechste Kammer), Urteil vom 17.01.2019 - C-102/18
DVO (EU) Nr. 1329/2014 Art. 1 Abs. 4
AEUV Art. 267 Abs. 2
I. Einführung
Die Erblasserin T, eine deutsche Staatsangehörige mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Köln (Deutschland), verstarb im Jahr 2017. Ihr Ehemann, ihre Eltern und ihr Bruder sind vorverstorben. Da sie keine Kinder hatte, sind ihre einzigen noch lebenden Erben die Abkömmlinge ihres verstorbenen Bruders. Die Erblasserin hatte Vermögen in Deutschland, in Italien und in der Schweiz.
Durch notarielles Testament setzte sie eine Congregazione mit Sitz in Rom (Italien) als Alleinerbin ein und bestimmte B zum Testamentsvollstrecker.
Der Testamentsvollstrecker beantragte gemäß Art. 65 Abs. 1 EuErbVO beim AG Köln auf der Grundlage einer notariellen Urkunde die Ausstellung eines Zeugnisses in Bezug auf das in Italien befindliche Vermögen der Verstorbenen, ohne dabei das Formblatt IV in Anhang 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 (im Folgenden: Formblatt IV) zu verwenden.
Das Amtsgericht Köln bat den Testamentsvollstrecker, das Formblatt IV zu verwenden und es zur Akte des Antrags auf Ausstellung des Zeugnisses zu reichen. Dem trat der Testamentsvollstrecker entgegen und machte geltend, dass er dieses Formblatt verwenden könne, aber nicht müsse. Das Amtsgericht Köln wies den Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses zurück und begründete dies damit, dass das Formblatt IV nicht verwendet wurde und der Antrag somit nicht formgerecht gestellt worden sei.
Hiergegen legte der Testamentsvollstrecker beim Amtsgericht Köln Beschwerde ein und machte geltend, sowohl aus Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 als auch aus dem Formblatt IV selbst ergebe sich, dass dessen Verwendung fakultativ sei. Er trug vor, dass für diese Auslegung auch Art. 67 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung spreche, nach dem die Verwendung des Formblatts V in Anhang 5 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 obligatorisch sei. Seiner Ansicht nach hätte der Unionsgesetzgeber, wenn er im Rahmen des Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 die Verwendung des Formblatts IV zur Verpflichtung hätte erheben wollen, diese Bestimmung genau wie den besagten Art. 67 Abs. 1 Satz 2 formulieren können. Das Amtsgericht Köln half der Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem OLG Köln zur Entscheidung vor.
Das AG Köln war der Auffassung, dass sich die obligatorische Verwendung des Formblatts IV aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 ergebe, der eine lex specialis zu Art. 65 Abs. 2 EuErbVO sei. Die Kommission habe im Rahmen ihrer Ermächtigung gemäß den Art. 80 und 81 Abs. 2 EuErbVO zum Erlass von Durchführungsrechtsakten die Verwendung des Formblatts IV zur Verpflichtung erhoben.
Das OLG Köln war jedoch der Ansicht, dass im Wortlaut von Art. 65 Abs. 2 EuErbVO und in dem Feld „Mitteilung an den Antragsteller“ des Formblatts IV vielmehr der fakultative Charakter der Verwendung dieses Formblatts zum Ausdruck komme. Außerdem hatte es Zweifel an der Stichhaltigkeit der Analyse des AG Köln hinsichtlich der Wirkungen der Ermächtigung der Kommission zum Erlass von Durchführungsrechtsakten. Art. 80 EuErbVO ermächtige die Kommission zum Erlass von nur die Erstellung und spätere Änderung der Formblätter nach dieser Verordnung betreffenden Durchführungsrechtsakten, nicht aber zur Änderung von Art. 65 Abs. 2 EuErbVO dahin, dass die Verwendung des Formblatts IV zur Verpflichtung erhoben würde.
Unter diesen Umständen hat das OLG Köln beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
„Ist zur Beantragung eines Europäischen Nachlasszeugnisses gemäß Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 die Benutzung des nach dem Beratungsverfahren nach Art. 81 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 erstellten Formblatts IV (Anhang 4) gemäß Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 zwingend erforderlich oder nur fakultativ?“
II. Problem
Der EuGH bejahte dies und stellte dar, dass die Verwendung des Formblattes lediglich fakultativ ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH folge aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes, dass eine unionsrechtliche Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten muss, die unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Kontexts der Bestimmung sowie des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. in diesem Sinne EuGH Urteil vom 21. Juni 2018, Oberle, C-20/17, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach dem Wortlaut von Art. 65 Abs. 2 EuErbVO „kann“ der Antragsteller für die Vorlage eines Antrags auf Ausstellung eines Zeugnisses das nach dem Beratungsverfahren nach Art. 81 Abs. 2 dieser Verordnung erstellte Formblatt verwenden.
Außerdem müsse, wie sich aus Art. 65 Abs. 3 EuErbVO ergebe, der Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses die in dieser Bestimmung aufgeführten Angaben enthalten, soweit sie dem Antragsteller bekannt sind und von der Ausstellungsbehörde zur Beschreibung des Sachverhalts, dessen Bestätigung der Antragsteller begehrt, benötigt werden, wobei dem Antrag alle einschlägigen Schriftstücke beizufügen seien, und zwar entweder in Urschrift oder in Form einer Abschrift, die die erforderlichen Voraussetzungen für ihre Beweiskraft erfüllt. Daraus folge, dass zwar der Antragsteller die Angaben machen muss, die der Ausstellungsbehörde die Bestätigung des fraglichen Sachverhalts ermöglichen, doch ergebe sich aus Art. 65 EuErbVO nicht, dass er dabei das Formblatt IV verwenden muss.
Der Wortlaut von Art. 65 Abs. 2 EuErbVO sei somit eindeutig, was den fakultativen Charakter der Verwendung des Formblatts IV betrifft. Im Übrigen würden die vom vorlegenden Gericht angeführten Zweifel auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 zurück gehen, wonach „[f]ür den Antrag auf Ausstellung eines [Zeugnisses] gemäß Artikel 65 Absatz 2 der [Verordnung Nr. 650/2012] … das Formblatt IV in Anhang 4 zu verwenden [ist]“. Dieser Bestimmung könne dem vorlegenden Gericht zufolge zu entnehmen sein, dass die Verwendung dieses Formblatts obligatorisch ist.
Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 sei jedoch in Verbindung mit deren Anhang 4 zu lesen, auf den er verweist und in dem das Formblatt IV enthalten ist. In dem Feld „Mitteilung an den Antragsteller“ am Anfang dieses Formblatts werde aber eindeutig klargestellt, dass das Formblatt IV fakultativ ist. Somit komme der Wendung „Formblatt“, das „zu verwenden“ ist, in Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 keine Aussagekraft über den obligatorischen oder fakultativen Charakter der Verwendung des Formblatts IV zu, sondern nur eine Hinweisfunktion dahin, dass für den Fall, dass der Antragsteller seinen Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses mittels eines Formblatts stellen wollen sollte, das Formblatt IV das geeignete Formblatt wäre, das zu verwenden ist.
Außerdem sei festzustellen, dass nach dem Art. 65 EuErbVO entsprechenden Art. 38 des dieser Verordnung zugrunde liegenden Vorschlags der Kommission (KOM[2009] 154 endgültig) vorgesehen war, dass der Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses mittels eines Formblatts nach dem Muster in Anhang I dieses Vorschlags gestellt werden musste. Die Änderung der Formulierung dieses Art. 38 in Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 lasse erkennen, dass trotz der in einem frühen Stadium der Legislativtätigkeit bestehenden Absicht der Kommission, die obligatorische Verwendung eines Formblatts ins Auge zu fassen, diese anfängliche Absicht vom Unionsgesetzgeber nicht weiterverfolgt wurde. Folglich bestätige auch die Entstehungsgeschichte der EuErbVO, dass dem Wortlaut ihres Art. 65 Abs. 2 zu entnehmen ist, dass die Verwendung des Formblatts IV zur Beantragung eines Zeugnisses fakultativ ist.
Bestätigt werde diese Auslegung außerdem in einer Analyse des Zusammenhangs, in den sich diese Bestimmung einfügt.
Art. 67 Abs. 1 EuErbVO stelle nämlich für die Ausstellungsbehörde die Pflicht auf, für die Ausstellung des Zeugnisses das in Anhang 5 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 vorgesehene Formblatt V zu verwenden. In dem unterschiedlichen Wortlaut von Art. 65 Abs. 2 EuErbVO, der den Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses betrifft, und Art. 67 Abs. 1 EuErbVO betreffend die Ausstellung des Zeugnisses komme zum Ausdruck, dass der Unionsgesetzgeber für den Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses die Verwendung des Formblatts IV nicht vorschreiben wollte.
Darüber hinaus sei festzustellen, dass sich in den Anhängen 1 bis 3 und 5 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 kein Hinweis auf die fakultative Verwendung der in diesen Anhängen enthaltenen Formblätter findet. Allein das Formblatt IV weise in dem Feld „Mitteilung an den Antragsteller“ auf den fakultativen Charakter dieses Formblatts hin. Dieser Hinweis findet sich im Übrigen genauso auch in anderen Sprachfassungen des fraglichen Anhangs wie der spanischen, der englischen, der französischen, der italienischen und der rumänischen.
Diese Auslegung laufe auch nicht der allgemeinen Zielsetzung der EuErbVO zuwider, die, wie sich aus deren 59. Erwägungsgrund ergibt, in der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen in Erbsachen mit grenzüberschreitendem Bezug besteht.
Auch wenn nämlich in dem Feld „Mitteilung an den Antragsteller“ des Formblatts IV erläutert werde, dass die Verwendung dieses Formblatts durch den Antragsteller die Zusammenstellung der für die Ausstellung eines Zeugnisses erforderlichen Angaben erleichtern soll, könne mit dem nach Art. 65 EuErbVO gestellten Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses das Ziel dieser Verordnung von den Mitgliedstaaten gleichwohl im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip ausreichend verwirklicht werden, ohne dass es erforderlich wäre, die Verwendung des Formblatts IV zur Verpflichtung zu erheben.
Hierzu sei darauf hinzuweisen, dass die Ausstellungsbehörde nach den Art. 66 und 67 Abs. 1 EuErbVO das Zeugnis ausstellt, nachdem sie die vom Antragsteller gemäß Art. 65 Abs. 3 dieser Verordnung übermittelten Angaben überprüft und gegebenenfalls Nachforschungen gemäß Art. 66 der Verordnung angestellt hat.
Nach alledem seien Art. 65 Abs. 2 EuErbVO und Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 dahin auszulegen, dass für den Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses im Sinne der erstgenannten Bestimmung die Verwendung des Formblatts IV fakultativ ist.
III. Fazit
Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH beschäftigt sich mit der Antragstellung zur Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses nach Art. Art. 65 Abs. 2 EuErbVO.
Für den Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses nach Art. 65 Abs. 2 EuErbVO muss danach nicht das Formblatt IV in Anhang 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 verwendet werden. Der Antrag kann auch in anderer Weise, hier etwa in Form einer notariellen Urkunde, gestellt werden. Nichtsdestotrotz muss er aber die in Art. 65 Abs. 3 EuErbVO aufgeführten Angaben enthalten, soweit sie dem Antragsteller bekannt sind und von der Ausstellungsbehörde benötigt werden. Das genaue Verfahren zur Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist in Deutschland in den §§ 33 ff. IntErbRVG geregelt.
Rezension des Urteils des EuGH (Sechste Kammer) v. 17.01.2019 - C-102/18 „Europäisches Nachlasszeugnis / Beantragung / Formblatt", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.4 April 2019, S.234 ff