FamFG; Rechtsbeschwerde; Staatskasse; Frist

Leitsätze:

  1. Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde beträgt für die Staatskasse in analoger Anwendung des § 304 Abs. 2 FamFG drei Monate. Sie beginnt mit der - auch formlos möglichen - Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung; § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG findet keine Anwendung.
  2. Ob die durch ein Behindertentestament für den Betroffenen angeordnete (Vor-)Erbschaft bei gleichzeitiger Anordnung der Testamentsvollstreckung zur Mittellosigkeit des Betroffenen führt, ist durch Auslegung der an den Testamentsvollstrecker adressierten Verwaltungsanordnungen zu ermitteln (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 27. März 2013 - XII ZB 679/11 -FamRZ 2013, 874).

BGH, Beschluss vom 01.02.2017 - XII ZB 299/15

FamFG § 59, § 63 Abs. 3 S. 2, § 70 Abs. 1, § 74 Abs. 3 S. 1, § 304 Abs. 2
BGB § 133, § 2084, § 2211, § 2214, § 2116 Abs. 2
VBVG § 5 Abs. 2

I. Einführung

Die Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Betreuerin) wurde für die an einer chronifizierten paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidende und seit vielen Jahren unter Betreuung stehende Betroffene als Vereinsbetreuerin bestellt. Die Betroffene ist gemeinsam mit ihren drei Schwestern Erbin nach ihrer Mutter. Diese hatte in ihrem Testament angeordnet, dass die Betroffene hinsichtlich ihres Erbteils Vorerbin und die Schwestern insoweit Nacherbinnen sein sollen. Ferner hatte die Mutter, im Hinblick auf die psychische Erkrankung der Betroffenen, Testamentsvollstreckung auf deren Lebenszeit angeordnet und den Testamentsvollstrecker angewiesen, der Betroffenen aus dem Erbteil die Mittel für ein möglichst würdevolles und angemessenes Leben zur Verfügung zu stellen. Im Einzelnen hat sie „Taschengeld in angemessener Höhe, Zuwendungen für Kleidung und persönliche Anschaffungen, Mittel zur Ausübung eines Hobbys, ggf. Freizeiten- und Urlaubsaufenthalte, Aufwendungen für ärztliche Behandlungen, die von der Krankenkasse nicht vollständig gezahlt werden, wie z.B. Brille oder Zahnersatz u.ä.“ als aus dem Erbteil zu finanzieren benannt. Im November 2013 betrug das im Wesentlichen aus diesem Erbteil bestehende Vermögen der Betroffenen rund 50.000 €.

Das Amtsgericht hat für die Zeit vom 26. Oktober 2013 bis zum 25. April 2014 die Vergütung der Betreuerin auf jeweils 330 € festgesetzt, angeordnet, dass diese Vergütung aus dem Vermögen der Betroffenen zu zahlen ist, und die Beschwerde zugelassen. Auf die von der Betreuerin eingelegte Beschwerde hat das Landgericht die angefochtenen Beschlüsse insoweit aufgehoben, als dort angeordnet wurde, dass die Vergütung aus dem Vermögen der Betroffenen zu zahlen ist.

Die Betroffene sei vermögenslos, weil das Testament der Mutter der Betroffenen dahingehend auszulegen sei, dass die Erblasserin Vergütungsansprüche eines Betreuers ausschließen wollte. Die Mutter habe ihr Interesse zum Ausdruck gebracht, der Betroffenen zusätzliche Vorteile und Annehmlichkeiten über die staatlichen Leistungen hinaus zukommen zu lassen, und durch die Nacherbschaft zu erkennen gegeben, dass auch nach dem Tod der Betroffenen die Sozialhilfeträger keinen Zugriff auf das Vermögen haben sollen. Aus den im Testament beispielhaft benannten Zwecken, für die Gelder entnommen werden dürfen, ergebe sich, dass die Erblasserin nicht die Grundversorgung sicherstellen wollte, sondern persönliche Vergünstigungen vorgesehen habe. Die Betreuung sei aber eher als Grundversorgung anzusehen.

Der landgerichtliche Beschluss wurde der Staatskasse am 1. Juni 2015 formlos übersandt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatskasse mit ihrer zugelassenen und am 6. Juli 2015 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Rechtsbeschwerde.

II. Problem

Die Rechtsbeschwerde hatte nach Ansicht des BGH nur hinsichtlich der Höhe der Betreuervergütung Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde sei fristgerecht eingelegt worden. Der Lauf der Rechtsbeschwerdefrist ergebe sich für die Staatskasse aus einer analogen Anwendung des § 304 Abs. 2 FamFG. Abweichend von der allgemeinen Beschwerdefrist nach § 63 FamFG betrage die Frist zur Einlegung der Beschwerde durch den Vertreter der Staatskasse mithin drei Monate und beginne mit der formlosen Mitteilung (§ 15 Abs. 3 FamFG) an ihn.

  • 304 Abs. 2 FamFG regelt eine besondere Frist für die Einlegung der Beschwerde durch die Staatskasse. Die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde würden zwar nicht auf § 304 Abs. 2 FamFG verweisen, diese Regelung gelte jedoch für das Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend (BeckOK FamFG/Günter, § 304 Rn. 8; Guckes in Fröschle Praxiskommentar Betreuungs- und Unterbringungsverfahren, § 304 FamFG Rn. 2 und § 74 FamFG Rn. 11; Prütting/Helms/Fröschle FamFG, § 304 Rn. 20). Die für die entsprechende Anwendung erforderliche Regelungslücke liege vor, da weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzgebungsmaterialien Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass der Gesetzgeber in den Vorschriften über die Rechtsbeschwerde bewusst von einem Verweis auf § 304 Abs. 2 FamFG abgesehen hat. Es bestehe auch ein vergleichbarer Bedarf, die Rechtsbeschwerdefrist für die Staatskasse wie die Beschwerdefrist besonders zu regeln. Dies ergebe sich schon aus dem Zweck der Vorschrift, wonach die Regelung ermöglichen soll, dass die Bezirksrevisoren ihre bisherige Praxis, in regelmäßigen Abständen Revisionen vorzunehmen, beibehalten können (BT-Drucks. 16/6308 S. 272; Jürgens/Kretz Betreuungsrecht § 304 FamFG Rn. 4; Keidel/Budde FamFG § 304 Rn. 6; Bienwald/Sonnenfeld/Harm/Bienwald Betreuungsrecht § 304 FamFG Rn. 5; Guckes in Fröschle Praxiskommentar Betreuungs- und Unterbringungsverfahren 3. Aufl. § 304 FamFG Rn. 10). Diese regelmäßigen Revisionen beinhalte auch die Prüfung, ob Beschwerdeentscheidungen ergangen sind, die der Staatskasse nicht mitgeteilt worden sind.

Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift folge zudem, dass die Fünfmonatsfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG daneben nicht zum Tragen kommt (Prütting/Helms/Fröschle FamFG § 304 Rn. 18; vgl. auch BT-Drucks. 16/6308 S. 272), wobei dahinstehen könne, ob § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG im Rechtsbeschwerdeverfahren überhaupt Anwendung findet (vgl. BGH, FamRZ 2012, 1049 Rn. 13 m. w. N.).

Demnach habe die Rechtsbeschwerde der Staatskasse die Rechtsbeschwerdefrist gewahrt, denn die Beschwerdeentscheidung sei der Staatskasse erst am 1. Juni 2015 zugegangen.

Die Rechtsbeschwerde war aber nur teilweise begründet.

Die Auslegung des Landgerichts, dass die Mutter der Betroffenen in ihrem Testament die Zahlung der Betreuervergütung aus dem Erbteil nicht anordnen wollte, sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, dass die Betreuung eine über staatliche Sozialleistungen hinausgehende Vergünstigung und daher nach dem Willen der Erblasserin aus dem Erbe zu finanzieren sei, ergebe sich eine solche Verwaltungsanordnung nicht zwingend aus dem Testament. Für die Auffassung des Landgerichts spreche im Übrigen, dass die Einrichtung der Betreuung, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, eine staatliche Pflicht im Rahmen des Erwachsenenschutzes sei. Diese Pflicht bestehe gegenüber jedermann unabhängig von dessen Vermögensverhältnissen und stelle somit keine besondere Vergünstigung für die Betroffene, sondern eher deren Grundversorgung dar. Das Landgericht habe insoweit alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt und sein Ergebnis nachvollziehbar begründet.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH zum so genannten Behindertentestament seien Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer (mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen) Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus (BGH, FamRZ 2013, 874 Rn. 20; BGHZ 188, 96 = FamRZ 2011, 472 Rn. 12 m. w. N.). Die angeordnete Testamentsvollstreckung schränke die Verfügungsbefugnis des Betroffenen jedoch gemäß § 2211 BGB ein. Demgemäß könnten sich die Gläubiger des Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten, § 2214 BGB (BGH, FamRZ 2013, 874 Rn. 21).

Nach Ansicht des BGH sei jedoch die Vergütung in der Höhe falsch festgesetzt worden. Da die Betroffene für die Vergütung nicht auf ihren Erbteil habe zugreifen können und nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts im Übrigen mittellos ist, seien für die Betreuervergütung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VBVG im vorliegenden Fall monatlich zwei Stunden in Ansatz zu bringen. In Verbindung mit dem von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Stundensatz in Höhe von 44 € ergebe sich daher eine Vergütung von jeweils 264 € für die beiden, jeweils dreimonatigen Zeiträume.

III. Fazit

Der BGH hatte sich vorliegend mit Problemen der Zulässigkeit und Begründetheit eines betreuungsrechtlichen Falls zu befassen.

Er bestätigt die in der Literatur vorherrschende Ansicht, dass für Rechtsbeschwerden der Staatskasse § 304 Abs. 2 FamFG entsprechend anzuwenden ist und die dreimonatige Frist mit der auch formlos möglichen Bekanntgabe der Entscheidung zu laufen beginnt.

Mit seinen Ausführungen zum Behindertentestament und der damit ggf. verbundenen Mittellosigkeit des Betroffenen, bestätigt er seine bisherige Rechtsprechung. In der Praxis ist ein besonderes Augenmerk auf die Formulierung der Anweisungen an den Testamentsvollstrecker zu legen, um die gewünschte rechtlichen Wirkung zu erreichen.


Rezension des Beschlusses des BGH v. 01.02.2017 - XII ZB 299/15 „FamFG / Rechtsbeschwerde / Staatskasse / Frist", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.7 Juli 2017, S.403 ff

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