Gemeinschaftliches Testament, Einzelurkunden; Testierfähigkeit

Amtliche Leitsätze:

  1. Ein gemeinschaftliches Testament kann durch Ehegatten nicht nur in einer einzelnen, sondern auch in zwei getrennten Urkunden errichtet werden. Für die Annahme einer gemeinschaftlichen Erklärung ist es nicht ausreichend, dass die beiden Einzelurkunden am gleichen Tag und Ort und mit im Wesentlichen gleichem Inhalt errichtet worden sind, wenn sie darüber hinaus keine Anhaltspunkte dafür enthalten, dass die Eheleute als gemeinschaftlich erklärend aufgetreten sind.
  2. Zu den Voraussetzungen der Amtsaufklärung der Testierfähigkeit der zur Zeit der Errichtung des Testaments unter Betreuung stehenden Erblasserin.

OLG Hamm (10. Zivilsenat), Beschluss vom 06.05.2021 – 10 W 9/21

BGB § 2265
BGB § 2229 Abs. 4

I. Einführung

Die Beteiligten sind die einzigen Abkömmlinge der im Jahr 1933 geborenen Erblasserin und ihres im Jahr 2018 vorverstorbenen Ehemannes.

Im Jahr 2014 errichtete die Erblasserin unter der Überschrift „Mein Testament“ ein handschriftliches Testament mit im Wesentlichen folgendem Inhalt:

1.) Ich, erkläre folgendes: Ich bin mit [Ehemann] verheiratet. Aus unserer Ehe sind 3 Kinder hervorgegangen: […]

  1. a) Ich bin zur Hälfte Eigentümer des oben genannten bebauten Grundstücks einschließlich Inventar. Die andere Hälfte gehört meinem Mann.
  2. b) Ich bin ferner alleinige Eigentümerin von Geldeinlagen bei der [Bank].

2.) Für den Erbfall auf Grund meines Todes vor meinem Mann setze ich meinen Mann als Vorerben ein und unseren Sohn F als Nacherben. […]

  1. b) Als Vorerbe meines Teileigentums am Hausgrundstück einschließlich Inventar ist mein Mann zu seiner alleinigen Nutzung berechtigt. […]

3.) Für den Erbfall auf Grund meines Todes nach meinem Mann verfüge ich folgendes:

Meinen Sohn F setze ich als Erben ein. Seine Geschwister G und H sind Pflichtteilsberechtigte. […]

Am gleichen Tag errichtete der Ehemann der Erblasserin ebenfalls ein handschriftliches Testament mit gleichem Aufbau und im Wesentlichen gleichen Inhalt und Wortlaut. Im Jahr 2018 verfügte der Ehemann der Erblasserin auf seinem Testament handschriftlich ergänzend, dass bei einem Vorversterben der Beteiligten zu 2) und 3) deren Erben pflichtteilsberechtigt seien.

Auf Anregung des Beteiligten zu 1) bestellte das Amtsgericht - Betreuungsgericht den Beteiligten zu 1) zum Betreuer der Erblasserin, da diese aufgrund einer manisch-depressiven Erkrankung und eines Zustands nach Hirninfarkt und Operation eines gutartigen Hirntumors daran gehindert sei, ihre eigenen Angelegenheiten interessengerecht zu regeln.

Etwa zur gleichen Zeit zog die Erblasserin aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen aus der bis zu dem Tod des Ehemannes mit diesem gemeinsam und danach allein bewohnten Immobilie in ein Pflegeheim.

Nach dem Inhalt eines gefertigten Aktenvermerks aus dem Jahr 2019 erklärte der Beteiligte zu 1) gegenüber der Rechtspflegerin des Betreuungsgerichts, dass die Erblasserin mittlerweile nicht mehr testierfähig sei und er das leerstehende Haus der Erblasserin übernehmen wolle, da er es nach dem Testament der Erblasserin später erhalten solle. Dies nahm die Rechtspflegerin zum Anlass, die Bestellung eines berufsmäßigen Ergänzungsbetreuers gegenüber dem Betreuungsrichter anzuregen.

In einer daraufhin eingeholten Stellungnahme der Betreuungsstelle ist als Zusammenfassung aufgeführt:

Offenbar hat ein Notar die Betroffene für nicht mehr testierfähig erachtet (s. dortige Verfügung vom 27.08.19), sodass die Betreuung wohl weitergeführt werden muss. Für den Aufgabenkreis Grundstücks- und Immobilienangelegenheiten wird ein Berufsbetreuer vorgeschlagen.

Die Erblasserin unterzeichnete später im Jahr 2019 eine maschinenschriftliche Erklärung, wonach ihr Ehemann im Jahr 2014 mit dem von ihm gefertigten Testament zu ihr gekommen sei und sie aufgefordert habe, ein gleiches Testament unter ihrem Namen zu verfassen. Sie habe ihm wie auch sonst in finanziellen Angelegenheiten blind vertraut und sein Testament abgeschrieben.

Im Januar 2020 errichtete die Erblasserin ein handschriftliches Testament mit folgendem Inhalt:

Hiermit widerrufe ich mein bisheriges Testament.

Kurz darauf verstarb die Erblasserin.

Der Beteiligte zu 1) hat gestützt auf das Testament der Erblasserin aus dem Jahr 2014 die Erteilung eines Alleinerbscheins zu seinen Gunsten beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, bei den beiden Testamenten aus dem Jahr 2014 handele es sich um ein gemeinschaftliches, wechselbezügliches Testament gem. §§ 2265, 2271 BGB, das nach dem Tod seines Vaters durch die Erblasserin nicht mehr habe abgeändert werden können.

Die Erklärung der Erblasserin aus dem Jahr 2019 erscheine manipuliert und sei kaum von der damals 86-jährigen Erblasserin selbst formuliert worden. Zudem sei zweifelhaft, ob sie damals noch geschäftsfähig gewesen sei.

Die Beteiligten zu 2) und 3) sind dem Erbscheinsantrag entgegengetreten. Sie haben die Ansicht vertreten, es handele sich bei den beiden Testamenten nicht um ein gemeinschaftliches Ehegattentestament, sondern um Einzeltestamente. Eine Wechselbezüglichkeit mit Bindungswirkung sei nach der Erklärung der Erblasserin aus dem Jahr 2019 bei Testamentserrichtung nicht gewollt gewesen. Die Erblasserin habe ihr Einzeltestament im Jahr 2020 wirksam widerrufen, so dass sie im Wege gesetzlicher Erbfolge von ihren Kindern, den Beteiligten zu 2) und 3), beerbt worden sei.

Das Amtsgericht - Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Die Erblasserin habe dessen Erbeinsetzung wirksam mit weiterer Verfügung von Todes wegen aus dem Jahr 2020 widerrufen. Bei dem Testament aus dem Jahr 2014 handele es sich nicht um ein gemeinschaftliches Testament gem. §§ 2265 ff. BGB.

Soweit der Beteiligte zu 1) eine Manipulation des Schreibens aus dem Jahr 2019 vermute und den Verdacht äußere, die Erblasserin sei womöglich nicht mehr geschäftsfähig gewesen, handele es sich ersichtlich um Behauptungen ins Blaue hinein, die keine Veranlassung zu weitergehenden Ermittlungen geben würden.

Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerde. Die Beteiligten zu 2) und 3) verteidigen den angefochtenen Beschluss.

Das Amtsgericht - Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Problem

Das OLG Hamm erachtete die Beschwerde als statthaft und zulässig, aber unbegründet.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung habe das Amtsgericht den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Der Beteiligte zu 1) sei nicht aufgrund des Testaments aus dem Jahr 2014 Alleinerbe der Erblasserin geworden, weil sie dieses Testament wirksam durch weiteres Testament aus dem Jahr 2020 widerrufen habe.

Die Erblasserin sei nicht gem. § 2271 Abs. 2 BGB an der Errichtung des Widerrufstestaments gehindert gewesen, da es sich bei den Testamenten der Erblasserin und ihres Ehemannes nicht um ein gemeinschaftliches Testament gem. §§ 2265 ff. BGB gehandelt habe. Auf die Frage der Wechselbezüglichkeit der in den Testamenten getroffenen Verfügungen komme es danach nicht an.

Zwar könne ein gemeinschaftliches Testament durch Ehegatten nicht nur in einer einheitlichen, sondern auch in zwei getrennten Urkunden errichtet werden. In dem Fall liege ein gemeinschaftliches Testament jedoch nur dann vor, wenn aus den einzelnen Urkunden selbst erkennbar sei, dass der Wille der Ehegatten, gemeinsam über den Nachlass zu verfügen, zu einer gemeinschaftlichen Erklärung geführt habe. Es sei daher zunächst anhand der beiden einzelnen Testamente festzustellen, ob die von dem Gesetz geforderte gemeinschaftliche Erklärung vorliege. Erst danach könne deren Inhalt im Wege der Auslegung auch unter Heranziehung von Umständen außerhalb der Testamentsurkunden ermittelt werden. Für die Annahme einer solchen gemeinschaftlichen Erklärung sei es dabei nicht ausreichend, dass die beiden Einzelurkunden am gleichen Tag und Ort und mit im Wesentlichen gleichem Inhalt errichtet worden seien, wenn sie darüber hinaus keine Anhaltspunkte dafür enthalten würden, dass die Eheleute als gemeinschaftlich erklärend aufgetreten sind (BGHZ 9, 113 ff.; OLG Zweibrücken, FamRZ 2003, 1415 f.; OLG München, FamRZ 2008, 2234 ff.).

Nach diesen Maßstäben habe das Nachlassgericht zutreffend das Vorliegen eines gemeinschaftlichen Testaments im Sinne des § 2265 BGB verneint.

Die Testamente seien zwar von der Erblasserin und ihrem Ehemann am gleichen Tag und Ort mit gleichem Aufbau und im Wesentlichen identischem Inhalt errichtet worden. Aus den Urkunden selbst würden sich jedoch kein Anhaltspunkt dafür ergeben, dass es sich hierbei nach dem seinerzeitigen Willen der Erblasser um eine gemeinschaftliche Erklärung und nicht lediglich um inhaltlich übereinstimmende Einzeltestamente handeln sollte. Beide Verfügungen würden nur das eigene Vermögen des jeweiligen Ehegatten aufführen und seien durchgehend ausschließlich in der Ich-Form formuliert. Es fehle jede inhaltliche Bezugnahme beider Urkunden aufeinander, so dass keines der Testamente Rückschlüsse auf die Existenz eines inhaltsgleichen Testaments des anderen Ehegatten zulasse.

Auch aus dem Inhalt der getroffenen Verfügungen lasse sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit auf eine gemeinschaftliche Erklärung der Eheleute schließen.

Soweit sie in Bezug auf die damals in ihrem Miteigentum stehende Immobilie inhaltsgleiche Verfügungen getroffen hätten, nach denen im Ergebnis der Beteiligte zu 1) nach dem Tod beider Ehegatten Alleineigentümer der Immobilie werden und dann die Pflichtteilsansprüche der Beteiligten zu 2) und 3) in Bezug auf den Gesamtwert der Immobilie erfüllen sollte, so ergebe sich hieraus zuverlässig nur, dass sich die Eheleute insoweit inhaltlich abgestimmt haben. Mangels anderweitiger weiterer Hinweise in den einzelnen Testamenten sei dies zur Feststellung einer gemeinschaftlichen Erklärung nicht ausreichend, da anderenfalls bei inhaltlich aufeinander abgestimmten Verfügungen in zwei Einzeltestamenten immer das Vorliegen eines gemeinschaftlichen Testaments im Sinne des § 2265 BGB zu bejahen wäre. Das sei jedoch nach der dargelegten ständigen Rechtsprechung gerade nicht der Fall.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Erblasserin das Original ihres Testaments ihrem Ehemann zur gemeinschaftlichen Aufbewahrung beider Testamente ausgehändigt haben soll.

Das Widerrufstestament der Erblasserin sei wirksam, insbesondere sei die Erblasserin nicht infolge einer Testierunfähigkeit im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB an der Errichtung des Widerrufstestaments gehindert gewesen.

Werde im Erbscheinsverfahren die Testierunfähigkeit des Erblassers eingewandt, so sei das Nachlassgericht wegen der Amtsermittlungspflicht gem. § 26 FamFG gehalten, naheliegenden Ermittlungsansätzen nachzugehen (MüKo-BGB/Sticherling, § 2229 Rn. 69). Habe der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung unter gesetzlicher Betreuung gestanden, so könne für das Nachlassgericht Veranlassung bestehen, Einsicht in die Betreuungsakten zu nehmen, wenngleich auch für den Betreuten der Grundsatz der Testierfähigkeit gilt. Weitere Ermittlungen seien dann anzustellen, wenn sich aus dem Inhalt der beigezogenen Betreuungsakten konkret begründete Zweifel an der Testierfähigkeit ergeben würden (MüKo-BGB/Sticherling, § 2229 Rn. 17, 18, 70).

Aus dem Inhalt der beigezogenen Betreuungsakte würden sich vorliegend aber keine konkret begründeten Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin ergeben.

Die Erblasserin habe zwar neben ihren körperlichen Erkrankungen unter einer manisch-depressiven Störung gelitten, diese sei jedoch ausweislich der gutachterlichen Stellungnahme des behandelnden Hausarztes der Erblasserin entsprechend dem medizinischen Standard mit Carbamazepin medikamentös behandelt worden. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin diese Medikamente im Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht mehr eingenommen und dies ihre Testierfähigkeit eingeschränkt habe, zumal sie zu der Zeit bereits seit mehreren Monaten vollstationär im Pflegeheim untergebracht gewesen sei.

Soweit in dem Schreiben der Betreuungsstelle der Hinweis darauf enthalten ist, ein Notar habe die Erblasserin für nicht mehr testierfähig gehalten, handele es sich offenkundig um ein Missverständnis. Ein solcher Inhalt lasse sich der in Bezug genommenen gerichtlichen Verfügung nicht entnehmen.

Schließlich würden sich auch aus dem Inhalt des Anhörungsvermerks keine Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit der Erblasserin ergeben. Allein das Abschweifen der Erblasserin während der Anhörung begründe keine Zweifel an ihrer Testierfähigkeit, zumal sich aus dem weiteren Inhalt des Anhörungsvermerks ergebe, dass sie dem Gespräch folgen und adäquate Angaben, etwa zur Bezahlung eines Berufsbetreuers aus ihrem Vermögen oder der dauerhaften Bestellung eines Berufsbetreuers, machen konnte.

Zu weiteren Ermittlungen hätte zudem deshalb keine Veranlassung bestanden, da andere naheliegende Ermittlungsansätze weder ersichtlich seien, noch sich aus dem Vorbringen der Beteiligten ergeben würden.

III. Fazit

Die Entscheidung beleuchtet zum einen in anschaulicher Weise die Anforderungen an eine gemeinschaftliche Erklärung bei Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments in zwei getrennten Urkunden. Zeit- und ortsgleiche Errichtung, sowie inhaltliche Übereinstimmung und gemeinsame Verwahrung sind hierfür gerade nicht ausreichend.

Zum anderen zeigt die Entscheidung erneut die hohen Anforderungen für die Annahme einer Testierunfähigkeit bzw. die Schwelle für die Notwendigkeit von weiteren Ermittlungen von Amts wegen. Das OLG Hamm lässt hier auch schwere psychische Erkrankungen (manisch-depressive Störung) nicht ausreichen, da Anhaltspunkte dafür fehlten, dass die verordnete Medikation nicht durch die Erblasserin eingenommen wurde.

 


Rezension des Beschlusses des OLG Hamm  v. 06.05.2021 - 10 W 9/21; „Gemeinschaftliches Testament / Einzelurkunden / Testierfähigkeit", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.12  Dezember 2021, S.685 ff


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