Gemeinschaftliches Testament; gesetzliche Erbfolge; Bindungswirkung

Amtlicher Leitsatz:

Verfügen der Erblasser und seine vorverstorbene erste Ehefrau, die fünf Kinder haben, in einem gemeinschaftlichen Testament, mit welchem sie einander zu Alleinerben einsetzen, „Nach unserer beider Tod soll die gesetzliche Erbfolge in Kraft treten.“ und setzt der Erblasser sodann in einem späteren notariellen Testament seine zweite Ehefrau zu 1/2 Anteil und die Kinder zu je 1/10 Anteil zu seinen Erben ein, so steht der Erteilung eines dem notariellen Einzeltestament entsprechenden Erbscheins eine Bindungswirkung durch das frühere gemeinschaftliche Testament nicht entgegen, weil die Einsetzung der „gesetzlichen Erben“ als Schlusserben durch den überlebenden Erblasser im Verhältnis zu dessen Einsetzung als Alleinerbe der vorverstorbenen Ehefrau nicht als wechselbezüglich im Sinne von § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB anzusehen ist.

OLG Düsseldorf (3. Zivilsenat), Beschluss vom 20.01.2021 – 3 Wx 245/19

BGB §§ 133, 242, 2066, 2269, 2270, 2271 Abs. 2 Satz 1

I. Einführung

Die Beteiligte zu 1) ist die zweite Ehefrau des Erblassers, die Beteiligten zu 2) bis 6) sind Kinder aus der Ehe des Erblassers und seiner vorverstorbenen ersten Ehefrau.

Im Jahr 1998 hatten der Erblasser und seine erste Ehefrau sich in einem gemeinschaftlichen privatschriftlichen Testament gegenseitig als alleinige Erben eingesetzt.

Weiter hatten sie bestimmt:

 

Nach unserer beider Tod soll die gesetzliche Erbfolge in Kraft treten.

Nach dem Tode seiner ersten Ehefrau heiratete der Erblasser die Beteiligte zu 1). Er errichtete im Jahr 2014 ein notarielles Testament, in dem er verfügte, zu seinen Erben setze er die Beteiligte zu 1) zu 1/2 Anteil und die Beteiligten zu 2) bis 6) zu je 1/10 Anteil ein. Weiter ordnete er Testamentsvollstreckung zur Abwicklung seines Nachlasses an.

Die Beteiligte zu 1) beantragte die Erteilung eines diesem notariellen Testament entsprechenden Erbscheins.

Einzig die Beteiligte zu 4) ist dem Erbscheinsantrag mit der Begründung entgegengetreten, ihrer Mutter sei es auf die gesetzliche Erbfolge angekommen. Daher sei das Testament aus dem Jahr 2014 unwirksam und allen Beteiligten ein dem Testament aus dem Jahr 1998 entsprechender gemeinsamer Erbschein zu erteilen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Nachlassgericht die zur Begründung des Erbscheinsantrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, jedoch ausgeführt, bei den letztwilligen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahr 1998 handele es sich um bindende wechselbezügliche Bestimmungen. Daher sei der Erblasser gehindert gewesen, die dort festgelegte Erbfolge im späteren notariellen Testament zu ändern. Daher sei gesetzliche Erbfolge nach dem früheren Testament eingetreten. Das bedeute jedoch auch, dass die zweite Ehefrau des Erblassers Erbin geworden und der Erbschein - wie beantragt (sic!) - zu erteilen sei.

Die Beteiligten zu 4) und 5) beschwerten sich und baten um Zurückweisung des Erbscheinsantrages.

Die Lebenserfahrung zeige, dass Ehepartner, die ein Testament wie das aus dem Jahr 1998 errichteten und langjährig verheiratet und im Alter der Testierenden seien, davon ausgingen, dass eine Wiederverheiratung des Überlebenden nicht stattfinden werde bzw. sie eine solche Möglichkeit nicht ins Kalkül zögen. Vielmehr würden sie davon ausgehen, dass der Überlebende unverheiratet bleibe. Hinzu komme im vorliegenden Fall die tiefe Religiosität der ersten Ehefrau. Diese hätte nicht - wie geschehen - testiert, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass mit der Verwendung des Begriffs „gesetzliche Erbfolge“ eine Wiederverheiratung des Überlebenden dazu führe, dass der neu hinzugekommene Ehegatte ebenfalls einen Erbanspruch erhalte und das Erbe der bereits vorhandenen Kinder durch die Wiederheirat geschmälert werde.

Auch des späteren Testaments, dessen Inhalt zufällig der gesetzlichen Erbfolge entspreche, hätte es nicht bedurft, wenn diese bereits so im früheren Testament verfügt worden wäre.

Die Beteiligte zu 1) hat entgegnet, dem Erblasser sei die korrekte Regelung aller Angelegenheiten wichtig gewesen; deshalb habe er sich beraten lassen und im Vorfeld ausdrücklich kommuniziert, dass er genau dieselbe Regelung wolle, wie er sie mit seiner ersten Frau verfügt habe, nämlich die gesetzliche Erbfolge. Auf notariellen Rat hin habe er 2014 ein neues Testament errichtet, welches - bis auf die Anordnung der Testamentsvollstreckung - dem ersten entsprochen habe.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Problem

Das OLG Düsseldorf erachtete das von den Beteiligten zu 4) und 5) eingelegte Rechtsmittel als statthaft, zulässig und auch begründet. In der Sache führt die Beschwerde zur Anweisung an das Nachlassgericht, den beantragten Erbschein - das ist der auf das spätere notarielle Testament gestützte - zu erteilen.

Der auf das notarielle Testament aus dem Jahr 2014 gestützte Erbscheinsantrag sei begründet. Die Erbfolge nach dem Erblasser richte sich nach diesem späteren notariellen Testament.

Der Erblasser sei nicht aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments aus dem Jahr 1998 gehindert gewesen, das spätere notarielle Testament zu errichten.

Die Regelung des gemeinschaftlichen Testaments, „Nach unserer beider Tod soll die gesetzliche Erbfolge in Kraft treten.“ enthalte keine bindende wechselbezügliche Verfügung im Sinne von § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB.

Wechselbezüglich seien (nur) solche Verfügungen, die ein Ehegatte nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen hätte, bei denen also aus dem Zusammenhang des Motivs heraus eine innere Abhängigkeit zwischen den einzelnen Verfügungen derart besteht, dass die Verfügung des einen Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere Partner eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat, wenn also nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll. Das müsse für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft werden (Palandt/Weidlich, § 2270 BGB, Rdnr. 1 m.N.).

Beim Berliner Testament sei Wechselbezüglichkeit denkbar im Verhältnis der Verfügungen betreffend die gegenseitige Erbeinsetzung, im Verhältnis der Schlusserbeneinsetzung des Überlebenden zur eigenen Erbeinsetzung durch den Erstversterbenden und im Verhältnis der Schlusserbeneinsetzung des Überlebenden zur Schlusserbeneinsetzung des Erstversterbenden.

Letztere sei regelmäßig nicht wechselbezüglich, denn grundsätzlich widerspreche es der Lebenserfahrung, dass Eltern ihre Kinder nur mit Rücksicht auf die Verfügung des anderen einsetzen (Palandt/Weidlich, § 2270, Rdnr. 5).

Auch die hier in Rede stehende Einsetzung der „gesetzlichen Erben“ als Schlusserben durch den überlebenden Erblasser sei im Verhältnis zu dessen Einsetzung als Alleinerbe der vorverstorbenen Ehefrau nicht wechselbezüglich. Denn es spreche nichts dafür, dass der Erblasser die aus der Ehe mit der vorverstorbenen ersten Ehefrau hervorgegangenen Kinder (nur) deshalb als Erben eingesetzt habe, weil er von seiner damaligen Ehefrau als Alleinerbe eingesetzt worden sei.

Sei mithin das notarielle Testament aus dem Jahr 2014 maßgebend, so ergebe sich die Erbfolge ohne weiteres aus der ausdrücklichen Bestimmung der Erben und ihrer jeweiligen Erbquoten.

Dies würde im Übrigen auch für das gemeinschaftliche Testament aus dem Jahr 1998 ohne weiteres aus der gesetzlichen Ergänzungsregel des § 2066 BGB folgen. Danach seien dann, wenn der Erblasser seine gesetzlichen Erben bedacht hat, diejenigen bedacht, die zur Zeit des Erbfalls seine gesetzlichen Erben sein würden - und dies im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile. Greifbare Anhaltspunkte für einen abweichenden Willen der testierenden Eheleute seien weder erkennbar, noch von den Beteiligten geltend gemacht.

Alles in allem bewirkt das notarielle Testament mithin lediglich eine Änderung in Bezug auf die dort angeordnete Testamentsvollstreckung.

III. Fazit

Neben der Fehlinterpretation bzw. Nichtberücksichtigung des konkreten Erbscheinsantrags beschäftigt sich die Entscheidung vor allem mit dem immer wieder umstrittenen Themenkomplex der Wechselbezüglichkeit von Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament.

Die Entscheidung zeigt anschaulich, dass die immer wieder anzutreffende Einsetzung der „gesetzlichen Erben“ als Schlusserben durch den überlebenden Erblasser im Verhältnis zu dessen Einsetzung als Alleinerbe durch den vorverstorbenen Ehegatten nicht wechselbezüglich ist. Für die Praxis erscheint es ratsam, im Zweifelsfall entsprechende Klarstellung hinsichtlich des Willens der Testierenden aufzunehmen.


Rezension des Beschlusses des OLG Düsseldorf  v. 20.01.2021 - 3 Wx 245/19; „Gemeinschaftliches Testament / Gesetzliche Erbfolge / Bindungswirkung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr. 5 Mai 2021, S.275 f


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