Gewöhnlicher Aufenthalt; Scheidungsantrag; Ehewohnung

Leitsatz:

Durch die Einreichung eines Scheidungsantrages bringt ein Erblasser zum Ausdruck, dass er seinen bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt iSv § 343 Abs. 1 FamFG an dem Ort der gemeinsamen Ehewohnung aufgibt und nunmehr einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort seines jetzigen Lebensmittelpunkts begründen will.

OLG Köln, Beschluss vom 23.08.2017 - 2 Wx 193/17

FamFG §§ 38 Abs. 3 S. 3, 343 Abs. 1

I. Einführung

Der Beteiligte zu 2) hat mit undatiertem Schreiben ein Testament eingereicht, das das Amtsgerichts Köln am 15.05.2017 eröffnet hat. Das Amtsgericht Köln hat das eröffnete Testament an das Amtsgericht Bremen zuständigkeitshalber übersandt. Der Beteiligte zu 1) hat beim Amtsgericht Bremen Testamente eingereicht, die dieses am 08.06.2017 eröffnet hat. Ausweislich des Eröffnungsprotokolls hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Bremen den Vorgang gem. § 350 FamFG zuständigkeitshalber an das Amtsgericht Köln „abgegeben“. Das Amtsgericht Bremen hat u.a. die eröffneten Testamente und das Eröffnungsprotokoll vom 08.06.2017 an das Amtsgericht Köln übersandt.

Durch Beschluss vom 05.07.2017 hat sich das Amtsgericht Köln für unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht Bremen verwiesen. Sodann hat sich das Amtsgericht Bremen für unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht Köln zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit vorgelegt.

II. Entscheidung

Nach der Entscheidung des OLG Köln war das Amtsgericht - Nachlassgericht – Köln das zuständige Gericht.

Das zuständige Gericht sei gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG zu bestimmen, da ein sogenannter negativer Zuständigkeitsstreit besteht. Da das nächsthöhere gemeinsame Gericht der Amtsgerichte Bremen und Köln der Bundesgerichtshof ist, habe die Zuständigkeitsbestimmung durch das Oberlandesgericht Köln, zu dessen Bezirk das zunächst mit der Sache befasste Amtsgericht Köln gehört, zu erfolgen (§ 5 Abs. 2 FamFG). Sache iSv § 5 Abs. 2 FamFG sei hier die gemeinsame Verwahrung aller eröffneten Verfügungen gem. § 350 FamFG durch das gem. § 343 FamFG örtlich zuständige Nachlassgericht.

Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 ZPO seien nicht nur die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften, sondern auch die verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen (§ 3 Abs. 3 S. 2 FamFG) und Zuständigkeitsverfestigungen (§ 2 Abs. 2 FamFG) zu beachten. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses wirke daher auch im Bestimmungsverfahren fort, weshalb regelmäßig das Gericht als zuständig zu bestimmen sei, an das die Sache durch den ersten – bindenden – Verweisungsbeschluss gelangt ist. Dabei komme einem Verweisungsbeschluss grundsätzlich auch dann Bindungswirkung zu, wenn er sachlich unrichtig ist oder auf Verfahrensmängeln beruht. (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa OLG Düsseldorf, FGPrax 2010, 213; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2013, 1354).

Dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Köln, durch den die Sache an das Amtsgericht Bremen verwiesen worden ist, komme indes keine Bindungswirkung zu. Nach allgemeiner Ansicht komme offenbar gesetzeswidrigen und offensichtlich unrichtigen Verweisungsbeschlüssen keine Bindungswirkung zu. Offensichtlich unrichtig in diesem Sinne seien Verweisungsbeschlüsse insbesondere dann, wenn sie auf objektiver Willkür beruhen, wenn sie also schlechterdings nicht als im Rahmen des Gesetzes ergangen angesehen werden können, weil sie nicht nur auf unrichtiger Rechtsanwendung beruhen, sondern jeder gesetzlichen Grundlage entbehren (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH NJW 2006, 847; KG, FamRZ 2011, 319; weitere Nachweise bei Keidel/Sternal, FamFG, § 3 Rn. 53). Für die Annahme von Willkür brauche sich das verweisende Gericht nicht bewusst über Tatsachen oder Rechtsnormen hinweggesetzt zu haben. Weiche es von der Gesetzeslage oder der ganz einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ab, dann müsse es dies wenigstens gesehen und die eigene Auffassung begründet haben; fehle es daran, sei die Verweisung willkürlich (OLG Köln FGPrax 2014, 282, 283; KG, KGR 2000, 68). Gleiches gelte, wenn das verweisende Gericht die maßgeblichen Umstände weder prüft noch nachvollziehbar aufzeigt (OLG Köln, aaO; OLG Düsseldorf, FGPrax 2013, 27).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sei der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Köln willkürlich und damit objektiv rechtswidrig. Zwar habe die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Köln in dem einleitenden Satz des Verweisungsbeschlusses zunächst zutreffend darauf abgestellt, dass nach § 343 Abs. 1 FamFG (in der seit dem 17.08.2015 geltenden Fassung) grundsätzlich das Nachlassgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk die Erblasserin ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Eine Prüfung, wo sich dieser letzte gewöhnliche Aufenthalt der Erblasserin befunden hat, erfolgte indes nicht. Vielmehr sei in den nachfolgenden Ausführungen – allein und ausdrücklich – auf den Wohnsitz der Erblasserin abgestellt worden, auf den es gem. § 343 Abs. 1 FamFG aber nicht (mehr) ankomme. Hierbei habe die Rechtspflegerin auch nicht auf die für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse – den Schwerpunkt der Bindungen einer Person insbesondere in sozialer, familiärer und beruflicher Hinsicht zu einem bestimmten Ort, d.h. ihren Daseinsmittelpunkt (BGH NJW 1993, 2047-2050; Schulte-Bunert/Weinreich/Burandt, FamFG, 5. Aufl. 2016, § 343 Rn. 8, 9) – abgestellt, sondern allein auf die Meldeverhältnisse, die aber bezüglich der Frage, wo eine Person ihren Daseinsmittelpunkt hat, nur bedingt aussagekräftig seien (Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 343 Rn. 66). Im Übrigen wäre auch bei der hier nicht maßgeblichen Frage, wo die Erblasserin ihren Wohnsitz hatte, nicht auf die Meldeverhältnisse, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen gewesen (vgl. zu § 343 FamFG a.F.: OLG Frankfurt FamRZ 2002, 112, 113). Die rechtliche Prüfung sei daher nicht nur unrichtig. Sie entbehrt auch jeder Grundlage und sei daher willkürlich, weil auf den nach dem Gesetz maßgeblichen Gesichtspunkt, den letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Erblasserin, gar nicht abgestellt worden ist.

Die „Abgabe“ des Amtsgerichts Bremen an das Amtsgericht Köln im Eröffnungsprotokoll sei ebenfalls nicht bindend im Sinne von § 3 Abs. 3 S. 2 FamFG. Eine Verweisung müsse durch einen förmlichen Beschluss, der den Beteiligten zur Kenntnis gebracht wurde, rechtskräftig ausgesprochen werden. Gerichtsinterne Vorgänge, die den Beteiligten nicht bekannt gegeben werden, z.B. Ab- oder Rückgabeverfügungen oder die bloße Übersendung der Akten würden dagegen nicht genügen (Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 5 Rn. 25 m.w.N.). Hier sei die „Abgabe“ nicht in der Form eines Beschlusses ergangen. Zudem könne die „Abgabe“ auch deshalb keine Bindungswirkung im Sinne von § 3 Abs. 3 S. 2 FamFG entfalten, weil es an einer nachvollziehbaren Begründung fehlt (vgl. hierzu: OLG Köln, FGPrax 2014, 282, 283).

Letztlich könne indes offenbleiben, ob eine bindende Verweisung an das Amtsgericht Köln vorlag. Denn das Amtsgericht Köln sei das gem. § 343 Abs. 1 FamFG zuständige Nachlassgericht.

Die Erblasserin habe ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Köln gehabt. Eine Person habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sich der Schwerpunkt ihrer Bindungen insbesondere in sozialer, familiärer und beruflicher Hinsicht, d.h. ihr Daseinsmittelpunkt befindet (BGH NJW 1993, 2047-2050; Schulte-Bunert/Weinreich/Burandt, FamFG, 5. Aufl. 2016, § 343 Rn. 8, 9). Dafür, dass sich der Daseinsmittelpunkt der Erblasserin zuletzt in Köln befand, spreche, dass sie in Köln eine Wohnung hatte und dort auch als Professorin tätig war. Für einen Daseinsmittelpunkt in B. spreche hingegen, dass sie mit dem Beteiligten zu 1), der seinen Lebensmittelpunkt offenbar in B. hatte, verheiratet war und sich dort auch die eheliche Wohnung befand. Gemeldet war die Erblasserin in K. und B. Es könne indes offenbleiben, ob diese objektiven Umstände für einen Daseinsmittelpunkt der Erblasserin in K. oder B. sprechen oder sogar für einen doppelten gewöhnlichen Aufenthalt in K. und B. (die h.M. lehnt einen doppelten Aufenthalt allerdings ab, vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 343 Rn. 70 m.w.N.). Denn die Erblasserin habe sich (spätestens) durch die Einreichung des Scheidungsantrags beim Familiengericht kurz vor ihrem Tod für Köln als ihren Lebensmittelpunkt und gegen B. entschieden. Dabei könne hier offenbleiben, ob ihre Angaben in dem Scheidungsantrag zur Dauer des Getrenntlebens zutreffend sind. Aufgrund des Scheidungsantrags könne jedenfalls davon ausgegangen werden, dass sie kurz vor ihrem Tod ihre Ehe mit dem Beteiligten zu 1) und damit auch ein Zusammenleben in der ehelichen Wohnung in B. nicht fortsetzen wollte und der Schwerpunkt ihrer sozialen, beruflichen und familiären Bindungen nunmehr in K. lagen bzw. liegen sollten. Zwar sei eine gewisse Dauer des Aufenthalts an einem bestimmten Ort Voraussetzung dafür, dass aus einem schlichten auch ein gewöhnlicher Aufenthalt wird. Allerdings bedeute dies nicht, dass im Falle eines Wechsels des Aufenthaltsorts ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt immer erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet werden könnte oder bis dahin der frühere gewöhnliche Aufenthalt fortbestehen würde. Der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort werde vielmehr grundsätzlich schon dann begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf längere Zeit angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig anstelle des bisherigen Daseinsmittelpunkt sein soll (BGH NJW 1993, 2047-2050). So liegt der Fall hier. Durch die Einreichung des Scheidungsantrags beim Familiengericht kurz vor ihrem Tod habe die Erblasserin zum Ausdruck gebracht, dass sie sich vom Beteiligten zu 1) getrennt und ihren Lebensmittelpunkt nunmehr in Köln hat.

III. Fazit

Das OLG Köln hatte sich vorliegend mit der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses und der Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts zu befassen.

Offensichtlich gesetzeswidrigen oder unrichtigen Verweisungsbeschlüssen kommt keine Bindungswirkung zu. Dies wurde vorliegend angenommen, da im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit nicht geprüft wurde, wo sich dieser letzte gewöhnliche Aufenthalt der Erblasserin befunden hat, sonder lediglich auf den gem. § 343 Abs. 1 FamFG nicht mehr maßgeblichen Wohnsitz der Erblasserin abgestellt wurde.

Zum maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalt einer Person stellte das OLG Köln zutreffend dar, dass der Schwerpunkt der sozialen, familiären und beruflichen Bindungen ausschlaggebend ist.

Daneben sei im Falle des Wechsels des Aufenthaltsorts nicht erst ein Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne notwendig. Der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort wird vielmehr grundsätzlich schon dann begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf längere Zeit angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig anstelle des bisherigen Daseinsmittelpunkt sein soll.

Insbesondere im Fall der Einreichung eines Scheidungsantrags kurz vor dem Tod des Erblassers bringt dieser regelmäßig zum Ausdruck, dass er seinen bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt iSv § 343 Abs. 1 FamFG an dem Ort der gemeinsamen Ehewohnung aufgibt und einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort seines jetzigen Lebensmittelpunkts begründen will.


Rezension des Beschlusses des OLG Köln v. 23.08.2017 - 2 Wx 193/17 Gewöhnlicher Aufenthalt / Scheidungsantrag / Ehewohnung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.12 Dezember 2017, S.695


Wie kann ich Ihnen als Fachanwalt für Erbrecht weiterhelfen?

Zurück