Grundstück, Schenkung, Wohnrecht; Fristlauf

Leitsatz:

Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks ein Wohnungsrecht an diesem oder Teilen daran vor, so kann hierdurch in Ausnahmefällen (hier verneint) der Beginn des Fristlaufs gem. § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein (Fortführung des Senatsurteils vom 27. April 1994 - IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395). (amtlicher Leitsatz)

BGH, Urteil vom 29.06.2016 - IV ZR 474/15

BGB § 2325 Abs. 3
EGBGB Art. 229 § 23 Abs. 4 S. 2

I. Einführung

Der Kläger macht gegen die Beklagte Pflichtteilsergänzungsansprüche nach seinem 2012 verstorbenen Vater geltend. Die Beklagte ist seine Mutter sowie die Ehefrau des Erblassers und dessen testamentarische Alleinerbin. Mit Vertrag vom 8. Dezember 1993 übertrugen der Erblasser und die Beklagte ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück auf ihren zweiten Sohn, den Bruder des Klägers. Hierbei behielten sie sich als Gesamtberechtigte ein Wohnungsrecht an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss vor, das auch die Mitbenutzung des Gartens, der Nebenräume sowie aller Leitungen und Anlagen zur Versorgung des Anwesens mit Wasser, Wärme, Energie und Entsorgung umfasste. Ferner wurde vereinbart, dass die Eltern die Garage weiterhin unentgeltlich nutzen konnten und der übernehmende Sohn das Grundstück zu ihren Lebzeiten weder veräußern noch darauf ohne ihre Zustimmung Um- oder Ausbaumaßnahmen vornehmen durfte. Auf die Absicherung der Veräußerungsbeschränkung in Form einer Rückauflassungsvormerkung wurde ausdrücklich verzichtet. Schließlich gestatteten die Eltern dem Übernehmer, Grundpfandrechte bis zur Höhe von 200.000 DM nebst Zinsen und Nebenleistungen für beliebige Gläubiger zur Eintragung im Rang vor dem Wohnungsrecht zu bewilligen. Die Grundbucheintragung erfolgte am 22. November 1994.

Der Kläger hält die Grundstücksübertragung für eine bei der Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs zu berücksichtigende Schenkung. Er begehrt die Verurteilung der Beklagten, den Wert des Hausgrundstücks zu den Stichtagen 22. November 1994 und 16. August 2012 durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens ermitteln zu lassen, sowie festzustellen, dass der Miteigentumsanteil des Erblassers an diesem Hausgrundstück der Pflichtteilsergänzung nach ihm unterliegt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass dem Kläger kein Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen der Grundstücksschenkung zustehe, da die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB im Zeitpunkt des Erbfalls abgelaufen gewesen sei. Die Eltern hätten sich bei der Eigentumsübertragung zwar Rechte vorbehalten, dies aber nicht in einem Ausmaß, dass für sie mit der Übertragung keine spürbare Veränderung verbunden gewesen sei. Sie hätten nur ein räumlich eingeschränktes Wohnungsrecht an dem Grundstück behalten.

Mit der hiergegen gerichteten Revision verfolgt der Kläger sein bisheriges Begehren weiter.

II. Problem

Die Revision des Klägers hatte nach Ansicht des BGH keinen Erfolg.

Gemäß § 2325 Abs. 1 BGB könne der Pflichtteilsberechtigte, wenn der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht hat, als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Nach § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB werde die Schenkung innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Für den Fristbeginn sei auf den Eintritt des Leistungserfolges abzustellen, bei Grundstücken also auf die Umschreibung im Grundbuch (BGHZ 102, 289, 292). Dies war hier der 22. November 1994.

Allerdings habe der Senat in seinem Grundsatzurteil entschieden, dass eine Leistung im Sinne von § 2325 Abs. 3 Halbsatz 1 BGB in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung erst dann vorliege, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand - sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche - im Wesentlichen weiterhin zu nutzen. Der Gesetzgeber habe von dem fiktiven Nachlass, aus dem der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet werde, nur solche Schenkungen ausnehmen wollen, deren Folgen der Erblasser längere Zeit hindurch zu tragen und in die er sich einzugewöhnen hatte. Darin habe der Gesetzgeber eine gewisse Sicherheit vor "böslichen" Schenkungen gesehen. Deshalb gelte eine Schenkung nicht als geleistet, wenn der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren müsse. Werde bei einer Schenkung daher der Nießbrauch uneingeschränkt vorbehalten, sei der "Genuss" des verschenkten Gegenstandes nicht aufgegeben worden.

An dieser Rechtsprechung sei auch nach der Neufassung des § 2325 Abs. 3 BGB festzuhalten. Aus der Gesetzgebungsgeschichte lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der pro-rata-Regelung zugleich inhaltliche Änderungen an der seit Langem bekannten und gefestigten Rechtsprechung des Senats vornehmen wollte.

Die Frage, ob und inwieweit auch vorbehaltene Wohnrechte an dem übertragenen Grundstück einem Fristbeginn im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB entgegenstehen können, sei im Anschluss an die Rechtsprechung des Senats in der Instanzrechtsprechung unterschiedlich beurteilt worden. Diese gehe überwiegend davon aus, dass eine Leistung im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB und damit ein Fristbeginn mit der Eigentumsumschreibung im Grundbuch vorliegt, wenn sich der Erblasser ein Wohnrecht lediglich an einem Teil des Hausgrundstücks vorbehält (OLG Karlsruhe ZEV 2008, 244, 245; OLG Oldenburg ZEV 2006, 80; OLG Bremen OLGR 2005, 233 f.; OLG Celle OLGR 2003, 370, 371; OLG Düsseldorf FamRZ 1997, 1114; LG Rottweil ZErb 2012, 310, 311). Das solle jedenfalls dann gelten, wenn sich der Erblasser im Übergabevertrag nicht noch zusätzlich das Recht vorbehalten hat, das Grundstück bei Pflichtverstößen des Begünstigten zurückfordern zu können (OLG Celle aaO; Herrler, ZEV 2008, 461, 462 f.). Nur vereinzelt habe die Rechtsprechung bei vorbehaltenen Wohnrechten bisher die Frist nicht mit der Eigentumsumschreibung beginnen lassen. Dies habe das OLG München etwa für den Fall angenommen, dass sich das Wohnungsrecht auf das gesamte Haus bezieht (ZEV 2008, 480 f.; hierzu kritisch Herrler aaO 464; vgl. ferner OLG Zweibrücken ErbR 2016, 379, 380 m. Anm. Görtz). Das OLG Düsseldorf sei ferner davon ausgegangen, es liege keine Leistung im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB vor, wenn dem Erblasser weiterhin wesentlicher Einfluss auf die Verwendung des Hausgrundstücks eingeräumt werde (FamRZ 1999, 1546 Rn. 10).

Ob auch ein vorbehaltenes Wohnungsrecht wie ein Nießbrauch den Fristbeginn des § 2325 Abs. 3 BGB hindern kann, lasse sich jedoch nicht abstrakt beantworten. Zwar würden sich Nießbrauch und Wohnungsrecht voneinander unterscheiden. So sei der Nießbraucher insbesondere berechtigt, die Nutzungen der Sache zu ziehen (§ 1030 Abs. 1 BGB). Bei einem Wohnhausgrundstück komme namentlich dessen Vermietung in Betracht. Ferner könne der Nießbrauch zwar nicht übertragen, wohl aber seine Ausübung einem anderen überlassen werden (§ 1059 BGB). Demgegenüber stelle das Wohnungsrecht lediglich eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit gemäß § 1093 Abs. 1 BGB dar, durch die der Berechtigte das Recht erhält, ein Gebäude oder einen Teil desselben unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu nutzen. Die Ausübung dieser Dienstbarkeit könne einem anderen nur überlassen werden, wenn die Überlassung gestattet ist (§ 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Dies bedeute aber nicht, dass nicht auch (in Ausnahmefällen) bei der Einräumung eines Wohnungsrechts der Beginn des Fristablaufs gemäß § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein könnte. Maßgebend seien die Umstände des Einzelfalles. Die entscheidenden Grundsätze habe der Senat in seinem Urteil ( BGHZ 125, 395) dargestellt. Hiernach gelte eine Schenkung nicht als im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB geleistet, wenn der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss. Eine Leistung liege vielmehr nur vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen.

Auf dieser Grundlage sei es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht hier von einem Fristbeginn bereits mit der Eintragung im Grundbuch im Jahre 1994 ausgegangen ist, sodass die Zehnjahresfrist im Zeitpunkt des Erbfalls abgelaufen war. Bestehe das im Wohnungsrecht verankerte Ausschließungsrecht nur an Teilen der übergebenen Immobilie, so sei der Erblasser - anders als beim Vorbehalt des Nießbrauchs - mit Vollzug des Übergabevertrages nicht mehr als "Herr im Haus" anzusehen (vgl. OLG Karlsruhe ZEV 2008, 244, 245; Herrler, ZEV 2008, 461, 463). Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass die Eltern zusammen mit dem Übernehmer noch das Bad im Obergeschoss sowie nach dem Vortrag des Klägers zwei Zimmer im Obergeschoss nutzten. Es sei bereits nicht ersichtlich und vom Kläger nicht hinreichend vorgetragen, dass es sich hier um eine ausdrücklich vereinbarte und schuldrechtlich verbindliche Gestattung im Sinne der Rechtsprechung des Senats handelte und nicht nur um eine - rechtlich unerhebliche - rein faktische Nutzung der Räumlichkeiten, auf die es wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahren nicht ankommen kann. Entscheidend sei zudem, dass den Eltern jedenfalls kein weitgehend alleiniges Nutzungsrecht mehr, unter Ausschluss des übernehmenden Sohnes, an dem Grundstück zustand.

Ihr Hausgrundstück hätten die Eltern nicht mehr in der bisherigen Art und Weise nutzen können. Die ihnen vertraglich eingeräumte Dienstbarkeit hätten sie nur dann einem anderen überlassen können, wenn die Überlassung gestattet worden wäre (vgl. § 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ein derartiges Überlassungsrecht sei den Eltern hier nicht vorbehalten worden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt der Nutzungsmöglichkeit des Wohnungsrechts durch Übertragung an Dritte etwa OLG Karlsruhe ZEV 2008, 244, 245; OLG Celle OLGR 2003, 370, 371; Herrler, ZEV 2008, 461, 463).

Ohne Erfolg macht die Revision ferner geltend, der Übernehmer habe keine Möglichkeit gehabt, die nicht dem Wohnrecht der Eltern unterliegenden Räumlichkeiten oder Teile davon separat zu nutzen bzw. zu vermieten. Die Nutzungsmöglichkeit habe sich von vornherein nicht auf die Vermietung an fremde Personen beschränkt. Der Übernehmer habe nunmehr die Möglichkeit, die Räumlichkeiten in den beiden Obergeschossen für sich als Wohnung zu nutzen, ohne dass der Erblasser und die Beklagte ihn daran hätten hindern können.

III. Fazit

Schenkungen vor dem Todesfall des Erblassers und deren Anrechnung auf ggf. vorhandene Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche sind eine zentrale Frage in der erbrechtlichen Beratungspraxis. Entscheidende Bedeutung kommt hierbei dem Fristablauf nach § 2325 Abs. 3 BGB zu.

Der BGH bestätigt vorliegend einerseits, dass seine zur alten Rechtsgrundlage aufgestellten Grundsätze auch nach Neufassung der Norm anzuwenden sind.

Andererseits nimmt er zur vieldiskutierten Frage, ob vorbehaltene Wohnrechte (als alternative Gestaltungsmöglichkeit zum Nießbrauch) dem Fristbeginn im Rahmen von § 2325 Abs. 3 BGB entgegenstehen können, Stellung. Er bejaht dies zwar, entscheidend sind jedoch die Umstände im Einzelfall. Von einem Beginn des Fristlaufs ist auszugehen, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen.


Rezension des Urteils des BGH v. 29.06.2016 - IV ZR 474/15 - OLG Dresden „Grundstück / Schenkung / Wohnrecht / Fristlauf"in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.10 Oktober 2016, S.603 ff


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