Nachlassverzeichnis; Notar; Ermittlungspflichten

Amtliche Leitsätze:

  1. Nochmals: Der Notar, der ein Nachlassverzeichnis aufzunehmen hat, ist regelmäßig auch zur selbständigen Ermittlung der aufzunehmenden Gegenstände und Forderungen verpflichtet. Ein Verzeichnis, das sich lediglich auf die Beurkundung von Angaben des Erben gegenüber dem Notar beschränkt, erfüllt die Anforderungen nicht.
  2. Inwieweit der Notar bei Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses zur Durchsicht von Kontounterlagen verpflichtet ist, insbesondere um zu prüfen, ob im Verwendungszweck „Schenkung“ oder eine ähnliche Formulierung gebraucht ist, oder ob er die Kontoauszüge auf Auffälligkeiten überprüfen muss, die für eine Schenkung sprechen, lässt sich nur für den konkreten Einzelfall bestimmen.

OLG Celle (6. Zivilsenat), Beschluss vom 25.03.2021 – 6 U 74/20

BGB § 2314 Abs. 1 S. 3
BeurkG § 37 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
ZPO § 91

I. Einführung

Im Jahr 2018 verstarb die gemeinsame Mutter der Parteien. Der Beklagte ist testamentarischer Alleinerbe. Die Klägerin macht durch eine isolierte Auskunftsklage als Pflichtteilsberechtigte einen Auskunftsanspruch durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses geltend.

Die Klägerin verlangte vom Beklagten Auskunft durch Vorlage eines geordneten Bestandsverzeichnisses über den Nachlass, Auskunft über mögliche „Vorschenkungen“ der Erblasserin und die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses.

Der Notar C. erstellte ein „notarielles Nachlassverzeichnis“, in dem niedergelegt wurde, welche Angaben der Beklagte zum Nachlass der Erblasserin zum Zeitpunkt des Todes machte. Danach hat der Beklagte nach seinen Angaben im Jahr 2017 eine Schenkung der Erblasserin in Höhe von 50.000 € erhalten. Außerdem heißt es, dass, abgesehen von zwei Konten, weitere Guthaben/Konten nicht vorhanden seien.

Im Folgenden ergänzte der Notar das „notarielle Nachlassverzeichnis“ durch die Erklärung des Beklagten, dass er andere Zuwendungen und Schenkungen zu Lebzeiten seiner Mutter als in dem Nachlassverzeichnis angeführt, nicht erhalten habe.

Das Landgericht Hannover hat die Klage abgewiesen. Der Antrag der Klägerin sei dahingehend auszulegen, dass sie nicht die Vorlage eines neu angefertigten notariellen Nachlassverzeichnisses begehre, sondern vielmehr eine Ergänzung um die angekündigten Fragen. Im Grundsatz könne keine Ergänzung verlangt werden. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Eine Unrichtigkeit sei nicht ersichtlich. Der Notar sei kein Detektiv; ohne konkrete Anhaltspunkte müsse er nicht in alle Richtungen ermitteln. Der Notar habe nicht jede Barabhebung der Erblasserin in das Nachlassverzeichnis als mögliche Schenkung aufnehmen müssen. Zu berücksichtigen sei auch, wie transparent der Erbe von Anfang an hinsichtlich der Darstellung des Nachlasses vorgegangen sei.

Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Das Nachlassverzeichnis erfülle die Anforderungen nicht. Einige Konten der Erblasserin seien dort gar nicht wiedergegeben worden, weil sie der Beklagte dem Notar nicht bekannt gegeben habe. Sie lege aber Wert darauf, dass insoweit der Notar die Verantwortung übernehme. Dieser habe Informationen von Seiten der Bank einzuholen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem OLG Celle hat der Beklagte der Klägerin eine umfassende unwiderrufliche Vollmacht erteilt, selbst Auskünfte bei der Bank einzuholen. Im Anschluss daran haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

II. Problem

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, hatte das OLG Celle nach § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO über die Kosten des Rechtsstreits „unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen“ zu entscheiden. Das OLG Celle entschied diesbezüglich, die Kosten in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 1 ZPO gegeneinander aufzuheben.

Unzweifelhaft würden der Klägerin grundsätzlich die Ansprüche aus § 2314 Abs. 1 BGB zustehen. Die Anforderungen an ein notarielles Nachlassverzeichnis seien in ihren wesentlichen Grundzügen auch längst geklärt.

Das OLG Celle zitiert hierbei das BVerfG wonach das notarielle Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft biete, als ein privates Verzeichnis bieten soll, welches der auskunftsverpflichtete Erbe erstellt hat. Dazu sei es erforderlich, dass es von der Amtsperson selbst erstellt werde und diese nicht lediglich die Erläuterungen des Erben protokolliert und beurkundet. Der Notar sei dabei regelmäßig auch zur selbständigen Ermittlung der aufzunehmenden Gegenstände und Forderungen berechtigt und verpflichtet, er müsse zudem durch eine Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringen, für den Inhalt verantwortlich zu sein. Ein Verzeichnis, das sich inhaltlich lediglich auf die dem Notar seitens des Erben vorgelegte Auflistung beschränkt und nicht eine eigenständige Feststellung des Notars dazu enthält, dass weitere Nachlassgegenstände nicht vorhanden und weitere Verbindlichkeiten nicht festzustellen seien, erfülle daher die Anforderungen nicht (BVerfG, 1 BvR 2423/14, Nichtannahmebeschluss vom 25. April 2016, Rn. 3).

Der Anspruch der Klägerin auf ein notarielles Nachlassverzeichnis sei durch das vorliegende notarielle Nachlassverzeichnis und dessen Ergänzung nicht erfüllt worden. Beide Urkunden würden im Wesentlichen lediglich eine Beurkundung einer Erklärung des Beklagten enthalten. Beim notariellen Nachlassverzeichnis gehe es aber nicht um die Beurkundung einer Willenserklärung im Sinne von §§ 6 ff. BeurkG, sondern um einen Bericht über eigene Wahrnehmungen des Notars im Sinne von § 37 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BeurkG.

Vier Konten der Erblasserin bei der Bank seien in dem notariellen Nachlassverzeichnis unerwähnt geblieben. Das notarielle Nachlassverzeichnis erwähne lediglich ein weiteres Konto bei der Bank. Hätte der Notar seine Pflichten bei der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses ernst genommen, sich nicht allein auf die Angaben des Beklagten verlassen, sondern eigene Ermittlungen angestellt, und zwar diejenigen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde (vgl. BGH, IV ZR 193/19, Beschluss vom 20. Mai 2020), hätte er bei der Bank nach weiteren Konten fragen müssen und hätte aller Voraussicht nach die nunmehr bekannt gewordenen Konten in das Nachlassverzeichnis aufgenommen und sich (erst) damit seinen Gebührenanspruch „verdient“ (vgl. BGH, IX ZR 434/00, Urteil vom 17. Januar 2002).

Dabei sei es dem Notar nicht von vornherein verwehrt gewesen, das Wissen des beklagten Erben sowie das in seiner Person vorhandene Aufklärungspotenzial in der Weise zu nutzen, dass er den Beklagten auffordert, eigene Auskunftsansprüche gegenüber Geldinstituten bzw. sonstigen Dritten durchzusetzen (vgl. BGH, IV ZR 193/19, Urteil vom 20. Mai 2020, Rn. 9). Dass der Notar dies getan hat, sei aber gerade nicht ersichtlich.

Zweifelhaft sei der Anspruch der Klägerin dessen ungeachtet geblieben, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen bestehe nunmehr auf der Grundlage des Schreibens der Bank Kenntnis von den Konten. Darüber hinaus habe die Bank Unterlagen zu diesen Konten vorgelegt. Diese seien mittlerweile auch der Klägerin bekannt. Insoweit könne es nur noch darum gehen, wie die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung an sich durchaus zutreffend vorträgt, die durch den Notar vermittelte Sicherheit insoweit zu bekommen. Der weitere Aspekt sei aber, dass die Anträge aus der Berufungsbegründung dahin gehen, dass der Notar hinsichtlich der vier Konten die Frage beantworten soll, ob sich aus der Einsicht in die Umsätze Hinweise auf Schenkungen pp. ergeben. Was der Notar genau tun soll, bleibe damit eher unklar. Soll er eine ihm an sich nicht obliegende Würdigung vornehmen, die die Klägerin, soweit ihr die Unterlagen vorliegen, auch selbst vornehmen kann?

Inwieweit der Notar zur Durchsicht von Kontounterlagen verpflichtet ist, insbesondere um zu prüfen, ob im Verwendungszweck „Schenkung“ oder eine ähnliche Formulierung gebraucht ist, oder ob er die Kontoauszüge auf Auffälligkeiten überprüfen muss, die für eine Schenkung sprechen, hat der Senat vorliegend dahinstehen lassen. Schwierige Rechtsfragen seien in dem Verfahren nach § 91 a ZPO wegen der nur noch summarischen Prüfung im Hinblick auf den zu prognostizierenden Ausgang des Rechtsstreits ohne Eintritt der Erledigung nicht zu klären (vgl. nur OLG Celle, 13 U 60/12, Beschluss vom 15. Oktober 2012, Rn. 6 m. w. N.).

Zwar dürfe nicht aus den Augen verloren werden, dass § 2314 BGB es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen soll, sich die notwendigen Kenntnisse zur Bemessung seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen. Die Pflichten des Erben und des Notars würden sich aber in vielen Fällen nur im konkreten Einzelfall bestimmen lassen. Allgemein gelte, dass die Verpflichtung des Erben zur Mitwirkung an der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses sich danach richtet, in welchem Umfang diese Mitwirkung für die ordnungsgemäße Aufnahme des Verzeichnisses erforderlich ist. Danach erschien es dem Senat vertretbar und angemessen, dass der Notar die Pflicht zur Durchsicht von Kontounterlagen auf den Erben delegiert, jedenfalls so lange nicht der Pflichtteilsberechtigte bestimmte Auffälligkeiten benennen kann, die den Notar zu eigener Ermittlung insoweit veranlassen können. Es lasse sich aber nicht in allgemeingültiger Weise sagen, dass der Notar zur Durchsicht von Kontounterlagen in keinem Fall verpflichtet sein könnte (vgl. OLG Koblenz, 2 W 495/13, Beschluss vom 18. März 2014). Im Sinne einer Faustformel lasse sich sagen, dass die Pflichten des Notars umso weiter reichen, je konkreter die Hinweise des Pflichtteilsberechtigten auf pflichtteilsrelevante Vorgänge sind oder je mehr solche Hinweise sich aus Unterlagen oder sonst dem Notar bekannten Umständen ergeben. Rechtliche Würdigungen solle und dürfe aber der Erbe ebenso wie der Notar nicht vorwegnehmen (OLG Hamburg, 2 U 29/15, Urteil vom 28. September 2016, Rn. 61).

III. Fazit

In der Auseinandersetzung zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten kommt es in der Praxis immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten über die notariellen Pflichten bei der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses. Die Entscheidung des OLG Celle bietet hierfür ein anschauliches Beispiel.

Zwar sind die entscheidenden Leitlinien von der Rechtsprechung inzwischen geklärt, die von dem OLG Celle formulierte Leitlinie mag im Einzelfall dennoch einen guten Anhaltspunkt bilden.  Danach reichen die Pflichten des Notars zu eigenen Ermittlungen umso weiter, je konkreter die Hinweise des Pflichtteilsberechtigten auf pflichtteilsrelevante Vorgänge sind oder je mehr solche Hinweise sich aus Unterlagen oder sonst dem Notar bekannten Umständen ergeben.


Rezension des Beschlusses des OLG Celle  v. 25.03.2021 - 6 U 74/20; „Nachlassverzeichnis / Notar / Ermittlungspflichten", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr. 6  Juni 2021, S.327 f


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