Nachweis des Erbrechts durch eigenhändiges Testament
Leitsätze:
Der Erbe kann sein Erbrecht auch durch Vorlage eines eröffneten eigenhändigen Testaments belegen, wenn dieses die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist (Fortführung Senatsurteil vom 7. Juni 2005 - XI ZR 31104, WM 2005, 1432). (amtlicher Leitsatz)
BGH, Urteil vom 05.04.2016 - XI ZR 440/15
BGB §§ 280 Abs. 1, 1922, 2032, 2087 Abs. 1, 2231
I. Einführung
Die Kläger nehmen die beklagte Sparkasse auf Erstattung von Gerichtskosten für die Erteilung eines Erbscheins in Anspruch.
Die Erblasserin unterhielt bei der Beklagten mehrere Konten. Sie errichtete gemeinsam mit ihrem bereits vorverstorbenen Ehemann ein handschriftliches Testament. Darin heißt es auszugsweise
„Die endunterzeichnenden Ehegatten setzen sich gegenseitig als Erben ein.
Nach dem Ableben des letzten von uns geht das zu diesem Zeitpunkt vorhandene Vermögen auf unsere beiden aus unserer ehelichen Verbindung geborenen Kinder über. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt eines unserer Kinder durch Tod schon aus der Erbfolge ausgeschieden sein, werden diese Rechte an die Kinder unserer Kinder weitergegeben. Unsere Enkelkinder bzw. deren Kinder sind gemäß der gesetzlichen Erbfolge unsere Erben.
Fordert beim Tode des Erstverstorbenen eines unserer Kinder sein Pflichtteil, soll es auch beim Tode des Letztverstorbenen nur den Pflichtteil erhalten. ...“
Das Testament wurde nach dem Tod des Vaters eröffnet und der Beklagten vorgelegt. Nach dem Tod der Mutter wurde es erneut eröffnet. Im Oktober 2013 forderte die Klägerin zu 1) die Beklagte unter Vorlage einer beglaubigten Abschrift des Testaments und des Eröffnungsprotokolls zur Freigabe der von ihrer Mutter bei der Beklagten unterhaltenen Konten auf. Dabei handelte sie auch im Namen und mit Vollmacht des Klägers zu 2). Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, dass in dem Testament nicht ein Erbe, sondern ein Vermächtnisnehmer genannt sei und sie deshalb die Vorlage eines Erbscheins verlangen müsse. Auf ein erneutes Schreiben antwortete die Beklagte, sie werde das handschriftliche Testament anerkennen, wenn das Gericht bestätige, dass in dem Testament zwei Erben genannt seien.
Daraufhin erwirkten die Kläger bei dem zuständigen Amtsgericht die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins. Dafür verauslagten sie Gerichtskosten in Höhe von 1.770 €. Außer den bei der Beklagten geführten Konten gehörte zum Nachlass nur noch ein Guthaben bei einer anderen Bank, die jedoch die Vorlage eines Erbscheins nicht verlangte.
Nach Einschaltung der Kundenbeschwerdestelle gab die Beklagte die Konten zugunsten der Kläger frei. Eine Übernahme der Kosten der Erbscheinserteilung lehnte sie entgegen dem Schlichtungsvorschlag ab.
Die Kläger halten die Beklagte unter dem Gesichtspunkt einer Nebenpflichtverletzung für verpflichtet, die Gerichtskosten für den Erbschein zu erstatten. Die Beklagte hält ihr Vorgehen für berechtigt, um sich zuverlässig gegen die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme zu schützen. Bei einem handschriftlichen Testament bestehe die Möglichkeit der Fälschung. Zudem sei für sie nicht erkennbar gewesen, ob einer der Kläger nach dem Tod des Vaters den Pflichtteil gefordert habe.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
II. Problem
Die Revision wurde vom BGH als unbegründet erachtet. Das Berufungsgericht habe zu Recht einen Anspruch der Kläger gegen die Beklagte aus § 280 Abs. 1 BGB auf Erstattung der Gerichtskosten für die Erteilung des Erbscheins bejaht.
Die Kläger seien als testamentarische Erben ihrer Mutter in die Kontoverträge mit der Beklagten eingetreten. Die Beklagte habe gegen die ihr obliegende vertragliche Leistungstreuepflicht verstoßen, indem sie die Freigabe der Konten von der Vorlage eines Erbscheins abhängig gemacht hat und dadurch die mit der Erteilung des Erbscheins verbundenen Kosten unnötigerweise verursacht hat.
Die Kontoverträge würden keine Vereinbarung darüber enthalten, in welcher Art und Weise nach dem Tode des Vertragspartners dessen Rechtsnachfolge nachzuweisen ist. Auf eine entsprechende Regelung in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen habe sich die Beklagte nicht berufen, so dass sich die Frage nach deren Wirksamkeit nicht stellt (siehe dazu BGHZ 198, 250 Rn. 30 ff.). Auch einer der gesetzlich gesondert geregelten Fälle liege nicht vor.
Abgesehen von diesen Sonderregelungen sei der Erbe nicht verpflichtet, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen, sondern habe auch die Möglichkeit, diesen Nachweis in anderer Form zu erbringen (BGH, NJW-RR 2005, 599, 600; BGH WM 2005, 1432, 1433 mwN). Dazu würden neben dem öffentlichen Testament auch das eigenhändige Testament oder im Falle gesetzlicher Erbfolge Urkunden, aus denen sich diese ergibt, gehören.
Die Bank könne bei einem eigenhändigen Testament auch nicht regelmäßig auf die Vorlage eines Erbscheins bestehen. Zwar habe sie ein berechtigtes Interesse daran, in den Genuss der Rechtswirkungen der §§ 2366, 2367 BGB zu kommen und so der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme zu entgehen. Daraus folge aber nicht, dass sie einschränkungslos oder auch nur im Regelfall die Vorlegung eines Erbscheins verlangen kann (vgl. BGH, WM 2005, 1432, 1433; BGHZ 198, 250 Rn. 40, jeweils mwN).
Eine solche Sichtweise würde die Interessen des (wahren) Erben über Gebühr vernachlässigen. Bei den Anforderungen an den Nachweis der Rechtsnachfolge sei auch den berechtigten Interessen der Erben an einer möglichst raschen und kostengünstigen Abwicklung des Nachlasses Rechnung zu tragen. Ihnen sei regelmäßig nicht daran gelegen, in Fällen, in denen das Erbrecht unproblematisch anders als durch Vorlage eines Erbscheins nachgewiesen werden kann, das unnütze Kosten verursachende und zu einer Verzögerung der Nachlassregulierung führende Erbscheinsverfahren anstrengen zu müssen. Daran, auch in klaren Erbfolgefällen allein zur Erlangung des Gutglaubensschutzes der §§ 2366, 2367 BGB regelmäßig auf einem Erbschein bestehen zu können, habe die Bank kein schutzwürdiges Interesse (vgl. BGH, WM 2005, 1432; BGHZ 198, 250 Rn. 41 mwN; Staudinger/Herzog Einl. zu §§ 2353 - 2370 Rn. 23; Keim, ZEV 2014, 277; aA Palandt/Weidlich, § 2353 Rn. 76; Günther, NJW 2013, 3681, in der Regel Erbscheinsvorlage).
Soweit der Senat für ein eröffnetes öffentliches Testament angenommen hat, dass dies in der Regel als ausreichender Nachweis für die Rechtsnachfolge anzusehen sein wird (vgl. BGH, WM 2005, 1432, 1433), gelte eine solche widerlegbare Vermutung für ein eigenhändiges Testament nach §§ 2247, 2267 BGB allerdings nicht.
Nach § 2231 BGB seien ein notarielles Testament und ein privatschriftliches Testament zwar erbrechtlich gleichwertig. Im Hinblick auf ihre Nachweiskraft knüpfe das Gesetz daran aber abgestufte Wirkungen. Es sei gerechtfertigt, dem eröffneten öffentlichen Testament auch im Verhältnis zwischen Bank und Kontoinhaber eine widerlegbare Vermutung zum Nachweis der Erbfolge beizumessen. Das beruhe darauf, dass das öffentliche Testament grundsätzlich nur durch einen Notar errichtet werden kann (§ 2231 Nr. 1 BGB, § 20 BNotO). Es habe den Vorzug rechtskundiger Beratung (§§ 17, 30 BeurkG) und werde grundsätzlich in besondere amtliche Verwahrung genommen (§ 34 Abs. 1 Satz 4 BeurkG). Es sei öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 ZPO und begründe vollen Beweis des beurkundeten Vorgangs und gegebenenfalls der darin bezeugten weiteren Tatsachen (§ 418 Abs. 1 ZPO).
Dem eigenhändigen Testament könne hingegen im Verhältnis zwischen Bank und Kontoinhaber eine solche Vermutungswirkung zum Nachweis der Erbfolge nicht beigelegt werden. Im Vergleich zum öffentlichen Testament seien beim eigenhändigen oder privatschriftlichen Testament (§ 2231 Nr. 2, §§ 2247, 2267 BGB) die Gefahren der Rechtsunkenntnis, unklarer Formulierungen, des Urkundenverlusts, seiner Unterdrückung oder Fälschung höher.
Aufgrund dessen sei es bei Vorlage einer beglaubigten Ablichtung eines eigenhändigen Testaments nebst einer beglaubigten Abschrift des Eröffnungsprotokolls (§ 2259 Abs. 1 BGB, § 348 Abs. 1 Satz 2 FamFG) eine Frage des Einzelfalls, ob dieses die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist. Eine gesteigerte Auslegungspflicht der Bank bestehe allerdings nicht. Andererseits würden lediglich abstrakte Zweifel die Bank nicht dazu berechtigen, einen Erbschein zu verlangen. Nur bei konkreten und begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der durch das eigenhändige Testament belegten Erbfolge sei die Bank berechtigt, ergänzende Erklärungen des oder der Erbprätendenten einzuholen oder sich weitere Unterlagen, wie z.B. das Familienstammbuch oder einen Erbschein vorlegen zu lassen (vgl. Bunte, AGB Banken, 4. Aufl., Rn. 103; Werkmüller, BKR 2005, 318, 319).
Die Beurteilung der Frage, ob die Bank trotz Vorlage eines eigenhändigen Testaments zum Nachweis der Erbfolge wegen begründeter Zweifel an dessen Richtigkeit die Einholung eines Erbscheins verlangen kann, obliege in erster Linie dem Tatrichter. Seine Auslegung könne aber mit der Revision angegriffen werden, wenn sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denkgesetze und Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt.
Nach diesen Maßgaben sei die Würdigung des Berufungsgerichts, die Kläger hätten ihre Erbfolge durch das privatschriftliche Testament mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachgewiesen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Testament weise die Kläger zweifelsfrei als gewillkürte Erben aus. Hierfür spreche die Verwendung des Begriffs der Erbfolge für den Fall eines Vorversterbens einer der beiden Kläger. Der Begriff des Vermächtnisses werde nicht verwendet. Zudem habe das Testament der Beklagten bereits nach dem Tod des Vaters der Kläger vorgelegen, ohne dass sie damals Einwendungen gegen dessen Gültigkeit erhoben hat.
Dass und aus welchen Gründen die Beklagte nunmehr Anlass gehabt hätte, Zweifel an der Richtigkeit der durch das eigenhändige Testament belegten Erbfolge zu haben, habe sie nicht dargetan. Bei ihrem Vortrag handele es sich bloß um abstrakte Zweifel.
Die Beklagte habe auch schuldhaft gehandelt. Ein etwaiger Rechtsirrtum über die Verpflichtung eines Erben zur Vorlage eines Erbscheins sei unerheblich, da nicht unverschuldet. Dem beklagten Kreditinstitut hätte bekannt sein müssen, dass Erben ihr Erbrecht nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur durch einen Erbschein, sondern auch auf andere Weise nachweisen können. Unstreitig sei der Erbschein ausschließlich aufgrund des Verlangens der Beklagten beantragt worden und sei für die Abwicklung des Nachlasses im Übrigen nicht erforderlich gewesen.
III. Fazit
Der BGH hatte bereits in einer früheren Entscheidung im Sinne einer Unwirksamkeit von AGB Klauseln von Banken, die zwingend die Vorlage eines Erbscheins forden, geurteilt. In der vorliegenden Entscheidung stelle er nun erneut klar, dass, unabhängig von einer solchen Klausel, der Erbe sein Erbrecht auch durch Vorlage eines eröffneten eigenhändigen Testaments belegen kann und nicht ohne Weiteres die Vorlage eines Erbscheins verlangt werden kann.
Voraussetzung ist jedoch, dass das Testament die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist, was eine Frage des Einzelfalls ist. Zwar treffen die Banken hier keine erhöhten Auslegungspflichten, allein abstrakte Zweifel sind jedoch nicht ausreichend, um die Vorlage eines Erbscheins verlangen zu können. Wird dieser dennoch verlangt, kann die Bank für die entstandenen Kosten schadensersatzpflichtig sein.
Rezension des Beschlusses des OLG Karlsruhe v. 16.06.2016 - 11 Wx 103/15 „Nachweis des Erbrechts durch eigenhändiges Testament", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.9 September 2016, S.547 f