Pflichtteilsstrafklausel; Auslösung; Verlangen

Redaktionelle Leitsätze:

  1. Durch eine Pflichtteilsstrafklausel wollen die gemeinschaftlich testierenden und sich gegenseitig als Erben, ihre Abkömmlinge als Schlusserben, einsetzenden Ehegatten sicherstellen, dass dem Überlebenden bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert verbleibt und er nicht durch das Pflichtteilsverlangen eines Schlusserben gestört wird.
  2. Eine Zuwiderhandlung gegen eine Pflichtteilsstrafklausel liegt bereits dann vor, wenn der Pflichtteil bewusst und ernsthaft in Kenntnis der Pflichtteilsstrafklauseln geltend gemacht wird. Eine erfolgreiche, womöglich gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs ist hingegen nicht erforderlich.

OLG Köln (2. Zivilsenat), Beschluss vom 27.09.2018 - 2 Wx 314/18

FamFG §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1

I. Einführung

Der Erblasser ist im Jahr 2017 verstorben. Er war mit der vorverstorbenen B verheiratet. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, die Beteiligte zu 1) F, eine weitere Tochter, M sowie ein Sohn, der bereits im Kindesalter verstorben ist und keine Abkömmlinge hinterließ. Die vorverstorbene Ehefrau des Erblassers hatte aus erster Ehe zwei Töchter, die Beteiligte zu 2) I sowie eine weitere Tochter, D, die im Jahr 2014 verstarb und eine Tochter, S, hinterließ.

Mit gemeinschaftlichem Testament haben sich die Eheleute wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt. Weiter haben sie als Regelung nach dem Tod des Längstlebenden folgendes bestimmt:

Nach dem Tode des Längstlebenden von uns sollen unsere vier Kinder D, I, F und M unser Vermögen zu gleichen Teilen erben. Sollte eines unserer Kinder nach dem Tode des Erstversterbenden vom Überlebenden seinen Pflichtteil fordern, so soll es auch nach dem Tode des Überlebenden auf den Pflichtteil beschränkt bleiben.

Im Jahr 2001 hat der damalige Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 2) den Erblasser „in der Nachlasssache B“ wie folgt angeschrieben:

Unsere Mandantin ist eine Tochter der Verstorbenen und kommt deshalb als gesetzliche Erbin in Betracht. Wir gehen davon aus, dass Sie den Nachlass der Verstorbenen in Besitz genommen haben und fordern Sie hiermit auf, Auskunft zu erteilen über den Bestand und den Wert des Nachlasses durch Vorlage eines schriftlichen Verzeichnisses. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns die geschuldete Auskunft bis zum 28.02.2001 erteilen. Sollte die Frist ergebnislos verstreichen, werden wir unserer Mandantin empfehlen, ihre Ansprüche im Klageweg geltend zu machen.“

Mit weiterem Schreiben hat der damalige Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 2) unter Bezugnahme auf zwei Telefonate ausgeführt:

Ich gehe davon aus, dass der Wert des Grundstücks mit dem darauf errichteten Bungalow deutlich höher liegt als DM 250.000,00. Für eine Berechnung des Pflichtteilsanspruches meiner Mandantin ist es deshalb erforderlich, ein Sachverständigengutachten zum Wert des Grundstücks zu beauftragen… Ausgehend von den von Ihnen mitgeteilten Wertangaben ergäbe sich ein Pflichtteilsanspruch von rund DM 10.000,00. Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, dass Sie meiner Mandantin ohne dass nunmehr formal ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird, einen Betrag von DM 10.000,00 zahlen und dieser Betrag auf das Erbe meiner Mandantin angerechnet wird. Gleichzeitig würde sich meine Mandantin schon jetzt damit einverstanden erklären, ihren dann im Wege der Erbfolge übertragenen Grundstücksanteil zu veräußern, entweder an die Miterben oder freihändig. Sollten Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sein, bitte ich um Überweisung des Betrages … bis zum 31.03.2001 … . Anderenfalls wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie bis zum 31.03.2001 ein vollständiges, schriftliches Nachlassverzeichnis mit entsprechenden Wertangaben vorlegen und für den Wert des Grundstücks einen Sachverständigengutachter mit der Wertermittlung beauftragen. Für diesen Fall würde meine Mandantin dann ihr Pflichtteilsrecht in Anspruch nehmen.

Unter Bezugnahme auf das Schreiben erklärte sich der Erblasser mit dem Vorschlag einverstanden, an seine Stieftochter, die Beteiligte zu 2), den Betrag von 10.000 DM zu zahlen. Der Erblasser überwies unter dem 27.03.2001 auf das Anderkonto des damaligen Verfahrensbevollmächtigten einen Betrag von 10.000 DM, wobei auf dem Überweisungsträger als Verwendungszweck „Pflichtteil I“ angegeben war.

In einem späteren Einzeltestament hat der Erblasser zu seinen alleinigen unbeschränkten Erben nur noch die Beteiligte zu 1) sowie seine weitere Tochter M und seine Stiefenkelin S, geborene Y, eingesetzt mit der Begründung, dass er davon ausgehe, aufgrund der Zahlung an die Beteiligte zu 2) nicht mehr an deren Erbeinsetzung gebunden zu sein.

Die Beteiligte zu 1) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Pflichtteilsstrafklausel im Testament zum Nachteil der Beteiligten zu 2) eingreife, da diese anwaltlich einen Pflichtteilsanspruch am mütterlichen Nachlass geltend gemacht habe.

Demgegenüber hat die Beteiligte zu 2) beantragt, den Erbschein mit der Maßgabe zu erteilen, dass auch sie als Miterbin, d.h. mit einem Anteil von 1/4 ausgewiesen wird und sich darauf berufen, dass gerade kein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht worden sei.

Das Nachlassgericht hat die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu 1) erforderlich sind, für festgestellt erachtet und den Antrag der Beteiligten zu 2) zurückgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, dass nach dem Sinn und Zweck des gemeinschaftlichen Testaments die Geltendmachung des Pflichtteils ausreichend sei. Dies sei aber mit dem Schreiben geschehen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 2) mit ihren Beschwerden. Weiterhin hat sie die Streitverkündung gegenüber ihrem vormaligen Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt N erklärt.

Das Nachlassgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen, die Streitverkündung als unzulässig angesehen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Problem

Das OLG Köln erachtete die Beschwerden als zulässig, aber in der Sache erfolglos.

Das Nachlassgericht sei zu Recht und mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin nicht als (testamentarische) Erbin berufen ist, da die in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Pflichtteilsstrafklausel ausgelöst wurde.

Eine derartige Pflichtteilsklausel sei eine typische letztwillige Anordnung, durch die die gemeinschaftlich testierenden und sich gegenseitig als Erben, ihre Abkömmlinge als Schlusserben einsetzenden Ehegatten sicherstellen wollen, dass dem Überlebenden bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert verbleibt und er nicht durch das Pflichtteilsverlangen eines Schlusserben gestört wird. Eine derartige Klausel verfolge das rechtlich nicht zu beanstandende Ziel, den Nachlass zunächst dem überlebenden Ehegatten ungeschmälert zukommen zu lassen. Im Zusammenhang mit der Schlusserbenregelung soll die Verwirkungsklausel auch das Interesse der Ehepartner, insbesondere des Erstversterbenden daran sichern, dass nicht einer der Abkömmlinge bei der Verteilung des Gesamtnachlasses bevorteilt wird (vgl. OLG München, Beschluss v. 29.1.2008, 31 Wx 68/07; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.7.2011, 3 Wx 124/11).

Eine Zuwiderhandlung liege daher nach herrschender Meinung bereits vor, wenn der Pflichtteil bewusst und ernsthaft in Kenntnis der Pflichtteilsstrafklauseln geltend gemacht wird (vgl. hierzu Birkenheier in Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, § 2317 Rdn. 37 mwN.).

Ein solches ernsthaftes Verlangen des Pflichtteils gegenüber dem Erblasser habe das Nachlassgericht zu Recht in den Schreiben des vormaligen Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) und der nachfolgenden Überweisung des geforderten Betrages gesehen. Den Schreiben sei die hierfür erforderliche Intensität beizumessen. Denn insbesondere mit dem zweiten Schreiben sei der Erblasser darauf hingewiesen worden, dass er für den Fall der Nichtzahlung mit einer Inanspruchnahme rechnen müsse. Damit sei nach der Einschätzung eines objektiven Empfängers die erhobene Forderung jedoch geeignet gewesen, den überlebenden Ehegatten Belastungen auszusetzen, vor denen er durch die Verwirkungsklausel gerade geschützt werden sollte (vgl. hierzu auch OLG München a.a.O.). Insofern sei die Einschätzung des Absenders unerheblich, so dass zu Recht eine Anhörung des als Zeugen benannten Rechtsanwaltes unterblieben sei.

Die erfolgreiche, womöglich gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs sei im Übrigen auch nicht erforderlich, um die Sanktion auszulösen (vgl. Birkenheier a.a.O.), so dass es ebenso unerheblich sei, ob und in welcher Höhe der Pflichtteilsanspruch objektiv bestanden hat und ob die Zahlung auf den Pflichtteil erfolgte.

Schließlich sei das Amtsgericht auch zutreffend davon ausgegangen, dass eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Streitverkündung, wie sie die Beschwerdeführerin für geboten erachtet, vorliegend ausgeschlossen ist. Eine Heranziehung von Bestimmungen der Zivilprozessordnung kommt - zur Ausfüllung von Lücken in den Verfahrensvorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit - in Betracht, wenn dies entweder ausdrücklich vorgeschrieben ist, oder aber in den so genannten echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die in ihrer privatrechtlichen Ausgestaltung dem Zivilprozess stark ähneln (vgl. BayObLG, Beschluss v. 11.01.1980, BReg 2 Z 70/79; Keidel/Engelhardt, FamFG, § 45 Rn. 29). Das Erbscheinsverfahren sei jedoch kein solches Streitverfahren.

Im Übrigen wurde darauf hingewiesen, dass der Rechtsanwalt N auch nicht zu den in § 345 Abs. 1 FamFG aufgeführten Beteiligten zählt.

III. Fazit

Die Voraussetzungen für das Auslösen einer Pflichtteilsstrafklausel beschäftigen die Gerichte immer wieder. Die Verwendung des auslegungsbedürftigen Begriffs des „Verlangens“ sorgt hier oftmals für Unklarheiten.

Die Entscheidung des OLG Köln legt hier einen relativ strengen Maßstab an, wenn Sie entscheidend auf die Unannehmlichkeiten für den Erben abstellt. Von einem eher formellen Standpunkt betrachtet, wäre auch eine gegenteilige Entscheidung denkbar gewesen, wenn man die Formulierung „würde meine Mandantin dann ihr Pflichtteilsrecht in Anspruch nehmen“ in den Blick nimmt und beachtet, dass diese eventuelle Möglichkeit formal gerade nicht eingetreten ist, sondern der Erbe sich gerade für die andere Variante entschieden hat.

Für die Praxis ist zu empfehlen, eine präzisere Formulierung zu verwenden und klarzustellen, ob beispielsweise bereits das Auskunftsverlangen, die Mahnung oder erst die Rechtshängigmachung des Anspruchs zur Auslösung der Klausel führt. Eine völlig streitvermeidende Lösung erscheint indes nicht erzielbar.


Rezension des Beschlusses des OLG Köln v. 27.09.2018 - 2 Wx 314/18 „Pflichtteilsstrafklausel / Auslösung / Verlangen", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.1 Januar 2019, S.59 f


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