Steuerschulden des Erblassers im Todesjahr als Nachlassverbindlichkeiten

Leitsätze:

  1. Die auf den Erben entsprechend seiner Erbquote entfallenden Abschlusszahlungen für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des Todesjahres, einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag, sind als Nachlassverbindlichkeiten gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig.
  2. Bei einer Zusammenveranlagung von im selben Jahr verstorbenen Ehegatten sind Abschlusszahlungen für das Todesjahr analog § 270 AO aufzuteilen und als Nachlassverbindlichkeiten beim jeweiligen Erwerb von Todes wegen abzugsfähig.

BFH, II R 15/11, Urteil vom 04.07.2012 (FG Niedersachsen, 23.02.2011, Az: 3 K 332/10)

ErbStG 1997 §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1, 10 Abs. 5 Nr. 1, 11, 12 Abs. 1;
BewG 1991 § 12;
BGB §§ 1922, 1967 Abs. 2
AO § 37 Abs. 2, 38, 44, 45 Abs. 1, 270
EStG 2002 §§ 2 Abs. 7 Satz 1, 25 Abs. 1, 26b, 36 Abs. 1, 36 Abs. 4 Satz 1, 51a Abs. 1
SolZG § 1 Abs. 2

I. Einführung

Der Vater V der Klägerin ist am 31.12.2004 verstorben, wobei dessen Frau, die Mutter der Klägerin, M bereits am 13.11.2004 vorverstorben war. Die Klägerin und ihre Schwester wurden Miterben zu je 1/2. V und M wurden für das Jahr 2004 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt, wobei nach Anrechnung der von beiden entrichteten Vorauszahlungen, des Zinsabschlags und der Kapitalertragssteuer für die Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag noch Abschlusszahlungen i.H.v. 1.823.885 Euro zu entrichten waren.

Die Klägerin machte die Hälfte dieses Betrags als Nachlassverbindlichkeiten geltend. Der Beklagte, das Finanzamt, versagte im geänderten Steuerbescheid vom 22.09.2008 einen derartigen Abzug und setzte die Erbschaftsteuer gegen die Klägerin auf 473.936 Euro fest.

Sowohl der Einspruch als auch die Klage der Klägerin blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht versagte die Anerkennung als Nachlassverbindlichkeit, da die Einkommenssteuer am maßgeblichen Stichtag noch nicht entstanden gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin, dass ihre Eltern ein Berliner Testament errichtet hätten und die Erbschaft nach ihrer Mutter ausgeschlagen worden sei.

Die Klägerin beantragte in der Revision vor dem BFH die Entscheidung des FG aufzuheben und die von ihr zu tragenden Zahlungen der Einkommenssteuer, Kirchensteuer sowie des Solidaritätszuschlags als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen. Das Finanzamt wiederum beantragte, die Revision zurückzuweisen.

II. Problem

Der Bundesfinanzhof erachtete die Revision der Klägerin als begründet und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Zunächst wies der Senat darauf hin, dass die Feststellungen des FG zur Beurteilung des Abzugs der Nachlassverbindlichkeiten noch nicht ausreichend seien. Zwar seien die anteilig auf die Klägerin als Miterbin entfallenden Abschlusszahlungen für Einkommenssteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für 2004, soweit sie V betreffen, als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar, soweit sie M betreffen jedoch nur, wenn V Alleinerbe der M geworden ist. Es seien somit vom FG Feststellungen zu treffen, ob V Alleinerbe der M geworden ist.

Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG seien von dem Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb oder Anteil an einem Gewerbebetrieb in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits nach § 12 Abs. 5 und Abs. 6 ErbStG berücksichtigt worden sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehörten auch die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, welche gem. § 1922 Abs. 1 BGB, § 45 Abs. 1 AO auf den Erben übergegangen sind. Das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge erstrecke sich auch auf das Steuerrecht. Aus § 45 Abs. 1 AO folge, dass der Erbe in einem umfassenden Sinne sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers eintrete.

Daraus folge, dass zu abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG auch Steuerverbindlichkeiten gehören, welche der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen.

Ein solcher Abzug setze voraus, dass die Schulden vom Erblasser „herrühren“ (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, § 1967 Abs. 2 BGB). Aus diesem Begriff ergebe sich, dass die Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht voll wirksam entstanden sein müssten. Deshalb seien Erblasserschulden i.S.v. § 1967 Abs. 2 BGB auch die in der Person des Erben entstehenden Verbindlichkeiten, die als solche schon dem Erblasser entstanden wären, wenn er nicht vor Eintritt der zu ihrer Entstehung nötigen Voraussetzungen verstorben wäre. Der Abzug der vom Erblasser herrührenden Schulden setze nicht zwingend voraus, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Steuerentstehung (Tod des Erblassers) eine rechtliche Verpflichtung bestanden haben muss. Bereicherungsmindern seien auch Steuerschulden aus der Veranlagung des Erblassers für das Todesjahr, auch wenn sie zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht rechtlich entstanden seien. Entscheiden sei hierbei, dass der Erbe diese Steuerschulden zu tragen habe und nicht er, sondern der Erblasser in eigener Person den steuerrelevanten Tatbestand verwirklicht hat und somit „für den Erblasser“ als Steuerpflichtigen eine Steuer entstehe.

Das Stichtagsprinzip (§§ 9, 11 ErbStG) stehe dem nicht entgegen, da schon beim Tod des Erblassers feststehe, dass die Belastung kraft Gesetzes mit Ablauf des Todesjahres eintreten werde. Unschädlich sei es, dass zum Todeszeitpunkt oft noch nicht die genaue Höhe der Steuerschuld bekannt sei.

Soweit seine frühere Rechtsprechung dem entgegen steht, gibt der Senat diese, zumindest für die Kraft Gesetzes aufgrund einer Tatbestandsverwirklichung des Erblassers entstehenden Steueransprüche, auf. Es verbleibe jedoch im Rahmen von § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG bei dem vom Zivilrecht abweichenden zusätzlichen Erfordernis der wirtschaftlichen Belastung.

Der Erbe könne somit die Abschlusszahlungen für das Todesjahr für die Einkommenssteuer, welche vom Erblasser herrühren, entsprechend seiner Erbquote als Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abziehen. Die Einkommenssteuer für das Todesjahr sei zwar noch nicht entstanden, jedoch seien die Steuertatbestände bereits durch den Erblasser verwirklicht und somit das spätere Entstehen der Steuerverbindlichkeit begründet worden. Mit Ableben des Erben gehe der durch diesen begründete, mit Ablauf des Todesjahres entstehende, Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Erben über.

Eine etwaige Einkommensteuerschuld für das Todesjahr des Erblassers bleibe, trotz Übergangs auf den Erben, eine vom Erblasser herrührende Steuerschuld, wobei unerheblich sei, dass der Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Erben als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers ergehe.

Soweit der Erbe selbst einkommensteuerrechtliche Tatbestände verwirklicht habe (nachträglicher Zufluss von Einnahmen aus einer Tätigkeit des Erblassers nach § 24 Nr. 2 EStG), seien die darauf entfallenden Einkommensteuerzahlungen jedoch keine Nachlassverbindlichkeiten. Zwar habe der Erblasser die Grundlage für den Zufluss gesetzt, jedoch werde der Steuertatbestand erst durch den Zufluss und damit in der Person des Erben verwirklicht.

Weiterhin könne das Erfordernis einer bestehenden rechtlichen Verpflichtung am Todestag des Erblassers auch nicht daraus hergeleitet werden, dass nur rechtlich entstandene Steuererstattungsansprüche zum Erwerb i.S.v. § 10 Abs. 1 ErbStG zählen. Die unterschiedlichen Voraussetzungen würden auf den abweichenden Regelungen von § 10 Abs. 1 und Abs. 5 ErbStG beruhen. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG verlange gerade nur ein „herrühren“ und kein rechtliches Entstandensein. Für eine einschränkende Auslegung in diesem Sinne sei weiterhin auch kein Grund ersichtlich.

Zu den herrührenden Schulden gehören nach Ansicht des Senats diejenigen Steuerverbindlichkeiten, die durch den Erblasser selbst begründet wurden. Bei einer Zusammenveranlagung von Ehegatten sei dementsprechend eine Aufteilung der Steuerverbindlichkeit nötig. Sterbe einer der Ehegatten und ergebe sich aufgrund der Zusammenveranlagung der Ehegatten (Gesamtschuldner der Einkommenssteuer, § 44 Abs. 1 S. 1 AO) eine Abschlusszahlung, so sei die vom verstorbenen Ehegatten als Erblasser herrührende Einkommensteuerschuld analog § 270 AO zu ermitteln. Für das Vollstreckungsverfahren könnten die Gesamtschuldner als Einzelschuldner behandelt werden, § 268 AO. Hierzu werde die Gesamtschuld nach Maßgabe der §§ 269 ff AO auf die einzelnen Steuerschuldner aufgeteilt. Der Aufteilungsmaßstab werde mittels fiktiver getrennter Veranlagung ermittelt. Entsprechendes gelte, wenn zusammen veranlagte Ehegatten im selben Jahr versterben und die Veranlagung zur Einkommenssteuer zu einer Abschlusszahlung führe. Diese Zahlung sei analog § 270 AO aufzuteilen und als Nachlassverbindlichkeit beim jeweiligen Erwerb von Todes wegen zu berücksichtigen.

Sei jedoch beim Ableben des einen Ehegatten der im selben Jahr Zweitversterbende Alleinerste des Erstverstorbenen gewesen, so sei beim Erwerb des Erben des Zweitversterbenden die gesamte Abschlusszahlung aus der Zusammenveranlagung der verstorbenen Ehegatten für das Todesjahr als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Die Steuerschuld, welche auf einer Verwirklichung des Steuertatbestands durch den zuerst verstorbenen Ehegatten beruht, mindere die Bereicherung der Erben des Zweitverstorbenen.

Die dargelegten Grundsätze sind nach Ansicht des BFH ebenso auf den Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer anzuwenden.

Die Nachlassverbindlichkeiten seien mit dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert abzuziehen, § 10 Abs. 1 S. 2 ErbStG, wobei Schulden mit dem Nennwert anzusetzen seien, wenn nicht besondere Umstände etwas anderes begründen, § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 1 BewG. Für Steuerverbindlichkeiten, die mit Ablauf des Todesjahres des Erblassers entstehen, verbleibe es bei einem Ansatz mit dem Nennwert. Eine Abzinsung komme nicht in Betracht, da es an einer Berechnungs- oder Schätzungsgrundlage fehle.

III. Fazit

Die Entscheidung kann in der Praxis zu einer Reduzierung der Erbschaftsteuerlast führen. Zukünftig können Erben entsprechend ihrer Erbquote Abschlusszahlungen für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des Todesjahres, einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag, als Nachlassverbindlichkeiten abziehen. Die gegenteilige frühere Rechtsprechung des BFH wurde im vorliegenden Urteil aufgegeben.

Sollten zusammenveranlagte Ehegatten im selben Jahr versterben, so ist die Abschlusszahlung für das Todesjahr analog § 270 AO aufzuteilen und als Nachlassverbindlichkeiten beim jeweiligen Erwerb von Todes wegen zu berücksichtigen.


Rezension des Urteils des BFH v. 04.07.2012 - II R 15/11 zu „Steuerschulden des Erblassers im Todesjahr als Nachlassverbindlichkeiten", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.11 November 2012, S. 620 f

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