Testament; Auslegung; Erbeinsetzung des Fiskus

Amtlicher Leitsatz:

Eine letztwillige Verfügung, die dahin lautet, dass der Erblasser „alles dem Staat“ vermacht, „damit er sich um den Rest der Familie kümmert“, ist nicht als Erbeinsetzung zugunsten des Fiskus auszulegen, wenn nahe liegt, dass die „Übergabe“ des Geld- und Immobilienvermögens an den „Staat“ lediglich erfolgten sollte, um eine ordnungsgemäße Verwaltung und Abwicklung sicherzustellen. (Rn. 15 und 16)

OLG Saarbrücken (5. Zivilsenat), Beschluss vom 15.01.2019 - 5 W 90/18

BGB §§ 133,  2084, 2197, 2247
FamFG §§ 81 Abs. 1 S. 1, 352e Abs. 1

I. Einführung

Im Jahr 2016 verstarb der Erblasser. Gesetzliche Erben sind die Beteiligte zu 3) (Mutter) sowie die Beteiligten zu 2) und 4) (Brüder). Der Beteiligte zu 4) steht unter Betreuung. Der Vater des Erblassers ist bereits vorverstorben.

Wenige Tage vor seinem Tod fertigte der Erblasser ein Schreiben. Es ist überschrieben mit „Mein letzter Wille“ und enthielt einen maschinenschriftlich gedruckten Teil:

„Da ich und meine Familie (Mutter: H. und C.  [der Beteiligte zu 2)] nicht in der Lage sind unsere Vermögensverhältnisse, nach dem Tod unseres Vaters G. in den Griff zu bekommen, übergebe ich hiermit meine Konten und mein Haus an den Staat zur weiteren Regelung […] Des Weiteren bitte ich Sie sich um meine Mutter und meinen Bruder C. zu kümmern, da wir alle total überfordert sind in der Erbenangelegenheit und Steuersachen meines Vaters und unserer eigenen Steuerangelegenheiten.

Und kümmern Sie sich bitte auch um die Auflösung meiner finanziellen Verpflichtungen, die über das Girokonto zu sehen sind, um meine Beerdigung, und die Auflösung des Hauses, da der Rest der Familie nicht dazu in der Lage sein wird.

  1. K. 12.08.2016“

Handschriftlich fügte der Erblasser zwischen das Ende des gedruckten Textes und die gedruckte Unterschrift folgende Passage ein:

Ich vermache Alles dem Staat! Damit er sich um den Rest der Familie kümmert!

Am Ende des Schreibens findet sich, ebenfalls handschriftlich, die Unterschrift des Erblassers.

Mit Schreiben des Landesamts für Zentrale Dienste beantragte das beteiligte Land die Erteilung eines Erbscheins, wonach der Erblasser aufgrund einer letztwilligen Verfügung von dem Land allein beerbt worden sei. Der Beteiligte zu 4), vertreten durch seine Betreuerin, stimmte der Erteilung des Erbscheins zu, die Beteiligten zu 2) und 3) widersprachen. Sie wiesen darauf hin, dass der Erblasser seinerzeit offenbar an einer schweren Depression gelitten und unter Alkohol- und Medikamenteneinfluss gestanden habe und dass sein Abschiedsbrief nicht gültig sei bzw. vom Beteiligten zu 1) falsch interpretiert werde. Es sei kein Grund ersichtlich, warum der Erblasser seine Familie hätte enterben wollen.

Das Nachlassgericht hat die aufgrund des Antrags des Beteiligten zu 1) zur Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Der Fiskus sei im Testament wirksam als Alleinerbe eingesetzt worden. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit des Erblassers bestünden nicht.

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben gegen den Beschluss Beschwerde erhoben.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Saarländischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Problem

Das OLG Saarbrücken erachtete die Beschwerde als zulässig und begründet. Das Nachlassgericht habe die zur Erteilung eines Erbscheins für das beteiligte Land erforderlichen Tatsachen zu Unrecht als festgestellt erachtet.

Die letztwillige Verfügung des Erblassers könne nicht als Erbeinsetzung des Fiskus ausgelegt werden. Zwar deute die Formulierung, es werde „alles dem Staat“ vermacht, bei isolierter Betrachtung in diese Richtung. Schon die Berücksichtigung der finalen Verknüpfung mit dem - ebenfalls handschriftlichen - Zusatz „damit er sich um den Rest der Familie kümmert“, indiziere indessen Gegenteiliges. Dass der vermögende und ersichtlich nicht geschäftsunerfahrene und im Berufsleben stehende Erblasser gemeint haben sollte, eine Erbeinsetzung „des Staates“ könne diesen dazu veranlassen, der Familie des Erblassers irgendwelche besonderen (rechtlich unzulässigen), über etwaige Sozialleistungen hinausgehenden Vorteile zukommen zu lassen, sei nicht anzunehmen. Vielmehr werde, wenn man bei der Auslegung der Verfügung die maschinenschriftlich vorangestellten Erklärungen und Erläuterungen hinzunehme, deutlich, worum es ihm in Wirklichkeit ging: Er habe seine Familie als „total überfordert“ erachtet und nicht in der Lage, „unsere Vermögensverhältnisse […] in den Griff zu bekommen“. Dies veranlasste ihn, „meine Konten und mein Haus“ dem „Staat“ zur „weiteren Regelung“ zu „übergeben“. Jene weitere Regelung wurde dahin konkretisiert, dass „der Staat“ für die Begleichung der Verbindlichkeiten („Auflösung meiner finanziellen Verpflichtungen“), für die Beerdigung sowie für die Verwertung der Immobilie („Auflösung des Hauses“) sorgen solle. Die vom Erblasser ausdrücklich ausgesprochene Bitte an den „Staat“, er solle sich um die Familienmitglieder „kümmern“, zeige, dass ihm an deren Wohlergehen gelegen war. Es gebe keinerlei Anhaltspunkt, dass und aus welchem Grund er die Vermögenswerte, die nach der Abwicklung des Nachlasses verbleiben würden, seiner Familie hätte entziehen wollen. Die „Übergabe“ des Geld- und Immobilienvermögens an den „Staat“ erfolge vor diesem Hintergrund lediglich, damit dieser für eine ordnungsgemäße Verwaltung und Abwicklung sorge, nicht aber, um die danach verbleibenden Werte dauerhaft dem Fiskalvermögen zufließen zu lassen.

Nach alldem sei der auf der Annahme einer Erbenstellung des Fiskus beruhende Beschluss des Nachlassgerichts rechtswidrig und aufzuheben.

Der Senat wies noch auf Folgendes hin. Die Auslegung, die dem Willen des Erblassers am ehesten entspreche, sei folgende:

Die (gesetzliche) Erbenstellung der Familienmitglieder des Erblassers sollte nicht angetastet werden. Andererseits sollten diese aber auch nicht die Möglichkeit haben, den Nachlass abzuwickeln. Die hierzu erforderlichen Maßnahmen sollten „dem Staat“ übertragen werden. Diesem Willen des Erblassers könne durch die Annahme einer Testamentsvollstreckung Rechnung getragen werden.

Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung, die als solche der Ernennung des individuellen Testamentsvollstreckers vorgelagert sei, geschehe in der Form eines Testaments (siehe § 2197 BGB), ohne dass dort weitere Bestimmungen enthalten sein müssten. Sie könne insbesondere auch für die gesetzliche Erbfolge angeordnet werden. Ohne Belang sei, dass der Erblasser nicht ausdrücklich den Begriff der Testamentsvollstreckung gebrauchte. Für deren Anordnung genüge es, den allgemeinen Grundsätzen zur Auslegung letztwilliger Verfügungen entsprechend, wenn sich aus dem Inhalt des Testaments und den Umständen mit ausreichender Deutlichkeit der Wille des Erblassers ergibt, dass er zur Verwirklichung seines Willens und seiner Anordnungen eine Verwaltung seines Nachlasses wünscht. Das sei hier der Fall.

Dass der Erblasser die Person des Testamentsvollstreckers nicht konkret bezeichnete, sei unschädlich. In dem die Anordnung enthaltenden Schriftstück des Erblassers ist lediglich allgemein vom „Staat“ die Rede. Das sei zunächst unbestimmt und unklar. Welche Behörde auch immer damit hätte gemeint sein können, der Erblasser hätte sie nicht wirksam zum Testamentsvollstrecker bestimmen können. Eine Behörde könne nicht Testamentsvollstrecker werden.

Dem eindeutigen Willen des Erblassers könne in der vorliegenden Konstellation auf dem Weg des § 2200 BGB Rechnung getragen werden. Habe ein Erblasser, wie hier, nur Testamentsvollstreckung angeordnet, und fehlt es an der wirksamen Ernennung eines Testamentsvollstreckers, dann würde es seinem Willen nicht entsprechen, die Anordnung schlechthin scheitern zu lassen. Unter solchen Umständen sei regelmäßig eine Auslegung vorzuziehen, wonach der Erblasser das Nachlassgericht um die Ernennung ersucht.

Welcher genaue Aufgabenkreis dem Testamentsvollstrecker für welchen Zeitraum zukommen soll (§§ 2203-2210 BGB), sei eine Frage der Auslegung der Anordnungen des Erblassers und wird vom jeweils zuständigen Gericht zu prüfen sein, wenn es darüber in einem anhängigen Klage- oder FG-Verfahren zu entscheiden hat.

III. Fazit

Die Entscheidung beschäftigt sich mit einem interessanten Fall der Testamentsauslegung.

Danach kann auch in der Anordnung, alles dem Staat zu vermachen, damit er sich um die Angehörigen kümmert, bei fehlenden Anhaltspunkten dafür, dass der Erblasser seine Angehörigen enterben wollte, die Anordnung einer Testamentsvollstreckung zu sehen sein.

Für eine solche Anordnung genüge es nach der Entscheidung, wenn sich aus dem Inhalt des Testaments und den Umständen mit ausreichender Deutlichkeit der Wille des Erblassers ergibt, dass er zur Verwirklichung seines Willens und seiner Anordnungen eine Verwaltung seines Nachlasses wünscht. Fehlt auch die Bestimmung eines Testamentsvollstreckers, so kann eine Auslegung dahingehend vorzunehmen sein, dass der Erblasser i.S.v. § 2200 Abs. 1 BGB das Nachlassgericht um die Ernennung ersucht.


Rezension des Beschlusses des OLG Saarbrücken v. 15.01.2019 - 5 W 90/18 „Testament / Auslegung / Erbeinsetzung des Fiskus", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.8 August 2019, S.487 f


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