Testament, Auslegung, „gleichzeitiges Ableben“

Amtlicher Leitsatz:

Haben Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament im Anschluss an die gegenseitige Alleinerbeneinsetzung bestimmt, dass für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens das Erbe unter ihren Neffen bzw. Nichten aufgeteilt werden soll, so kann der Begriff des "gleichzeitigen Ablebens" entgegen dem Wortsinn nur dann dahin verstanden werden, dass auch das Versterben in erheblich zeitlichem Abstand umfasst werden sollte, wenn sich hierfür eine Grundlage in der vorliegenden Verfügung von Todes wegen findet. (Rn. 18)

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 23.10.2018 - 21 W 38/18

BGB §§ 2247, 2084
FamFG § 58
GNotKG §§ 40, 61

I. Einführung

Die Erblasserin war mit dem bereits vorverstorbenen A verheiratet und hatte keine Kinder. Die Beteiligte zu 1) ist die Cousine der Erblasserin, die Beteiligten zu 2) bis 5) sind die Nichten und Neffen des vorverstorbenen Ehemannes.

Die Eheleute hatten ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen. Mit späterer Ergänzung bestimmten sie, dass für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens das Erbe gleichmäßig unter ihren Neffen bzw. Nichten aufgeteilt werden solle.

Auf Antrag des Beteiligten zu 2) erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein, nach dem die Erblasserin von den Beteiligten zu 2) bis 5) zu je 1/4 beerbt wurde.

Die Beteiligte zu 1) hatte die Einziehung des Erbscheins angeregt und die Auffassung vertreten, dass die Testamentsergänzung keine allgemeine Schlusserbenregelung enthalte, sondern lediglich den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute betreffe. Dies sei jedoch bei der Erblasserin und ihrem Ehemann nicht der Fall. Auch seien die Eheleute nicht zeitnah nacheinander verstorben.

Die Beteiligten zu 2) bis 5) haben dem entgegengehalten, dass der Ehemann der Erblasserin erst am 20.03.2015 beigesetzt wurde und die Erblasserin am 17.04.2015 selbst in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Die dort vorgenommene Operation sei mit Komplikationen verbunden gewesen, die Aufenthalte in weiteren Kliniken erforderlich machten, bevor die Erblasserin schließlich verstarb.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Nachlassgericht den Erbschein als unrichtig eingezogen. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt, dass das Testament keine Schlusserbeneinsetzung, sondern nur eine Ersatzerbeneinsetzung für den Fall des gleichzeitigen Versterbens enthalte. Zwischen dem Tod der Erblasserin und ihres Ehemanns hätten 16 Monate gelegen.

Der Beteiligte zu 5) hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben sich der Beschwerde angeschlossen. Zur Begründung führen sie aus, dass das Testament dahingehend auszulegen sei, dass die Eheleute mit der Formulierung „im Fall eines gleichzeitigen“ Ablebens tatsächlich eine Schlusserbeneinsetzung hätten vornehmen wollen. Es sei unwahrscheinlich, dass die Eheleute nur den unwahrscheinlichen Fall eines gleichzeitigen Ablebens hätten regeln, nicht jedoch eine Schlusserbeneinsetzung vornehmen wollen. Im Übrigen seien die Eheleute kurz nacheinander verstorben.

II. Problem

Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 5) war nach Ansicht des OLG Frankfurt zulässig aber in der Sache ohne Erfolg.

Das fehlerhafte Abhilfeverfahren des Nachlassgerichts stehe der Durchführung des Beschwerdeverfahrens nicht entgegen. Zwar habe das Nachlassgericht zu Unrecht von einer Prüfung der Begründetheit der Beschwerde abgesehen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Zulässigkeit vorgelegt. Trotz dieses Mangels sei der Senat jedoch zu einer eigenen Entscheidung befugt. Eine Rückgabe an das Nachlassgericht sei auch deshalb nicht veranlasst gewesen, weil mit der Beschwerde kein neuer Tatsachenvortrag erfolgt sei, mit dem sich das Amtsgericht hätte auseinandersetzen müssen (vgl. Keidel/Sternal, FamFG, § 68 Rz. 34).

Zu Recht habe das Nachlassgericht den Erbschein gemäß § 2361 BGB als unrichtig eingezogen. Die Beteiligten zu 2) bis 5) seien nicht Erben der Erblasserin geworden. Die Testamente würden keine ausdrückliche und allgemeine Schlusserbeneinsetzung enthalten. Eine über die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute hinausgehende Bestimmung, sei lediglich für den Fall des gleichzeitigen Ablebens bestimmt. Im Hinblick auf die Frage, ob die Eheleute mit ihren letztwilligen Verfügungen auch eine Regelung für den Fall treffen wollten, dass die Eheleute im zeitlichen Abstand versterben, seien die Testamente daher auslegungsbedürftig.

Die obergerichtliche Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, BeckRS 2015, 14452; OLG Jena, BeckRS 2015, 09957; OLG München v. 24.10.2013, Az. 31 Wx 139/13), der sich der Senat anschloss, würde die Formulierung „bei gleichzeitigem Ableben“ oder „bei gleichzeitigem Versterben“ dahingehend auslegen, dass hiervon auch diejenigen Fälle erfasst werden sollen, in welchen die Ehegatten innerhalb eines kurzen Zeitraums nacheinander versterben und der Überlebende in dieser Zeitspanne daran gehindert ist, ein neues Testament zu errichten.

Ehegatten, die sich gegenseitig zu Erben einsetzen, ohne diese Regelung mit einer Erbeinsetzung für den Tod des Längerlebenden von ihnen (Schlusserbeinsetzung) zu verbinden, würden damit bezwecken, dass dem Überlebenden der Nachlass des Erstversterbenden zufällt und dass er über das Gesamtvermögen - auch von Todes wegen - frei verfügen kann. Ein zusätzlicher Regelungsbedarf bestehe dann für den Fall des „gleichzeitigen Todes“, in dem es nicht zu einer Beerbung des einen Ehegatten durch den anderen - und zu einer weiteren Verfügung von Todes wegen des überlebenden Ehegatten - kommt. Dieser Regelungsbedarf bestehe nicht nur für den Fall des in engerem Sinn gleichzeitigen Todes, sondern auch in Fällen, in denen die Ehegatten innerhalb eines kürzeren Zeitraums nacheinander sterben, sei es aufgrund ein und derselben Ursache, z.B. eines Unfalls, sei es aufgrund verschiedener Ursachen, wenn der Überlebende nach dem Tod des Erstversterbenden praktisch keine Möglichkeit mehr hat, ein Testament zu errichten. In diesem Fall des Versterbens kurz nacheinander würde zwar die gegenseitige Erbeinsetzung greifen, doch hinge es vom Zufall der Reihenfolge des Versterbens ab, ob den gesetzlichen Erben des Ehemannes oder den gesetzlichen Erben der Ehefrau das gesamte Vermögen beider Eheleute zufließt. Es sei daher sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten, die die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, eine zusätzliche Regelung für den Fall treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist. Auf diese Fallgestaltung würden Ehegatten mit der Verwendung von Formulierungen wie „bei gleichzeitigem Ableben“ die Erbeinsetzung des Drittbedachten regelmäßig beschränken und so dem Überlebenden von ihnen die Bestimmung überlassen, wer ihn beerben soll (OLG München v. 24.10.2013, Az. 31 Wx 139/13, juris Rz. 12 m.w.N.).

Eine für den Fall des gleichzeitigen Ablebens oder Versterbens getroffene Erbeinsetzung gelte deshalb grundsätzlich nicht für den hier vorliegenden Fall, dass die Ehegatten nacheinander - in erheblichen zeitlichen Abstand - versterben (OLG München a.a.O., Rz. 13). Die Eheleute A starben in einem zeitlichen Abstand von beinahe 16 Monaten. Dafür, dass die Erblasserin körperlich oder geistig nicht mehr in der Lage war, in dieser Zeitspanne ein eigenes Testament zu verfassen, gebe es keine Hinweise.

Eine Ausnahme von den oben ausgeführten Grundsätzen könne nur angenommen werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Testierenden den Begriff des „gleichzeitigen Ablebens“ entgegen dem Wortsinn dahin verstanden haben, dass er auch das Versterben in erheblichem zeitlichem Abstand umfassen sollte, und wenn sich darüber hinaus eine Grundlage in der vorliegenden Verfügung von Todes wegen findet (Andeutungstheorie; OLG München a.a.O.; v. 16.07.2007, Az. 31 Wx 35/07, juris; v. 14.10.2010, Az. 31 Wx 84/10, juris). Dies sei vorliegend nicht der Fall.

Der Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm (ZEV 2011, 427), wonach es im Rahmen der sogenannten Andeutungstheorie ausreichen soll, wenn sich die Auslegungsnotwendigkeit und die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut herleiten lassen, folgte der Senat nicht (abl. auch Herrler ZEV 2011, 429, Böttcher ZEV 2011, 537). Die Andeutungstheorie sei entwickelt worden, um dem Erblasserwillen einerseits und den strengen Formerfordernissen für die Errichtung letztwilliger Verfügungen andererseits Rechnung zu tragen und diese in Einklang zu bringen. Zweck der Formvorschriften sei, dem wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung zu verhelfen, nach Möglichkeit die Selbstständigkeit dieses Willens zu verbürgen und die Echtheit seiner Erklärungen sicherzustellen (BGH NJW 1981, 1736). Dabei würden die einzuhaltenden Förmlichkeiten den Erblasser dazu veranlassen, sich selbst klar darüber zu werden, welchen Inhalt seine Verfügung von Todes wegen haben soll und seinen Willen möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen. Sie würden außerdem dazu dienen, Vorüberlegungen und Entwürfe von der maßgebenden Verfügung exakt abzugrenzen. Die Eigenhändigkeit eines Testaments solle nach der Wertung des Gesetzes außerdem eine erhöhte Sicherheit vor Verfälschungen des Erblasserwillens bieten (BGH NJW 1981, 1737). Diesen Zielen trage das OLG Hamm mit seinem Verständnis der Andeutungstheorie nicht hinreichend Rechnung. Soweit es genügen soll, die Auslegungsnotwendigkeit aus dem Wortlaut herzuleiten, sei dies ein Zirkelschluss. Denn die Notwendigkeit einer Testamentsauslegung sei zunächst der Ausgangspunkt für das Gericht, die letztwillige Verfügung auszulegen und Voraussetzung dafür, dass das Kriterium der Andeutung im Wortlaut überhaupt überprüft werden muss. Daher könne die Auslegungsnotwendigkeit nicht gleichzeitig als Kriterium dafür dienen, ob der Erblasserwille in der dafür vorgeschriebenen Form zum Ausdruck gebracht wurde. Soweit das OLG Hamm auf die Herleitbarkeit der generellen Willensrichtung abstellt, verstand der Senat dies dahingehend, dass dem ermittelten Erblasserwillen unbedingt zur Geltung verholfen werden und keine Einschränkung erfahren soll. Dies sei jedoch abzulehnen, da auf diese Weise die strengen Formerfordernisse für letztwillige Verfügungen umgangen werden und auf eine Rückkopplung zwischen Erblasserwillen und Formvoraussetzungen verzichtet wird. Nach Auffassung des OLG Frankfurt sei daher im Rahmen der Andeutungstheorie zu prüfen, ob das Auslegungsergebnis Andeutungen im Inhalt des Testaments findet. Der Auffassung des OLG Hamm, dass hiermit der Auslegung Grenzen gesetzt würden, die nicht mit der Rechtsprechung des BGH vereinbar seien (OLG Hamm ZEV 2011, 427, 428), wurde nicht zugestimmt. Denn nach der Rechtsprechung des BGH sei zunächst der Erblasserwille zu ermitteln und sodann zu überprüfen, ob dieser Wille des Erblassers - also das Auslegungsergebnis - formgültig erklärt ist (BGH NJW 1981, 1736, 1737). Insoweit folgte der Senat der vom BGH vorgegebenen zweistufigen Prüfung, in dem zunächst der Erblasserwille ermittelt und dann geprüft wird, ob das Gewollte im Wortlaut der letztwilligen Verfügung zumindest angedeutet ist.

Da nach der Auffassung des Senats das Testament keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer Schlusserbeneinsetzung bietet, konnte von der Beweiserhebung und damit Ermittlungen zu der Frage, ob die Eheleute tatsächlich Äußerungen gegenüber den Beschwerdeführern getätigt haben, aus denen sich ein entsprechender Erblasserwille ergibt, abgesehen werden (vgl. BayObLG ZEV 2004, 200, 201; Horn/Kroiß, Testamentsauslegung, 2012, § 2 Rz. 69).

Das OLG Frankfurt hat zuletzt die Rechtsbeschwerde  nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG zugelassen. Es wurde insoweit auf die Ausführungen zum unterschiedlichen Verständnis des Senats und des OLG Hamm bezüglich der Andeutungstheorie verwiesen.

III. Fazit

Im Rahmen der Testamentsauslegung haben sich die Gerichte oftmals mit der Auslegung einer Anordnung für den Fall des gleichzeitigen Versterbens zu befassen, wobei die Reichweite einer solchen Anordnung teilweise sehr unterschiedlich beurteilt werden.

Das OLG Frankfurt legt hier einen strengeren Maßstab an und nimmt an, dass der Begriff des "gleichzeitigen Ablebens" nur dann entgegen dem Wortsinn dahingehend verstanden werden darf, dass auch das Versterben in erheblich zeitlichem Abstand umfasst werden sollte, wenn sich hierfür eine Grundlage in der vorliegenden Verfügung von Todes wegen finden.

Besonders hervorzuheben und zu begrüßen ist die Entscheidung hinsichtlich der klaren und deutlichen Abgrenzung des Gerichts zur Interpretation und Anwendung der sog. Andeutungstheorie durch das OLG Hamm, welche als zu weitgehend erscheint, wenn  sie es genügen lässt, dass sich die Auslegungsnotwendigkeit und die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut herleiten lassen.  Eine erneute Entscheidung und Präzisierung durch den Bundesgerichtshof erscheint hier für die Praxis wünschenswert.


Rezension des Beschlusses des OLG Frankfurt v. 23.10.2018 - 21 W 38/18 „Testament / Auslegung /"gleichzeitiges Ableben"", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.3 März 2019, S.174 ff


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