Testament; Auslegung; Vorbehalt weiterer Verfügungen
Leitsätze:
- Setzt eine Erblasserin in einem Testament ihren Ehemann als Erben ein und behält sich für den Fall von dessen Vorversterben ausdrücklich weitere letztwillige Verfügungen vor, liegt darin zugleich die Regelung, dass bei Vorversterben des Ehemannes und fehlender weiterer Verfügung gesetzliche Erbfolge gelten soll. (amtlicher Leitsatz)
- Das so ausgelegte Testament kann eine planwidrige Lücke enthalten, wenn im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin nicht nur deren Ehemann, sondern alle Verwandten verstorben sind und mithin nur der Staat als gesetzlicher Erbe verbleibt. (amtlicher Leitsatz)
- Die ergänzende Auslegung kann in einem solchen Fall dazu führen, dass die Kinder des Ehemannes aus dessen Vorehe als Erben berufen sind. (amtlicher Leitsatz)
OLG Schleswig, Beschluss vom 18.05.2016 - 3 Wx 113/15
FamFG §§ 29, 81 Abs. 1
BGB § 2084
GNotKG §§ 22 Abs. 1, 40, 61
I. Einführung
Die Erblasserin war kinderlos mit B verheiratet. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind Kinder des vorverstorbenen Ehemanns B aus dessen erster Ehe.
Die Erblasserin und ihr Ehemann errichteten 1973 ein notarielles gemeinschaftliches Testament. Darin traf die Erblasserin folgende Verfügungen:
„Ich setze hiermit für den Fall, dass ich als erste versterbe, meinen Ehemann zum unbeschränkten Alleinerben ein.
Sollte er vor mir versterben, behalte ich mir weitere letztwillige Verfügungen vor.“
Der Ehemann setzte darin die Erblasserin als befreite Vorerbin und seine Kinder, die Beteiligten zu 1) und 2), als Nacherben ein. Für seine als Nacherben berufenen Kinder bestimmte er eine Pflichtteilstrafklausel für den Fall, dass einer von ihnen nach seinem Ableben Pflichtteilsansprüche gegen die Erblasserin geltend machen sollte.
Die Schwester der Erblasserin, C, verstarb 2004 kinderlos. Weitere nahe Verwandte hatte die Erblasserin nicht. Der Ehemann der Erblasserin verstarb im Jahre 2005.
Die Erblasserin verstarb 2015. Ihr Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem Hausgrundstück, das sie zusammen mit ihrer Schwester im Jahr 1966 von ihrer Mutter geerbt hatte und sodann von ihrer Schwester allein zu Eigentum übernommen hatte.
Die Beteiligte zu 1) hat die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der sie und die Beteiligte zu 2) als Erben zu je 1/2 ausweist. Sie hat vorgetragen, das gemeinschaftliche Testament sei nach dem Willen der Erblasserin ergänzend dahin auszulegen, dass ihre beiden Stieftöchter, die Beteiligten zu 1) und 2), als Ersatzerben des Ehemannes in dem Fall berufen sein sollten, wenn sie diesen überleben sollte. Sie, die Beteiligte zu 1), habe zur Erblasserin ein herzliches und enges Verhältnis gehabt. Nach dem Tod ihres Vaters habe sie sie ein- bis zweimal wöchentlich besucht. Die Erblasserin sei immer davon ausgegangen, dass sie nach dem Testament von ihren Stieftöchtern beerbt werde. Sie habe dies mehrfach geäußert. Sie habe sogar mit dem Gedanken gespielt, sie, die Beteiligte zu 1), als Alleinerbin einzusetzen, weil sie sich besonders um die Erblasserin gekümmert habe.
Das Amtsgericht hat den Erbscheinantrag zurückgewiesen. Die Erblasserin habe nur eine Erbeinsetzung für den Fall vorgenommen, dass sie vor ihrem Ehemann versterben sollte. Für den Fall eines Nachversterbens habe sie sich ausdrücklich eine weitere letztwillige Verfügung vorbehalten. Bei dieser Sachlage komme eine ergänzende Auslegung nicht in Betracht.
Der das Testament beurkundende Notar habe mit der Erblasserin über den Fall ihres Nachversterbens gesprochen. Sie habe zum damaligen Zeitpunkt keine Entscheidung treffen wollen. Eine bewusste Lücke im Testament könne nicht durch Auslegung geschlossen werden.
Dass sie den konkreten Inhalt des viele Jahre zurückliegenden Testamentes vergessen habe und aus diesem Grunde kein weiteres Testament verfasst habe, begründe keinen Raum für eine Auslegung.
Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt.
II. Problem
Das OLG Schleswig erachtete die Beschwerde als zulässig und begründet.
Das Testament sei ergänzend dahin auszulegen, dass die beiden Beteiligten als Kinder des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin, der für den Fall ihres Vorversterbens als ihr Alleinerbe berufen war, als Erben zu je 1/2 berufen sind.
Zunächst sei festzustellen, dass die Erblasserin im Testament keine Erbeinsetzung für den Fall ihres Nachversterbens getroffen hat. Dies sei auch bewusst geschehen. Denn dazu sei ausdrücklich etwas von ihr im Testament bestimmt worden, nämlich, dass sie sich für diesen Fall „weitere letztwillige Verfügungen“ vorbehält. Auf die umstrittene Frage, ob der das Testament beurkundende Notar mit der Erblasserin über den Fall ihres Nachversterbens gesprochen hat, komme es hingegen nicht an. Allein aus der genannten Formulierung folge, dass sie für den genannten Fall bewusst keine Regelung zu ihrer Erbfolge getroffen hat.
Hieraus habe das Amtsgericht geschlossen, dass das Testament keine planwidrige Lücke enthalte, die durch ergänzende Auslegung geschlossen werden könne, sondern dass eine bewusste Nichtregelung vorliegen soll, die nicht durch Auslegung geschlossen werden könne. Dabei sei jedoch unbedacht geblieben, dass die bewusste Nichtregelung ihrer Erbfolge im Fall ihres Nachversterbens auch eine Regelung beinhalte, nämlich die Regelung, dass solchenfalls die gesetzliche Erbfolge gelten soll, sofern die Erblasserin nicht noch anders letztwillig verfügt, was sie sich ausdrücklich vorbehalten hat.
Diese für den Fall ihres Nachversterbens getroffene Regelung habe sich nachträglich durch ein weder von der Erblasserin vorhergesehenes noch bedachtes Ereignis, nämlich das Ableben ihrer kinderlos gebliebenen Schwester C 2004 als fehler- und lückenhaft erwiesen. Dies gelte insbesondere auch deswegen, weil keine anderen nahestehenden Verwandten vorhanden sind. Es sei vielmehr zu erwarten, dass ohne eine Auslegung des Testaments zugunsten der Beteiligten der Staat Erbe sein wird.
Daraus folge, dass mit dem Ableben der Schwester der Erblasserin eine planwidrige Lücke im Testament vorgelegen hat, die eine ergänzende Auslegung erlaubt. Denn es sei anerkannt, dass Lücken, die nachträglich durch Veränderungen zwischen Testamentserrichtung und Erbfall eingetreten sind und vom Erblasser weder vorhergesehen noch bedacht worden sind, durch eine ergänzende Auslegung geschlossen werden können (Palandt/Weidlich, § 2084 Rn. 8 m.w.N.).
Wenn die Erblasserin den Fall vorhergesehen und bedacht hätte, dass ihre Schwester (noch vor ihrem vorverstorbenen Ehemann) verstirbt und andere nahe Verwandte, die als gesetzliche Erben in Betracht kommen, nicht vorhanden sind, hätte sie für den Fall ihres Nachversterbens die beiden Kinder ihres Ehemanns, die Beteiligten zu 1) und 2), als ihre Erben berufen. Dieser Wille der Erblasserin folge daraus, dass sie im Fall ihres Vorversterbens ihren Ehemann als ihren Alleinerben berufen hat und dass die Beteiligten, insbesondere die Beteiligte zu 1) ihr nahestanden.
Entscheidend dafür sei, dass die Erblasserin sich in ihren letzten Lebensjahren wiederholt dahin geäußert hat, dass die beiden Beteiligten sie aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments - entsprechend dem Willen ihres vorverstorbenen Ehemanns und ihres Willen - beerben würden und dass sie deswegen das Testament nicht ändern wolle. Diese Äußerungen der Erblasserin seien durch die Angaben der Beteiligten zu 1) sowie durch die vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Ehemanns der Beteiligten zu 1) nachgewiesen.
Die erforderliche Andeutung der Erbeinsetzung der beiden Beteiligten in dem Testament durch die Erblasserin im Fall ihres Nachversterbens liege in der Berufung des Ehemanns als Alleinerbe im Fall ihres Vorversterbens und in dem Umstand, dass sie die Kinder des Ehemanns sind. Dass diese Umstände ausreichen, um eine hinreichende Andeutung im Testament anzunehmen, entspreche der Rechtsprechung des Senats zur Ersatzerbenberufung von Abkömmlingen des vorzeitig weggefallenen bedachten Alleinerbens (OLG Schleswig, FamRZ 2012, 666 ff; OLG Schleswig, FamRZ 2014, 693 ff).
III. Fazit
Das OLG Schleswig beschäftigt sich vorliegend mit den Grenzen der Testamentsauslegung.
Will der Erblasser einen Fall bewusst (noch) nicht regeln und behält sich für diesen Fall weitere letztwillige Verfügungen vor, so liegt darin zugleich eine Regelung dahingehend, dass, sollten keine weiteren Verfügungen mehr getroffen werden, gesetzliche Erbfolge gelten soll.
Erweist sich diese Regelung sodann später als fehler- oder lückenhaft und ergibt sich hieraus eine planwidrige Regelungslücke, kann die Möglichkeit einer ergänzenden Testamentsauslegung gegeben sein.
Rezension des Beschlusses des OLG Schleswig v. 18.05.2016 - 3 Wx 113/15 „Testament / Auslegung / Vorbehalt weiterer Verfügungen", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.3 März 2017, S.163 f