Testament; Testierwille; Bestimmtheit

Amtliche Leitsätze:

  1. Auch in einem wenige Zentimeter großen handschriftlich beschriebenen Notizzettel kann grundsätzlich ein wirksames Testament liegen. (Rn. 17)
  2. Der Wirksamkeit eines „Notizzetteltestaments“ steht - wenn ein anderes Testament existiert - entgegen, dass der Notizzettel nicht datiert ist und sich die notwendigen Feststellungen über die Zeit seiner Errichtung auch nicht anderweitig treffen lassen. (Rn. 17)
  3. Insbesondere bei einem Schriftstück, das nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht, muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser es mit Testierwillen erstellt hat; bei verbleibenden Zweifeln findet die Vorschrift des § 2084 BGB keine Anwendung. (Rn. 22)
  4. Eine Erbeinsetzung desjenigen, „der für mich aufpasst und [mich] nicht ins Heim steckt“ ist nicht ausreichend bestimmt und daher nichtig. (Rn. 26)

OLG Braunschweig (1. Zivilsenat), Beschluss vom 20.03.2019 - 1 W 42/17

BGB0 §§ 2065, 2084, 2231, 2232, 2247 Abs. 3 S. 2, Abs. 5 S. 1, 2258 Abs. 1

I. Einführung

Die im Jahr 2015 verstorbene Erblasserin hatte keine Kinder. Ihr Ehemann und ihre Eltern sind vorverstorben. Ein vorverstorbener Cousin der Erblasserin hat zwei Kinder hinterlassen, die Beteiligten zu 2) und 3). Die Beteiligte zu 1) begehrt einen auf sie als Alleinerbin lautenden Erbschein aufgrund testamentarischer Erbfolge.

Im März 2001 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Eine Schlusserbenbestimmung enthält das Testament nicht. Die Eheleute gaben das Testament in besondere amtliche Verwahrung des Amtsgerichts.

Im Jahr 2013 verstarb der Ehemann der Erblasserin. Im Juni 2014 erteilte die Erblasserin der Beteiligten zu 1) eine notarielle Vorsorgevollmacht.

Im Mai 2015 beantragte die Beteiligte zu 1) einen auf sie als Alleinerbin lautenden Erbschein und reichte einen nicht datierten wenige Zentimeter großen quadratischen Notizzettel mit dem folgenden handschriftlich geschriebenen Text bei dem Nachlassgericht ein:

Wenn sich für mich [Vor- und Nachname] geb. [Geburtsdatum] einer findet, der für mich aufpasst und nicht ins Heim steckt der bekommt mein Haus und alles was ich habe.

[Unterschrift mit Vor- und Nachnamen]

Die Beteiligte zu 1) trägt vor, der Text auf dem Zettel sei von der Erblasserin geschrieben worden. Es sei der Wille der Erblasserin gewesen, sie zur Alleinerbin einzusetzen. Lediglich aufgrund des frühzeitigen Todes der Erblasserin sei es nicht mehr zur Beurkundung des bereits entworfenen notariellen Testaments gekommen.

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Es könne offenbleiben, ob der handschriftliche Zettel von der Erblasserin selbst geschrieben sei, denn er stelle jedenfalls keine letztwillige Verfügung dar. In dem Text sei kein Erbe namentlich bestimmt. Es gelte die gesetzliche Erbfolge, nach der die Beteiligte zu 1) nicht Erbin sei.

Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Problem

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) erachtete das OLG Braunschweig als zulässig, aber in der Sache erfolglos.

Der nicht datierte handschriftlich beschriebene Zettel stelle kein gültiges ordentliches Testament im Sinne der §§ 2231 Nr. 2, 2247 BGB dar. Er erfülle nicht die Voraussetzungen eines gültigen eigenhändigen Testaments.

Das gegebenenfalls in dem handschriftlich beschriebenen Zettel liegende Testament sei nicht gültig, da es nicht datiert ist und sich die notwendigen Feststellungen über die Zeit der Errichtung auch nicht anderweitig treffen lassen würden, § 2247 Abs. 5 Satz 1 BGB.

Der handschriftlich beschriebene Zettel erfülle zwar im Grundsatz die zwingenden formellen Erfordernisse des § 2247 BGB; insbesondere könne ein Testament durchaus auch auf einem „Notizzettel“ errichtet werden (OLG Schleswig, Beschluss vom 16. Juli 2015 - 3 Wx 53/15). Die fehlende Gültigkeit ergebe sich hier aber daraus, dass der Zeitpunkt der Errichtung des gegebenenfalls in dem Zettel liegenden Testaments nicht sicher feststellbar sei und es deshalb möglich sei, dass es zeitlich vor dem gemeinschaftlichen privatschriftlichen Testament errichtet worden ist.

Ein gegen eine solche zeitliche Reihenfolge sprechendes Indiz liege nicht vor.  Sollte die Erblasserin den Notizzettel aber zeitlich vor dem gemeinschaftlichen Testament verfasst haben, wäre ein etwaiges darin zu sehendes (früheres) Testament durch das (spätere) gemeinschaftliche Testament vom 28. März 2001 widerrufen worden, da die Erblasserin darin ihren Ehemann zum Alleinerben eingesetzt hat, § 2258 Abs. 1 BGB.

Daneben stehe auch nicht außer Zweifel, dass die Erblasserin beim (unterstellten) eigenhändigen Abfassen des auf dem Zettel stehenden Textes mit Testierwillen gehandelt hat.

Es müsse außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden, also dass die Erklärung nicht bloß einen Entwurf, eine Ankündigung oder ähnliches darstellt. Ob ein solcher ernstlicher Testierwille vorgelegen hat, sei im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen. Dabei seien, sofern die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht, an den Nachweis des Testierwillens strenge Anforderungen zu stellen. Bei verbleibenden Zweifeln finde die Vorschrift des § 2084 BGB - wonach im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen ist, bei der die Verfügung Erfolg haben kann - keine Anwendung.

Nach diesem Maßstab stehe nicht außer Zweifel, dass die Erblasserin den oben zitierten Notizzettel mit Testierwillen verfasst hat.

Schon die äußere Form begründe Zweifel: Wie anhand des privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testaments ersichtlich sei, habe die Erblasserin die üblichen Gepflogenheiten beim Abfassen eines privatschriftlichen Testaments gekannt. Aus dem dortigen Schriftbild ergebe sich, dass die Erblasserin den Testamentstext selbst geschrieben und unterschrieben hat, während ihr Ehemann ihn lediglich mitunterzeichnet hat. Die dortige Urkunde enthalte neben Orts- und Datumsangabe insbesondere eine eindeutige Formulierung zur Erbeinsetzung. Obwohl die Erblasserin schon einmal in dieser Form testiert hatte, fehle all dies auf dem Notizzettel - unterstellt, er sei später als das gemeinschaftliche Testament erstellt und deshalb nicht ohnehin durch dieses widerrufen worden.

Auch die Formulierung des Textes auf dem Notizzettel wecke Zweifel am Vorliegen eines Testierwillens: Dass derjenige, der „für mich aufpasst und nicht ins Heim steckt“ das Haus der Erblasserin „bekommen“ soll, könne auch so verstanden werden, dass die Erblasserin eine Übertragung ihres Hauses schon zu Lebzeiten in Aussicht stellt. Das Wort „erben“ oder ein Hinweis darauf, dass das „Bekommen“ erst nach dem Tod der Erblasserin stattfinden soll, sei in dem Text nicht enthalten.

Ebenso wecke die Existenz von früheren notariellen Testamentsentwürfen aus dem September und Oktober 2014 Zweifel am Vorliegen eines Testierwillens beim Abfassen des Textes auf dem Zettel. Ausweislich dieser Entwürfe habe die Erblasserin augenscheinlich kurz vor ihrem Tod notariell testieren und die Beteiligte zu 1) zu ihrer Alleinerbin einsetzen wollen. Dies wäre nicht erforderlich gewesen, wenn die Erblasserin zuvor den Zettel mit Testierwillen verfasst hätte, denn dann hätte sie davon ausgehen können, in Form des Zettels schon mit gleichem Inhalt privatschriftlich testiert zu haben. Eines notariellen Testaments hätte es dann nicht bedurft. Nach alledem könne es sich bei dem Zettel auch um eine Absichtserklärung oder einen Entwurf handeln.

Zudem sei eine etwaige in dem Zettel liegende letztwillige Verfügung nicht ausreichend bestimmt und daher nichtig.

Wie sich aus § 2065 BGB ergebe, muss sich ein Erblasser selbst über den Inhalt aller wesentlichen Teile seines letzten Willens schlüssig werden. Dazu gehöre insbesondere die Bestimmung der Person des Bedachten. Diese müsse zwar nicht namentlich genannt sein, es sei aber erforderlich, dass sie anhand des Inhalts der Verfügung - gegebenenfalls unter Berücksichtigung von außerhalb der Urkunde liegenden Umständen - zuverlässig festgestellt werden kann. Der Erblasser kann demnach „nicht die Bestimmung, sondern nur die Bezeichnung der Person des Bedachten“ einem Dritten überlassen (BGH NJW 1955, S. 100 [101]).

Soweit ein Testament unklare oder unvollständige Anordnungen enthalte, müsse zunächst versucht werden, den erklärten Willen des Erblassers im Wege der Auslegung festzustellen, § 2084 BGB. Gelingt dies, liege kein Fall der unzulässigen Bestimmung der Person des Bedachten durch einen Dritten vor, denn das auslegende Gericht sei kein Dritter im Sinne von § 2065 BGB (BayObLG, Beschluss vom 23. Mai 2001 - 1Z BR 10/01 -, juris, Rn. 22; Leipold, in: MüKo-BGB, § 2065, Rn. 7 m.w.N.). Sei der Wortlaut der letztwilligen Verfügung aber so unklar, dass die Auslegung ergebnislos bleiben muss, sei die Verfügung nichtig. Dabei kann dahinstehen, ob dies unmittelbar aus § 2065 BGB folge oder aus dem - dieser Vorschrift zu Grunde liegenden Bestimmtheitserfordernis.

Eine Auslegung des Textes führe hier nicht zu einem eindeutigen Ergebnis: Nach dem auf dem Zettel stehenden Text solle derjenige begünstigt werden, „der für mich aufpasst und [mich] nicht ins Heim steckt“. Es bleibe aber offen, was mit dem Begriff „aufpassen“ gemeint ist. Die Erblasserin habe ihn aber mit der Bedingung verknüpft, dass sie nicht „ins Heim gesteckt“ werde, dass sie also die Hilfe erhalte, die erforderlich sei, um ihr ein Leben außerhalb eines Pflegeheims zu ermöglichen. Danach könne nach dem Begriffsverständnis der Erblasserin mit „aufpassen“ auch „kümmern“ oder „helfen“ gemeint sein. So ergibt sich ein sehr weites Spektrum (vgl. OLG München NJW 2013, S. 2977 [2978] zum Begriff „kümmern“). Zudem könne in den genannten Bereichen eine etwaige Hilfe jeweils gelegentlich, regelmäßig oder ständig erfolgen, dies in unterschiedlicher Intensität und Qualität sowie durch eine Person allein oder durch mehrere Personen mit unterschiedlich hohem Anteil (vgl. auch OLG Köln, NJW-RR 2017, S. 648 [649 Rn. 18] zu Art und Umfang von „Pflege“). Auch der Zeitraum, in dem die Person(en) „aufpassen“ soll(en), bleibe unklar, also ob die gemeinte Tätigkeit über Tage, Wochen, Monate oder Jahre erforderlich sein soll, um die Stellung als Erbe zu erlangen.

Im hiesigen Zusammenhang sei der Begriff „aufpassen“ einer zu einem eindeutigen Ergebnis führenden Auslegung nicht zugänglich. Der Text auf dem Notizzettel sei somit hinsichtlich der Person des Begünstigten zu unbestimmt, um eine wirksame Erbeinsetzung bewirken zu können.

III. Fazit

Die Entscheidung illustriert, dass auch in eiligen Fällen, kurz vor dem Tod des Testierenden, nach Möglichkeit anwaltliche oder notarielle Hilfe bei der Errichtung des Testaments eingeholt werden sollte.

Andernfalls kann das Testament, aufgrund von in der Eile nicht beachteten formellen Anforderungen oder Zweifeln am Testierwillen aufgrund einer ungewöhnlichen Errichtungsweise, nicht wirksam errichtet worden sein.

Gerade in diesen Fallkonstellation ist daneben an die Hinzuziehung von Zeugen oder medizinischem Fachpersonal zu denken, da oftmals, kurz vor dem Tod des Testierenden, auch die Testierfähigkeit in Zweifel stehen kann.


Rezension des Beschlusses des OLG Braunschweig v. 20.03.2019 - 1 W 42/17 „Testament / Testierwille / Bestimmtheit", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.7 Juli 2019, S.423 ff


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