Urlaubsanspruch, Abgeltung, Vererblichkeit

Leitsatz:

Unter Berücksichtigung des Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG geht der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers mit dessen Tod nicht unter, sondern wandelt sich in einen vereblichen Urlaubsabgeltungsanspruch. (entgegen BAG NZA 2012, 326).

(Leitsatz des Verfassers)

ArbG Berlin, Urteil vom 07.10.2015 - 56 Ca10968/15

BUrlG § 7 Abs. 4
Richtlinie 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1
BGB § 613 S. 1, § 1922 Abs. 1

I. Einführung

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung.

Die Kläger sind die Erben ihrer verstorbenen Tochter. Die Erblasserin stand seit 2012 in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten.

Das Arbeitsverhältnis unterlag dem Tarifvertrag der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) und den diesen ergänzenden Tarifverträgen.

Den Jahresurlaub aus 2012 nahm die Erblasserin vollständig. Von dem Jahresurlaubsanspruch für das Jahr 2013 nahm sie einen Tag. Unter Berücksichtigung des Teilurlaubsanspruchs für das Jahr 2014 verblieben der Erblasserin zu ihrem Todeszeitpunkt 33 offene Urlaubstage.

Mit von den Erben unterzeichnetem Schreiben vom 15.08.2014 machten diese gegenüber der Beklagten die Abgeltung des von ihrer Tochter, der Erblasserin, nicht genommenen Urlaubs geltend.

Die Kläger sind unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH vom 12.06.2014 - C - 118/13 der Ansicht, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch bei Tod ihrer Tochter entstanden und vererbbar sei.

Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.054,94 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie begründet ihren Abweisungsantrag damit, dass das Bundesarbeitsgericht von der Nichtvererbbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruches ausgehe.

II. Problem

Die zulässige Klage wurde vom ArbG überwiegend als begründet erachtet.

Nach Ansicht des ArbG hatten die Kläger als Gesamtrechtsnachfolger, § 1922 Abs. 1 BGB, gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG auf Abgeltung des in der Person der Erblasserin entstandenen Urlaubsanspruches von 33 Tagen.

Nach § 7 Abs. 4 BUrlG sei der Urlaub abzugelten, wenn dieser wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.

Zwar verneine das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung die Entstehung eines Abgeltungsanspruches, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitsnehmers endet (zuletzt: BAG NZA 2013, 678). Da mit dem Tod des Arbeitsnehmers regelmäßig dessen höchstpersönliche Leistungspflicht im Sinne des § 613 Satz 1 BGB erlischt, gingen auch die Ansprüche auf Befreiung von dieser Arbeitspflicht unter, mit der Folge, dass sein auf Befreiung von der Arbeitspflicht gerichteter Urlaubsanspruch ebenfalls untergeht. Der Urlaubsabgeltungsanspruch könne damit nicht vor dem Tod des Arbeitnehmers, der erst zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe, entstanden sein. § 7 Abs. 4 BUrlG statuiere insoweit mittelbar ein Abgeltungsverbot im bestehenden Arbeitsverhältnis (BAG NZA 326, 327, 2012).

Dem tritt das ArbG entgegen. Artikel 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG sei dahingehend auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet (EuGH NZA 2014, 651). Diese Auslegung des Unionsrechts sei für die nationalen Gerichte bindend, Art. 267 Abs. 1 Buchst. a AEUV (BVerwG NVwZ 2013, 1295).

Danach sei § 7 Abs. 4 BUrlG richtlinienkonform im Sinne des Artikel 7 Satz 2 RL 2003/88/EG dahingehend auszulegen, dass auch der Tod des Arbeitnehmers eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne von § 7 Abs. 4 BUrlG ist, aufgrund dessen dieser den Urlaub nicht mehr nehmen kann, mit der Folge, dass dieser abzugelten ist (VG Karlsruhe, Urteil vom 16.07.2015 - 3 K 24/15; ErfK /Gallner, § 1 BurlG Rn. 23).

Den nationalen Gerichten obliege es, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen ergibt. Die innerstaatlichen Gerichte müssten die volle Wirkung des Gemeinschaftsrechts sicherstellen. Die nationalen Gerichte hätten wegen Art. 249 Abs. 3 EG davon auszugehen, dass der Mitgliedstaat den Verpflichtungen, die sich aus der Richtlinie ergeben, in vollem Umfang nachkommen wollte. Das Gebot der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung sei dem EG-Vertrag immanent. Es beschränkt sich nicht auf die Auslegung der innerstaatlichen Bestimmungen. Die von ihm begründete Verpflichtung verlange vielmehr, dass die nationalen Gerichte das gesamte innerstaatliche Recht berücksichtigen, um zu beurteilen, inwieweit es angewandt werden kann, damit kein der Richtlinie widersprechendes Ergebnis herbeigeführt wird. Ermögliche es das nationale Recht durch Anwendung seiner Auslegungsmethoden, eine innerstaatliche Bestimmung so auszulegen, dass eine Kollision mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, sind die nationalen Gerichte gehalten, die gleichen Methoden anzuwenden, um das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (BAG NZA 2009, 538).

Einer derartigen Auslegung stehe der Wortlaut des § 7 Abs. 4 BurlG nicht entgegen, da dieser allein verlangt, dass der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann. Der Tod des Arbeitnehmers beende unzweifelhaft das Arbeitsverhältnis und führe dazu, dass er den Urlaub nicht mehr nehmen kann.

Auch könne dem Abgeltungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers nicht Sinn und Zweck, die Verwendung des Abgeltungsbetrags zu Erholungszwecken, entgegen gehalten werden oder dass der Arbeitnehmer zumindest nicht mehr in den Genuss der Urlaubsabgeltung komme (BAG NZA 2013, 678). Nach der Aufgabe der Surrogationstheorie entstehe der Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG als reiner Geldanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer den Urlaub noch nehmen könnte, wenn das Arbeitsverhältnis noch bestände (BAG NZA 2012, 1087). Als reiner Geldanspruch sei der Abgeltungsanspruch vererbbar. Es mache hinsichtlich Sinn und Zweck des Urlaubsanspruches keinen Unterschied, ob das Arbeitsverhältnis erst endet, der Abgeltungsanspruch als vererbbarer Anspruch entsteht und der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstirbt und damit der Abgeltungsanspruch von einer „juristischen Sekunde“ abhängig ist oder das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. In beiden Fällen komme der Arbeitnehmer weder in den Genuss der Freistellung durch Urlaubsgewährung, noch in den der Abgeltung.

Somit sei § 7 Abs. 4 BurlG dahingehend auszulegen, dass der Urlaub auch dann abzugelten ist, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers eintritt. So sei vorliegend nicht nur der durch Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG geschützte Mindesturlaub von 20 Tagen abzugelten, sondern auch der, der Erblasserin darüber hinaus zustehende, den gesetzlichen Mindesturlaub überschreitende, tarifliche Urlaub.

Fehlen deutliche Anhaltspunkte für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des Mindesturlaubes abweichenden, Abgeltungsregime zu unterstellen, sei von einem „Gleichlauf“ des Anspruchs auf Abgeltung gesetzlichen Urlaubs und des Anspruchs auf Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs auszugehen (BAG vom 13.11.2012 - 9 AZR 64/11). Vorliegend fehle es an einer derartigen, den tariflichen Mehrurlaub anders behandelnden Regelung.

§ 29 Abs. 2 TV-BA verweise ausdrücklich auf das BUrlG. Soweit § 29 Abs. 2 TV-BA hiervon abweicht, werde dabei nicht zwischen dem gesetzlichen und dem übertariflichen Urlaub differenziert, so dass auch der, der Erblasserin zustehende, den gesetzlichen Mindesturlaub überschreitende, tarifvertragliche Urlaub abzugelten sei.

III. Fazit

Das BAG verneint bisher in ständiger Rechtsprechung (vgl. BAG NZA 2012, 326) die Vererblichkeit von Abgeltungsansprüchen. Da mit dem Tod des Arbeitnehmers regelmäßig dessen höchstpersönliche Leistungspflicht erlischt, würden auch die Ansprüche auf Befreiung von dieser Arbeitspflicht untergehen, mit der Folge, dass sein auf Befreiung von der Arbeitspflicht gerichteter Urlaubsanspruch ebenfalls untergeht.

Dies beurteilt das ArbG Berlin nun anders. Im Rahmen einer unionsrechtskonformen Auslegung des deutschen Rechts und mit Blick auf Artikel 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG und die Entscheidung des EuGH (EuGH NZA 2014, 651) bejaht es nun die Vererblichkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs.

Ob das Urteil auch in den höheren Instanzen Bestand haben wird, muss sich indes noch zeigen.


Rezension des Beschlusses des ArbG Berlin v. 07.10.2015 - 56 Ca 10968/15  „Urlaubsanspruch / Abgeltung / Vererblichkeit", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.5 Mai 2016, S.315 f


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