Vorerben-Erbschein; Tod des Vorerben;
Amtliche Leitsätze:
- Verstirbt der Vorerbe während des von ihm geführten Beschwerdeverfahrens gegen die Versagung der Erteilung eines Vorerben-Erbscheins, so ist die Vorerbschaft beendet, das Begehren eines Ausweises der gegenwärtigen Rechtslage gegenstandslos geworden und tritt Erledigung der Hauptsache ein, mit der Folge, dass das Rechtsmittelverfahren unzulässig wird, sofern der Beschwerdeführer (Rechtsnachfolger) das Rechtsmittel nicht auf den Kostenpunkt beschränkt hat.
- Nach dem Tode des Vorerben kann der Antrag auf Erteilung eines Vorerben-Erbscheins nicht mit dem Ziel der Erteilung eines Ausweises der früheren Rechtslage umgestellt werden, weil es für einen solchen Antrag, sofern man ihn nicht überhaupt für unzulässig hält, ohne ein – hier nicht gegebenes - besonderes Bedürfnis für die Bekundung einer vergangenen Rechtslage jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
OLG Düsseldorf (3. Zivilsenat), Beschluss vom 19.05.2021 – I-3 Wx 110/20
BGB § 2353
FamFG § 62 Abs. 1, 2
I. Einführung
Der Erblasser hatte die ehemalige Beteiligte zu 1), eine langjährige Angestellte, testamentarisch hinsichtlich bestimmten Grundbesitzes zur Vorerbin eingesetzt, bei ihrem Tod seine - 2013 verstorbene - Tochter beziehungsweise deren Kinder (die Beteiligten zu 2) und 3) zu Nacherben. Der ehemaligen Beteiligten zu 1) wurde ein Erbschein erteilt. In diesem wurde die Beteiligte zu 1) als Miterbin zu 8/12 Anteil ausgewiesen, wobei bezüglich des ihr zugewandten unbeweglichen Vermögens Nacherbfolge angeordnet war.
Die ehemalige Beteiligte zu 1) beantragte einen Erbschein dahingehend, dass sie Miterbin zu 8/12 Anteil nach dem Erblasser sei, wobei sie, sowohl hinsichtlich des ihr zugewandten beweglichen als auch hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens, befreite Vorerbin sei. In der Folge stritten die Beteiligten über ihre Stellung als befreite Vorerbin.
Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat sich die ehemaligen Beteiligte zu 1) mit ihrem Rechtsmittel gewandt, mit dem sie ihren Erbscheinserteilungsantrag weiterverfolgt und dem das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat.
Während des Beschwerdeverfahrens ist die ehemalige Beteiligte zu 1) verstorben. Ihr Erbe ist der jetzige Beteiligte zu 1).
II. Problem
Nach Ansicht des OLG Düsseldorf war das Rechtsmittel der ehemaligen Beteiligten zu 1) bei seiner Einlegung als befristete Beschwerde statthaft und auch im Übrigen zulässig. Durch den Tod der ehemaligen Beteiligten zu 1) sei es jedoch unzulässig geworden und daher zu verwerfen. Es sei eine Erledigung der Hauptsache im Beschwerdeverfahren eingetreten.
In einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sei die Hauptsache anerkanntermaßen (vgl. Keidel-Sternal, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 22 Rdnr. 24 m. zahlr. Nachw.) erledigt, wenn nach dessen Einleitung der Verfahrensgegenstand durch ein Ereignis, das eine Veränderung der Sach- und Rechtslage herbeiführt, weggefallen ist. Im Erbscheinserteilungsverfahren bilde den Verfahrensgegenstand der Erbscheinsantrag, an den das Nachlassgericht - bis auf wenige, hier nicht in Rede stehende Ausnahmefälle - strikt gebunden sei (strenge Bindung des Gerichts an den gestellten Antrag, näher Sternal a.a.O., § 23 Rdnr. 14 f).
Hier sei die Erteilung eines Vorerben-Erbscheins während der Vorerbschaft, mithin der Ausweis einer gegenwärtigen Rechtslage, beantragt worden. Ein derartiger Erbschein unterscheide sich seinem Inhalt nach von einem Vorerben-Erbschein nach Beendigung der Vorerbschaft (= einem Ausweis der vergangenen Rechtslage) auch nach derjenigen Auffassung, die einen solchen unter bestimmten Voraussetzungen zulässt, insbesondere bezüglich der Angaben zum Eintritt und Zeitpunkt der Nacherbfolge. Mit dem Tode der ehemaligen Beteiligten zu 1) sei die Vorerbschaft beendet und das Begehren eines Ausweises der gegenwärtigen Rechtslage gegenstandslos geworden. Damit sei wegen der strengen Antragsbindung der Verfahrensgegenstand weggefallen.
Trete eine Erledigung der Hauptsache nach Einlegung eines zulässigen Rechtsmittels ein, könne eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen. Die Beschwerde werde unzulässig, wenn der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel nicht auf den Kostenpunkt beschränke oder zulässigerweise auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 62 Abs. 1 und 2 Fam-FG) übergehe (Sternal a.a.O., Rdnr. 34 m. Nachw.).
Hier habe der jetzige Beteiligte zu 1) nach wie vor uneingeschränkt das Ziel einer Sachentscheidung über den Erbscheinsantrag der ehemaligen Beteiligten zu 1) verfolgt.
Ob ein Antrag auf Erteilung eines Vorerben-Erbscheins noch nach dem Tode des Vorerben verfolgt werden kann, sei umstritten. Im vorliegenden Fall indes würden beide Ansichten zum selben Ergebnis kommen. Nach der ersten Auffassung könne ein Antrag auf Erteilung eines den Vorerben ausweisenden Erbscheins nach Eintritt des Nacherbfalls zulässigerweise nicht mehr gestellt werden. Nach der zweiten Meinung seien hiervon Ausnahmen zu machen, wenn ein besonderes Bedürfnis für die Erteilung, also für die Bekundung einer vergangenen Rechtslage, besteht. Ein derartiges Bedürfnis sei hier jedoch nicht feststellbar.
Entsprechend dem Zweck eines Erbscheins, der einen qualifizierten, mit Legitimationswirkung, Beweiskraft und öffentlichem Glauben versehenen Ausweis für einen Erben, der den Nachlass in Besitz nehmen oder über ihn verfügen will, darstellt, müssten mit der Erteilung ein fortdauerndes Ausweisinteresse verfolgt werden, wie es etwa vorliegen mag bei einem vom Vorerben eingegangenen fortlaufenden Dauerschuldverhältnis oder bei einem von ihm begonnenen, aber noch nicht (vollständig) vollzogenen Austauschverhältnis. Demgegenüber reiche es nicht aus, dass die materiell-rechtliche Stellung des Vorerben als Vorfrage ausschlaggebend ist für die Beurteilung von Anspruchsbeziehungen aus Rechtsgeschäften des Vorerben, die bei dessen Tod zumindest in der Art abgeschlossen waren, sodass es auf einen ausstehenden Nachweis seiner Legitimierung nicht mehr ankomme. Das bloße Interesse der Partei eines Rechtsstreits, durch Äußerungen des Gerichts der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sei es in Form der Erteilung eines Erbscheins, sei es durch dessen Verweigerung, die eigene Rechtsverfolgung durch Gewinnung von Argumenten faktisch erleichtert zu sehen, begründe kein Rechtsschutzbedürfnis im vorstehend behandelten Sinne.
Nach den Angaben des Beteiligten zu 2) komme im gegebenen Fall kein Ausweisinteresse in Betracht. Es gehe allein um die Rückabwicklung beim Tode der ehemaligen Beteiligten zu 1) bereits vollzogener Rechtsgeschäfte. In einem etwaigen zivilprozessualen Rechtsstreit über diesbezügliche Ansprüche zwischen den Beteiligten zu 2) und 3) sowie dem jetzigen Beteiligten zu 1) wäre das Ergebnis des vorliegenden Erbscheinsverfahrens jedoch weder deshalb bedeutsam, weil es in materielle Rechtskraft erwüchse (was nicht der Fall ist), noch sonst vorgreiflich wäre. Vielmehr könne es allenfalls die Rechtsverfolgung einer Partei erleichtern.
III. Fazit
Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Zulässigkeit der Erteilung eines Erbscheins mit dem Ausweis einer früheren Rechtslage für einen bereits verstorbenen Erben.
Die Frage der generellen Zulässigkeit hatte das Gericht vorliegend nicht zu entscheiden. Es führt jedoch klarstellend aus, dass, ungeachtet der Frage der generellen Zulässigkeit, zumindest ein fortdauerndes Ausweisinteresse notwendig ist. Dieses kann bei vom Vorerben eingegangenen fortlaufenden Dauerschuldverhältnis oder noch nicht (vollständig) vollzogenen Austauschverhältnissen gegeben sein. Betrifft der Erschein hingegen lediglich Vorfragen von Rechtsgeschäften des Vorerben, die zumindest in der Art nach abgeschlossen sind (etwa deren Rückabwicklung), liegt das notwendige Ausweisinteresse nicht vor.
Rezension des Beschlusses des OLG Düsseldorf v. 19.05.2021 - 3 Wx 110/20; „Vorerben-Erbschein / Tod des Vorerben", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr. 11 November 2021, S.624 f