Vorerbschaft, Entlassung aus Verfügungsbeschränkung, Zustimmung des Ersatznacherben
Leitsätze:
- Durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen dem Vorerben und dem Nacherben kann ein zum Nachlass gehörendes Grundstück aus der Verfügungsbeschränkung der angeordneten Nacherbfolge entlassen werden. (amtlicher Leitsatz)
- Es bedarf dann nicht der Zustimmung von Ersatznacherben zur Löschung eines eingetragenen Nacherbenvermerks. (amtlicher Leitsatz)
OLG Hamm, Beschluss vom 13.05.2016 - I-15 W 594/15
GBO §§ 19, 22, 51
BGB § 2113, § 2217, § 2120
InsO § 32 Abs. 3
I. Einführung
Die Beteiligten zu 1) und 2) sind eingetragene Miteigentümerinnen von Grundstücken. Im Grundbuch ist jeweils ein Nacherbenvermerk eingetragen, der wie folgt lautet:
„I und J sind Vorerben.
Die Nacherbfolge tritt bei Tod der Vorerben ein. Nacherben sind D und B.
Ersatznacherben sind deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge, ersatzweise der überlebende Nacherbe.“
Die Beteiligten zu 1) und 2) haben mit den Nacherben, den Beteiligten zu 3) und 4), hinsichtlich des Grundbesitzes eine notariell beurkundete Vereinbarung geschlossen, die in den wesentlichen Passagen wie folgt lautet:
„Um den Vorerben eine uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit über den vorbezeichneten Grundbesitz einzuräumen, verzichten -die Beteiligten zu 3) und 4)- auf ihr Nacherben- und Ersatznacherbenrecht bezüglich des vorbezeichneten Grundbesitzes.
Die Beteiligte zu 1) und die Beteiligte zu 2) nehmen diesen Verzicht an. Die Grundstücke scheiden damit aus dem Nachlass aus und werden von der Nacherbeneinsetzung nicht erfasst.
Die Beteiligten zu 3) und 4) bewilligen und die Beteiligten zu 1) und 2) beantragen die Löschung des Nacherbenvermerks in den Grundbüchern.“
Eine Ausfertigung der Urkunde ist dem Grundbuchamt mit dem Antrag auf Löschung der Nacherbenvermerke vorgelegt worden. Das Grundbuchamt hat (nach vorherigem Hinweis auf die Notwendigkeit der Zustimmung der Ersatznacherben) den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen wendete sich die Beteiligte zu 2) mit seiner Beschwerde.
II. Problem
Das OLG Hamm erachtete die Beschwerde als zulässig und begründet.
Richtig sei, dass die Löschung des Nacherbenvermerks nur in Betracht komme, wenn entweder die Löschungsbewilligung aller potentiell Betroffenen (§ 19 GBO) vorgelegt oder die Unrichtigkeit des Grundbuchs nachgewiesen wird (§ 22 GBO). Richtig sei daneben, dass zu den Betroffenen im Sinne des § 19 GBO auch die Ersatznacherben gehören (OLG Düsseldorf NJOZ 2014, 1735 f; Bauer/v.Oefele/Schaub, GBO, § 51 Rdn.116).
Hingegen sei jedoch die Unrichtigkeit des Grundbuchs im Hinblick auf den Nacherbenvermerk nachgewiesen. Der Senat teilte insoweit die Auffassung, dass vorliegend keine Verfügung der Vorerbinnen über das Grundstück im Sinne des § 2113 BGB vorliegt, bei welcher nach allgemeiner Auffassung allein die Zustimmung des Nacherben, nicht hingegen zusätzlich auch die eines Ersatznacherben, erforderlich ist, um die Verfügungsbeschränkung durch die Nacherbfolge für das Grundstück aufzuheben (vgl. OLG München ZEV 2012, 674; ZEV 2015, 347 f). Dies sei jedoch nicht der einzige Weg, auf dem ein Nachlassgegenstand ohne Mitwirkung des/der Ersatznacherben durch ein Ausscheiden aus dem Nachlass von der Verfügungsbeschränkung der Nacherbfolge frei werden kann.
Den Vor- und Nacherben sei hinsichtlich einzelner Nachlassgegenstände eine entsprechende rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht (ohne Mitwirkung eines Ersatznacherben) einzuräumen (vgl. BGH NJW-RR 2001, 217f; BayObLG NJW-RR 2005, 956 f; OLG Köln BeckRS 2011, 10906; Palandt/Weidlich, § 2100 Rdn. 18; Burandt/Rojahn/Lang, ErbR, 2.Aufl., § 2102 BGB Rdn. 20; Hügel/Zeiser, GBO, § 51 Rdn.107 f).
- 2113 BGB könne nur im Zusammenhang mit § 2120 BGB richtig eingeordnet werden. Das bedeute, dass der Schutz des Nacherben uneingeschränkt seiner rechtsgeschäftlichen Disposition unterliegt. Die Regelung des § 2120 BGB begründe nicht erst eine (auf Verfügungen des Vorerben beschränkte) Rechtsmacht des Nacherben, sie setze diese vielmehr voraus. Auch ein sachlicher Grund, diese Dispositionsbefugnis auf die Zustimmung zu Verfügungen des Vorerben zugunsten eines Dritten zu beschränken, sei nicht erkennbar.
Soweit an dieser Stelle der Schutz eines Ersatznacherben in Betracht genommen ist, sei dies schon im Ansatz verfehlt. Der Ersatznacherbe sei kein (künftig) Berechtigter, sondern lediglich ein Ersatz für den primär bestimmten Nacherben. Soweit das Gesetz also im Interesse des Erblasserwillens den Nacherben schützt und ihm auch die rechtliche Befugnis zugesteht, sich dieses Schutzes zu begeben, sei hiermit immer nur der aktuelle Nacherbe angesprochen.
Auch aus dem Erblasserwillen lasse sich keine Beschränkung der Dispositionsbefugnis des Nacherben herleiten. Der Erblasser habe beispielsweise den Ersatznacherben nicht zugleich zum bedingten Nach-Nacherben einsetzt. Daneben sehe das Gesetz eine Durchsetzung des Erblasserwillens gegen den übereinstimmenden Willen der Lebenden nicht vor (vgl. Keim a. a. O. S. 830).
Die Bindung des Vorerben hinsichtlich der einzelnen Nachlassgegenstände sei somit grundsätzlich einer rechtsgeschäftlichen Befreiung durch den Nacherben zugänglich. Der Bundesgerichtshof (a. a. O.) habe in einem obiter dictum die Möglichkeit einer Auseinandersetzung zwischen Vor- und Nacherben grundsätzlich anerkannt.
Der Ansatz des BayObLG (a. a. O.), den Vorgang als Verfügung über den Nachlassgegenstand selbst, bei einem Grundstück also als Auflassung (§§ 873, 925 BGB), einzuordnen, sei dogmatisch nicht tragfähig. Mit dem Eintritt des Erbfalls werde der Vorerbe Volleigentümer bzw. Vollberechtigter der Nachlassgegenstände, Mitvorerben in der gesamthänderischen Bindung der Erbengemeinschaft. (mit ähnlichen Bedenken auch OLG Köln a. a. O.).
Der Senat befürwortete hier die Lösung von Keim, Hartmann und Heskamp (jeweils a. a. O.), wonach ein solches Rechtsgeschäft als Freigabe analog zu den entsprechenden Handlungsmöglichkeiten des Testamentsvollstreckers (§ 2217 BGB) und des Insolvenzverwalters (§ 32 Abs.3 InsO) zu verstehen ist. Die genannten Autoren hätten überzeugend nachgewiesen, dass die zweifellos bestehenden Unterschiede kein hinreichender Grund sind, von einer solchen Analogie Abstand zu nehmen.
Der Senat hatte jedoch Bedenken, auch die Form des Rechtsgeschäfts aus der Analogie abzuleiten.
Für die Notwendigkeit einer Mitwirkung des Vorerben spreche, dass die Vorerbschaft auch im Interesse des Vorerben angeordnet sein kann (vgl. hierzu Heskamp a. a. O. S.522). Weiter könne gerade bei der Freigabe von Grundstücken die Frage nach der Haftung für Verbindlichkeiten aufkommen, die an diesen Grundstücken dinglich gesichert worden sind (vgl. hierzu Hartmann a. a. O. S.112).
Die Frage wurde jedoch offengelassen, da vorliegend eine allseitige Vereinbarung beurkundet worden war, die nach dem oben Gesagten den Wegfall der Nacherbenbindung an den betroffenen Grundstücken bewirkt.
III. Fazit
Kommen Vor- und Nacherben überein, dass ein Gegenstand aus Verfügungsbeschränkung der angeordneten Nacherbfolge ausscheiden soll, stellt sich die Frage der rechtlichen Gestaltung dieses Vorgangs.
Das OLG Hamm stellt für denn Fall eines Grundstücks fest, dass bei Vorliegen einer entsprechenden rechtsgeschäftlichen Vereinbarung, für die Löschung eines eingetragenen Nacherbenvermerks keine Zustimmung der Ersatznacherben notwendig ist und schließt sich der entsprechenden, in der Literatur vertretenen, Ansicht an. Die Frage der notwendigen Form wurde vom Senat jedoch offengelassen.
Rezension des Beschlusses des OLG Hamm v. 13.05.2016 - 15 W 594/15 „Vorerbschaft / Entlassung aus der Verfügungsbeschränkung / Zustimmung des Ersatznacherben", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.9 September 2016, S.546 f