Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Aufgebotsverfahren; Ausschließungsbeschluss

Leitsätze:

  1. Im Aufgebotsverfahren zur Ausschließung von Nachlassgläubigern nach § 1970 BGB ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Anmeldezeitpunkts nicht möglich. (amtlicher Leitsatz)
  2. Ein Ausschließungsbeschluss ist im Sinne des § 438 FamFG erlassen, sobald er in fertig abgefasster und unterschriebener Form an die Geschäftsstelle zur Bekanntgabe übergeben worden ist. (amtlicher Leitsatz)

BGH, Beschluss vom 05.10.2016 - IV ZB 37/15

BGB §§ 1970, 1973 Abs. 1 S. 1, 1974
FamFG §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 3, 38 Abs. 3 S. 3, 48 Abs. 2, 59 Abs. 1, 434 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 437, 438, 439 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4 S. 1, S. 2
GG § 19 Abs. 4
SGB VI § 118 Abs. 4
ZPO §§ 437, 438, 951, 957 Abs. 1, Abs. 2

I. Einführung

Der Beteiligte zu 1) hat als Alleinerbe des im Jahr 2013 verstorbenen Erblassers, seines Vaters, das Aufgebot zur Ausschließung von Nachlassgläubigern beantragt. Das Amtsgericht hat nach Aufforderung der Nachlassgläubiger, ihre Forderungen gegen den Nachlass bis spätestens zum 12. März 2015 anzumelden, der Beteiligten zu 2) die von ihr angemeldete Forderung vorbehalten und weitere Nachlassgläubiger ausgeschlossen. Der durch Übergabe an die Geschäftsstelle erlassene Ausschließungsbeschluss ist durch Aushang an der Gerichtstafel vom 10. April bis 18. Mai 2015 öffentlich zugestellt worden.

Am 10. Juni 2015 haben die Beteiligten zu 3) und 4) dem Amtsgericht angezeigt, dass sie Eigentümer einer Mietwohnung seien, die vom Erblasser und seiner Lebensgefährtin bewohnt worden sei, sowie dass die Beteiligte zu 2) wegen zu Unrecht erbrachter Rentenzahlungen nach dem Tode des Erblassers von ihnen Mieten für den Zeitraum von Januar 2003 bis November 2010, die vom Konto des Erblassers an sie überwiesen worden seien, zurückfordere. Zugleich haben sie den Erstattungsbetrag, den die Beteiligte zu 2) beanspruche, als "Regressforderung" angemeldet. Später haben sie weiter mitgeteilt, dass sie hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen, da ihnen das Aufgebotsverfahren erst durch Einsicht in Teile der bei der Beteiligten zu 2) geführten Akten, die ihnen am 9. Juni 2015 zugegangen seien, bekannt geworden sei.

Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde begehren die Beteiligten zu 3) und 4) die Berücksichtigung der von ihnen angemeldeten Forderung im Aufgebotsverfahren.

II. Problem

Die Rechtsbeschwerde war nach Ansicht des BGH zulässig, aber in der Sache erfolglos.

Das Beschwerdegericht habe die Beschwerde der Beteiligten zu 3) und 4) zu Recht als unbegründet angesehen, da diese die Aufgebotsfrist im Sinne des § 437 FamFG versäumt hätten und ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Folge gegeben werden könne. Die beim Amtsgericht angebrachte Forderungsanmeldung sei verspätet gewesen.

Eine Nachlassforderung sei zum Zwecke der Vermeidung ihres Ausschlusses im Aufgebotsverfahren nach § 1970 BGB grundsätzlich bis zum im Aufgebot angegebenen Anmeldezeitpunkt gemäß § 434 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FamFG bei Gericht anzumelden. Aufgrund der Fiktion des § 438 FamFG sei aber auch eine Anmeldung nach dem Anmeldezeitpunkt noch als rechtzeitig anzusehen, wenn sie vor dem Erlass des Ausschließungsbeschlusses erfolgt. Die Frage, wann der Ausschließungsbeschluss in diesem Sinne als erlassen anzusehen ist, werde in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beurteilt.

Die überwiegende Meinung stelle insoweit auf die Legaldefinition des § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG ab. Danach ist ein Beschluss, der nicht verkündet wird, erlassen, sobald er in fertig abgefasster und unterschriebener Form an die Geschäftsstelle zur Bekanntgabe übergeben worden ist (vgl. nur OLG Düsseldorf FamRZ 2012, 1330, 1331; OLG München ZEV 2016, 195 Rn. 10; Haußleiter, § 438 FamFG Rn. 3; Keidel/ Zimmermann, FamFG § 438 Rn. 4; Holzer in Prütting/Helms, FamFG § 438 Rn. 1; MüKo-BGB/Küpper, § 1970 Fn. 7)

Demgegenüber würden Stimmen in der Literatur eine Forderungsanmeldung noch bis zur Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses als möglich ansehen, die gemäß § 439 Abs. 2 FamFG erst mit dessen Rechtskraft eintritt (Dutta in Bork/Jacoby/Schwab, FamFG § 438 Rn. 1; MüKo-FamFG/Eickmann, § 438 Rn. 7; Zöller/Geimer, ZPO § 438 FamFG Rn. 1).

Der BGH schließt sich hier der erstgenannten Ansicht an. Der Wortlaut der Norm sei insofern eindeutig, als er den Erlass und nicht das Wirksamwerden des Beschlusses für maßgeblich erklärt. Soweit die abweichende Meinung darauf abstelle, dass die zeitliche Erstreckung der Anmeldemöglichkeit bis zum Ablauf der Beschwerdefrist am ehesten dem Sinn und Zweck des § 438 FamFG gerecht werde, dem Anmeldenden so lange wie möglich die Anmeldung seiner Rechte zu gestatten, sei dem entgegenzuhalten, dass dies im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag findet.

Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs habe § 438 FamFG den Regelungsgehalt des vormaligen § 951 ZPO übernommen, wobei an die Stelle des Ausschlussurteils der Ausschließungsbeschluss trat (BT-Drucks. 16/6308 S. 295). Gemäß § 951 ZPO (i.d.F. vor dem FGG-Reformgesetz) sei die Forderungsanmeldung bis zum Erlass des Ausschlussurteils möglich, der durch dessen Verkündung erfolgte. Zwar würde gemäß § 957 Abs. 1 ZPO a.F. damit das Ende der Anmeldungsmöglichkeit sowie der Eintritt der Rechtskraft und damit auch die Gestaltungswirkung des Ausschlussurteils zusammen fallen, das bedeute aber nicht, dass das Gleiche auch für die Rechtslage nach dem FamFG gelten müsse. Nach dessen Maßgabe differieren in zeitlicher Hinsicht einerseits der Erlass und andererseits die Rechtskraft sowie das Wirksamwerden des Ausschließungsbeschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3, § 45, § 439 Abs. 2 FamFG). Dies habe dem Gesetzgeber die Wahl eröffnet, in welchem der beiden Zeitpunkte die Anmeldemöglichkeit künftig endet, wenn einer von ihnen maßgeblich sein sollte. Er habe sich zugunsten des Erlasses im Sinne von § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG entschieden.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Ausführungen zu § 439 FamFG in der Begründung zum FGG-Reformgesetzesentwurf. Dass die Möglichkeit der fingierten Fristwahrung abweichend vom bisherigen Recht nun schon vor der Verlautbarung der gerichtlichen Ausschließungsentscheidung ende, stehe dem erklärten Willen des Gesetzgebers nicht entgegen, zumal der sich daraus für die Nachlassgläubiger tatsächlich ergebende Nachteil im Vergleich zum vormaligen Verfahren gering sein dürfte, weil sie zum danach noch obligatorischen Aufgebotstermin in der Praxis regelmäßig nicht erscheinen (so BT-Drucks. 16/6308 S. 172) und von dem Ausschließungsurteil dementsprechend ebenfalls erst nach dessen Verkündung erfahren, wenn die Möglichkeit der Nachmeldung schon beendet war.

Die Forderungsanmeldung der Beteiligten zu 3) und 4) sei danach zu spät erfolgt. Die Aufgebotsfrist habe bereits am 12. März 2015 geendet. Der Ausschließungsbeschluss wurde 23. März 2015 durch Übergabe an die Geschäftsstelle erlassen.

Den Beteiligten zu 3) und 4) sei auch keine Wiedereinsetzung in die verstrichene Aufgebotsfrist zu gewähren, da das Gesetz eine entsprechende Möglichkeit nicht vorsehe.

Zwar gehe die herrschende Meinung weitgehend ohne nähere Begründung davon aus, dass § 439 Abs. 4 Satz 1 FamFG die Anwendung der Vorschriften der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 17 ff. FamFG auch im Geltungsbereich von § 438 FamFG eröffnet (OLG Hamm FGPrax 2014, 136; OLG München ZEV 2016, 195 Rn. 11; Dutta in Bork/ Jacoby/Schwab, FamFG § 438 Rn. 1 und § 439 Rn. 15; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG § 438 Rn. 1; Keidel/Zimmermann, FamFG § 439 Rn. 9; MüKo-FamFG/Eickmann, § 439 Rn. 8). In der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Düsseldorf FamRZ 2012, 1330, 1331) und der Literatur (Holzer in Prütting/Helms, FamFG § 439 Rn. 10) wurden hieran aber Zweifel geäußert.

Diese Zweifel seien jedenfalls im Falle von Aufgebotsverfahren nach § 1970 BGB berechtigt.

Die Regelungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht unmittelbar einschlägig, weil sie gemäß § 17 Abs. 1 FamFG die Versäumung einer gesetzlichen Frist voraussetzen, während es sich bei der Aufgebotsfrist nach § 437 ZPO zum einen um eine gerichtlich bestimmte Frist handele und § 438 ZPO zum anderen schon keine Fristbestimmung enthalte, sondern nur eine gesetzliche Fiktion fristgemäßen Handelns vorsehe.

Zumindest im Falle eines Aufgebotsverfahrens zur Ausschließung von Nachlassgläubigern eröffne § 439 Abs. 4 Satz 1 FamFG dahingehend auch keine entsprechende Anwendung der §§ 17 ff. FamFG. Ein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille lasse sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen. Auch in systematischer Hinsicht findet sich die Bestimmung des § 439 Abs. 4 Satz 1 FamFG in unmittelbarem Anschluss an eine Regelung zur Zulässigkeit der Beschwerde (§ 439 Abs. 3 FamFG), während die Vorschriften zur Aufgebotsfrist und deren Wahrung in gesonderten Paragraphen behandelt werden (§§ 437 f. FamFG).
Aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung könne eine Möglichkeit der Wiedereinsetzung ebenfalls nicht hergeleitet werden. Zwar solle § 439 Abs. 4 Satz 1 FamFG dem Berechtigten vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG eine hinreichende Gelegenheit verschaffen, seine Rechte im Aufgebotsverfahren geltend zu machen. Diese Möglichkeit sei auch sehr begrenzt, wenn der Berechtigte bei der Beschwerde gegen seine Ausschließung selbst in solchen Fällen, in denen er es schuldlos versäumt hat, seine Rechte rechtzeitig anzumelden, nur Fehler des Amtsgerichts bei der Durchführung des Aufgebotsverfahrens rügen und die Anmeldung nicht nachholen kann. Jedoch solle die Bestimmung aber auch den Interessen der Antragsberechtigten im Aufgebotsverfahren an einer abschließenden Klärung der Rechtszuordnung innerhalb vertretbarer Zeit Rechnung tragen (BT-Drucks. 16/6308 aaO). Diese Interessen stünden jedenfalls im Falle eines Aufgebotsverfahrens nach § 1970 BGB der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung des Berechtigten in die Aufgebotsfrist entgegen.

Dem Zweck der abschließenden Klärung der Rechtslage würde das Verfahren nach den §§ 433 ff. FamFG nicht genügen, wenn der Erbe zu befürchten hätte, dass sich bis zum Ablauf von fünf Jahren nach Ende der Aufgebotsfrist oder Erlass des Ausschließungsbeschlusses und damit lange nach Abschluss des Verfahrens noch unbekannte, rechtskräftig ausgeschlossene Nachlassgläubiger melden und wirksam Wiedereinsetzung in die, unter Umständen seit Jahren verstrichene, Aufgebotsfrist verlangen könnten.

Des Weiteren bestünde auch ein Wertungswiderspruch zu § 1974 BGB, der kein Aufgebotsverfahren voraussetzt. Danach werden dem Erben die Wirkungen der Ausschlusseinrede gemäß § 1973 Abs. 1 Satz 1 BGB fünf Jahre nach dem Erbfall auch ohne ein Aufgebotsverfahren zuteil, während er im Falle der Durchführung eines solchen Verfahrens zur selben Zeit noch mit Wiedereinsetzungsanträgen unbekannter Nachlassgläubiger rechnen müsste, sähe man die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in die Aufgebotsfrist durch § 439 Abs. 4 Satz 1 FamFG als eröffnet an.

III. Fazit

Der BGH hatte sich vorliegend mit zwei seit längerem, in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantworteten Fragestellungen zu beschäftigen.

Zum einen stellt er in der Entscheidung klar, dass ein Ausschließungsbeschluss (i.S.v. § 438 FamFG) erlassen ist, sobald er in fertig abgefasster und unterschriebener Form an die Geschäftsstelle zur Bekanntgabe übergeben worden ist. Der Gegenteiligen Auffassung (Forderungsanmeldung noch bis zur Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses) erteilt er eine Absage.

Zum anderen wird der kontrovers geführte Streit zur Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung des Anmeldezeitpunkts im Aufgebotsverfahren zur Ausschließung von Nachlassgläubigern nach § 1970 BGB dahingehend entschieden, dass eine solche nicht in Betracht kommt.

Die Entscheidung ist aufgrund der für die Zukunft mit ihr einhergehenden gesteigerten Rechtssicherheit zu begrüßen.


Rezension des Beschlusses des BGH v. 05.10.2016 - IV ZB 37/15 „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand / Aufgebotsverfahren / Ausschließungsbeschluss", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.1 Januar 2017, S.47 ff


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